Süddeutsche Zeitung

Passionsspiele Oberammergau:Die "passion play" auf Werbetour in den USA

Lesezeit: 3 min

Leiter Christian Stückl will in New York Zuschauer für die Passionsspiele in Oberammergau werben. Aber wie schafft man das, wenn man nicht mal richtig Englisch kann?

Von Kathrin Werner, New York

Eigentlich wollte er gar nicht mitkommen. Sein Englisch sei zu schlecht, dachte er. Aber dann hat ihm jemand erklärt, dass die Amerikaner das ja gewohnt sind: Die USA sind schließlich eine Nation der Einwanderer. Also steht er da in New York vor gut 100 Amerikanern, ist ein bisschen aufgeregt und radebrecht in einer Sprache, die aus seinem Mund wie Bayrisch klingt: "Manchmal habe ich den Eindruck, dass die Amerikaner mehr über die Passionsspiele in Oberammergau wissen, als die Deutschen."

Der Mann, der von der alten Liebe der Amerikaner zu dem Laientheater in dem oberbayerischen Dorf erzählt, ist Christian Stückl. Geboren 1961 in Oberammergau, seit 1990 Spielleiter der Oberammergauer Passionsspiele, kariertes Trachtenhemd, hochgekrempelte Ärmel, auch Intendant des Münchner Volkstheaters, aber deshalb ist er nicht hier. Er hat sich auf Werbetour für die Passionsspiele nach Amerika begeben. Eine Woche voller Flüge, voller Gespräche mit Reisejournalisten, Reiseführerautoren und Reisebloggern. San Francisco, Los Angeles, Washington, New York und dann noch Toronto in Kanada.

Das lohnt sich durchaus. Amerikaner sind gute Kunden der Passionsspiele, die alle zehn Jahre stattfinden. Gut eine halbe Millionen Menschen werden im Jahr 2020 nach Oberammergau kommen, um das Musiktheater über die Leidensgeschichte Jesu zu sehen, gut die Hälfte davon aus dem Ausland. Amerikaner reisen meist in großen Gruppen an, oft organisiert über ihre Kirchengemeinden. Schon 1910 kam der damalige Präsident William Howard Taft zu Besuch, ihm folgten diverse US-Präsidenten, auch Henry Ford war da. Doch die ältere Amerikaner kennen die Spiele deutlich besser als jüngere. Darum die Werbetour für das "most famous passion play in the world", so der Broschürentext.

Was die New Yorker über die "passion play" wissen? Nicht allzu viel. Sie raunen, als sie hören, dass gut die Hälfte der Dorfbewohner, 2300 Menschen, auf der Bühne stehen werden, dass die Vorbereitungen schon in diesem Herbst beginnen, dass es jeden Tag Proben geben wird, dass die Dorfbewohner fast alles selbst machen.

"Spielen Juden im Stück mit?"

"Und sie kriegen kein Geld dafür?", fragt einer. Nur ein bisschen, reich werde niemand. "Auf welcher Sprache wird es aufgeführt?" Deutsch. Aber das mache nichts, die Geschichte sei den meisten Zuschauern schließlich bekannt. "Spielen Juden im Stück mit?" "Nein, wir haben keine Juden in Oberammergau", antwortet Stückl. Die Sache mit den Juden ist heikel, Stückl will offen damit umgehen. 1934 hatten die Passionsspiele ihr 300-jähriges Jubiläum, erzählt er. "Und Hitler gefielen sie sehr, sehr gut. Für ihn machten sie klar, wie gut die Römer und wie böse die Juden sind."

Nach dem Krieg kritisierten amerikanische Intellektuelle wie Arthur Miller, Leonard Bernstein und diverse jüdische Interessensvertreter, dass Juden in den Passionsspielen negativ und klischeehaft dargestellt würden. Jahrzehntelang gab es Proteste, aber die Oberammergauer änderten nichts. Bis Stückl kam und die Moderne brachte. "Oberammergau ist ein konservatives Dorf", sagt er. Sein Großvater durfte einst nicht den Jesus spielen, weil er mit einer Protestantin verheiratet war. Inzwischen sprechen die Laienschauspieler ein Gebet sogar auf Hebräisch. "Wow, beeindruckend", ruft eine New Yorkerin.

Als Stückl ein kleiner Junge war in Oberammergau, fand er die Passionsspiele langweilig und uncool. Also ist er, als er gerade einmal 24 Jahre alt war, zum Gemeinderat marschiert und hat gefordert, ab sofort Regisseur des Traditionsereignisses zu sein. Er bekam den Job.

Stückl erzählt den New Yorkern von all seinen Kämpfen. Er lacht, er gestikuliert. Für Frauen etwa musste er kämpfen, die nur mitspielen durften, wenn sie unverheiratet waren. Oder für einen Jungen namens Abdullah, der so gut singen konnte, aber Muslim war und darum eigentlich nicht zugelassen. Unter Stückl haben sich all die Regeln geändert. Heute ist Abdullah Karaca sogar zweiter Spielleiter. Bravo, rufen die New Yorker.

Stückl erfindet das Stück inzwischen alle zehn Jahre komplett neu, mit neuen Kostümen, neuem Bühnenbild, verändertem Text. Fast alles, sagt Stückl, muss er gegen die Dorfbewohner durchsetzen, die es mögen, wenn alles beim Alten bleibt. "Aber ich sehe das so: Solange wir streiten, sind die Passionsspiele am Leben." Applaus.

"Er ist so wunderbar passioniert", sagt ein Reiseführer-Autor. "Voller Passion für die Passion." Und das bayerische Englisch? "So charmant."

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SZ vom 06.02.2018
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