Kriminalfall Peggy:Warum Manuel S. wieder in den Fokus der Ermittler gerät

Kriminalfall Peggy: Lichtenberg, herbstlich schön gelegen im Frankenwald, direkt an der Grenze zu Thüringen. Die Kleinstadt kommt nicht zur Ruhe.

Lichtenberg, herbstlich schön gelegen im Frankenwald, direkt an der Grenze zu Thüringen. Die Kleinstadt kommt nicht zur Ruhe.

Vor 17 Jahren verschwand Peggy aus Lichtenberg. Manuel S. hat zugegeben, die Leiche verscharrt zu haben, mit dem Tod des Mädchens will er aber nichts zu tun haben. Doch jetzt beschäftigen die Ermittler sich wieder mit ihm - aus zwei Gründen.

Von Olaf Przybilla

Das ist eine Geschichte aus Lichtenberg, aber sie beginnt nicht in Lichtenberg, sondern 50 Kilometer entfernt in einem Weiler im Fichtelgebirge. Keine 20 Höfe und Häuser hat der Ort, es gibt eine Art Kern und zwei entlegenere Häuser. Ganz am Ortsrand ist der Hof, den Ermittler vor zweieinhalb Wochen durchkämmt haben und zehn Tage später mit einer Mitteilung an die Öffentlichkeit gegangen sind, von der schwer zu sagen ist, ob man sie für sensationell oder bizarr halten soll. Oder beides. 17 Jahre, nachdem die damals neun Jahre alte Peggy verschwunden ist, wird ein Mann aus diesem Ort von den Ermittlern des Mordes an dem Mädchen verdächtigt. Auch hat der 41-Jährige gestanden, Peggy in einem Wald in Thüringen verscharrt zu haben. Trotzdem ist er auf freiem Fuß. Kein dringender Tatverdacht, sagen die Ermittler der Soko.

Über den Fall Peggy wird seit 17 Jahren gesprochen, die Causa erlebte Wendungen, die man keinem Drehbuchschreiber durchgehen lassen würde. Einmal sollte, laut genetischem Befund, der NSU-Terrorist Uwe Böhnhardt mit dem Mord an dem Mädchen etwas zu tun gehabt haben. Was sich als Ermittlungspanne herausstellte. Wie ist das jetzt in diesem Dorf, wenn nach 17 Jahren plötzlich einer der ihren des Mordes an Peggy verdächtigt wird - der Mann aber nach der Vernehmung zurückkehrt, als Nachbar in seinen Bio-Bauernhof, wo er Honig aus eigener Imkerei anbietet?

Die erste Frau, die man fragt, sagt: "Ich kenn' mich nicht aus hier." Sie kann über den Zaun zu dem Hof mit der zerschlissenen Fahne schauen, in dem der Beschuldigte wohnt. Eine andere lässt sich auf ein Kurzgespräch über ihren Nachbarn ein: "Ich bete für ihn." Was immer er womöglich getan habe, "er bleibt ein Mensch".

Die Ermittler nennen zwei Gründe, warum plötzlich dieser Mann ins Visier rückt, der sich in der Akte Peggy, die einige Zehntausend Seiten umfasst, ziemlich weit vorne findet: Erstens führten die Spuren, die am Leichnam des Mädchens vor zwei Jahren sichergestellt wurden, deutlich in Richtung von Manuel S., dem 41-Jährigen aus dem Fichtelgebirge. Zweitens habe die, so wörtlich, "Neubewertung bereits bestehender polizeilicher Feststellungen" Manuel S. nun in den Fokus der Ermittlungen gerückt. Wer sich die alten Peggy-Akten ansieht, den kann das kaum verwundern.

Stadtrat Norbert Rank

"Für mich ist das kein Teilgeständnis, auf mich wirkt das wie ein Abkommen, um den Ulvi wieder in diese Sache reinzuziehen."

Manuel S. - damals in einer Lichtenberger Seilerei als Fabrikarbeiter beschäftigt - firmiert dort als die Spur 1305. Nach Peggys Verschwinden wurde er zunächst als Zeuge befragt, bald aber schon als Beschuldigter geführt. Der Vorwurf lautete auf Totschlag. Der damals 24-Jährige stand im Verdacht, Peggy an einem Fluss unter einer Brücke abgelegt, sie geknebelt und mit Steinen beschwert zu haben. Das sollte er, so der Verdacht, bei einem Vatertagsausflug angeblich selbst so geschildert haben. Das Verfahren wurde 2002 trotzdem einstellt, ein Jahr nach Peggys Verschwinden. Die Ermittler waren zum Schluss gekommen, dass die Männer, die an besagtem Ausflug teilnahmen, unter Alkoholeinfluss gestanden hätten. Da redet und hört man schon mal makaberen Unsinn, klar. Aber mitunter auch die Wahrheit?

Wer es mit Zehntausenden Aktenseiten zu tun hat, der kann schon mal was übersehen. Und womöglich erkennt man 16 Jahre nach der Einstellung dieses Verfahrens wegen Totschlags nicht auf den ersten Blick, was die Ermittler dazu bewogen haben könnte, ihrem Verdacht gegen S. damals nicht weiter nachzugehen. Das aber, was zu sehen ist, wirkt seltsam. S. hatte den Ermittlern gesagt, er sei am Tattag, vormittags oder nachmittags, beim Finanzamt gewesen. Für den Nachmittag, also zu jenem Zeitpunkt, für den ein Alibi vonnöten war, schlossen die Ermittler das aus. Denn da ist diese Behörde geschlossen. Was S. in den relevanten Stunden dieses Tages, an seinem Geburtstag übrigens, stattdessen gemacht hat - das wird nicht ganz klar.

Mordfall Peggy - Bushaltestelle

An der Bushaltestelle soll angeblich das leblose Mädchen übergeben worden sein.

(Foto: dpa)

In den Akten findet sich auch die Aussage eines Mannes, der in dem Fall bislang die größte Rolle gespielt hat. Es geht um Ulvi K., jenen geistig beeinträchtigten Mann, der 2004 wegen Mordes an Peggy verurteilt, zehn Jahre später aber freigesprochen wurde. Ulvi K. und Manuel S. waren als Jugendliche Freunde. Beide beschrieben den Ermittlern, dass sie zu der Zeit miteinander sexuelle Erfahrungen gemacht hätten. Ulvi K. erzählte den Ermittlern auch, dass er dann als 23-Jähriger mit der neunjährigen Peggy Sex gehabt habe, er dies Manuel S. stolz berichtet habe und dieser daraufhin angeblich gesagt haben soll: Das wolle er auch mal. Auf Vorhalt der Ermittler bestritt S., dies gesagt zu haben.

Zweifel in den Akten an Belastung des Ulvi K.

16 Jahre danach hat S. nun in einer Vernehmung eingeräumt, den Leichnam von Peggy verscharrt zu haben. Mit dem Tod des Mädchens aber will er nichts zu tun haben. Vielmehr habe er das leblose Mädchen in einem Lichtenberger Bushäuschen "übernommen". Er will noch versucht haben, das Mädchen zu beatmen. Danach habe er es in eine rote Decke gewickelt, in den Kofferraum seines Autos gelegt und in Thüringen verscharrt. Dort, wo ein Pilzsammler 2016 Skelettteile fand.

Es gibt keine Bestätigung von der Polizei, dass es tatsächlich Ulvi K. ist, den S. belastet hat. Das bleibt also Spekulation. Man trifft aber niemanden im Umfeld dieses Falles, der Zweifel daran hegt. Schließlich haben die Ermittler mehrfach betont, dass sie gegen einen Mann ermitteln, gegen Manuel S. Würden sie gegen jenen, der von ihm als Mörder bezichtigt wird, normalerweise nicht auch ermitteln? Gegen Ulvi K. wäre dies sehr schwer. Er ist freigesprochen worden, in einem Wiederaufnahmeverfahren. Da sind die juristischen Hürden für ein weiteres Verfahren extrem hoch.

Wäre eine Belastung des Ulvi K. - gesetzt den Fall, sie existiert - aber auch plausibel? In den Akten finden sich da erhebliche Zweifel. Beide hatten 2001 zwar von sexuellen Erfahrungen miteinander berichtet. Zu dem Zeitpunkt, als das geschehen sein soll, waren beide noch Pubertierende. Als Erwachsene aber, das betonten beide, hätten sie nichts mehr miteinander zu tun haben wollen. S. sprach schlecht über K., der genauso schlecht über S. Wäre es da auch nur im Ansatz nachvollziehbar, dass der eine mit seinem Auto an einem Bushäuschen anhält, um dort einen leblosen Körper vom anderen zu übernehmen, diesen wegzufahren, zu verscharren - und anschließend 17 Jahre lang zu schweigen?

Es gibt viele, die daran zweifeln. In Lichtenberg etwa, auf dem Schlossberg mit Blick über den herbstlich schönen Frankenwald, wo Stadtrat Norbert Rank das Vereinsheim aufgeschlossen hat, weil es ihn drängt, über den Fall zu sprechen. Früher hat Ulvi K. hier seinen Eltern beim Bedienen geholfen. Rank schüttelt den Kopf. "Ich bin erschüttert", sagt er, "für mich ist das kein Teilgeständnis, auf mich wirkt das wie ein Abkommen, um den Ulvi wieder in diese Sache reinzuziehen." Dass S. Peggys Leiche weggeschafft haben soll, das habe er schon 2001 gehört im Dorf.

Auch im nahen Münchberg schlägt Gudrun Rödel, Ulvi K.'s Betreuerin, die Hände vors Gesicht. Am helllichten Tag, sagt sie, solle da jemand eine Leiche übergeben habe, an einem Bushäuschen, wo sich Kinder zum Spielen verabreden? Allein, dass jemand auf so was komme, mache sie fassungslos. Mit Ulvi K. hat sie gesprochen dieser Tage. Der bekomme in seiner Einrichtung den neuen Wirbel sehr wohl mit. "Für ihn ist das ein Albtraum", sagt sie.

Am Waldenfelsplatz in Lichtenberg rührt Rudolf von Waldenfels in einer Teetasse. Als er erstmals vom Fall Peggy gelesen hat, lebte er noch in Berlin. Seit er nach Lichtenberg gezogen ist, verfolgt er den Fall. Allerdings eher aus der Zeitung, Waldenfels war nie einer, der sich als Zugezogener in der Geschichte exponieren wollte. Eines aber traue er sich gerade aus dieser Position heraus zu sagen: Er habe höchsten Respekt davor, wie sich viele Lichtenberger in all den Jahren gegen vorschnelle Urteile gestemmt hätten. Waldenfels ist Schriftsteller, da hat er ein Faible für abseitig klingende Geschichten. "Diese aber, in der die Lichtenberger nun seit 17 Jahren leben müssen, die ist zu verrückt", sagt er.

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