Passionsspiele Oberammergau:Das Kreuz mit dem Kommerz

Regisseur Christian Stückl als Theatermacher hat schon viel erreicht - auf für seine Heimatstadt Oberammergau. Trotzdem lehnen viele Einheimische seine Passionspiel-Pläne ab.

Sabine Buchwald

Noch wird geprobt für "Jeremias". Anton Burkhart wirft sich zu Boden. Nein, so nicht. Christian Stückl macht es vor. Erst stolpern, dann fallen. Der Regisseur fährt sich mit den Händen durch die Locken, bevor er nach den Zigaretten tastet.

Passionsspiele Oberammergau

Christus-Darsteller Anton Burkhart hängt bei der Probe zu den Passionsspielen im Jahr 2000 im Festspielhaus in Oberammergau am Kreuz.

(Foto: Foto: ddp)

Sein Feuerzeug klickt. Zum fünften Mal innerhalb einer halben Stunde. Stückl gibt zu, dass er nervös ist. Er will die Probe vorzeitig abbrechen an diesem Sonntagnachmittag, um sich für die Bürgerversammlung vorzubereiten. Davon wird es mehrere bis zum 17. Juni geben. Stückl kämpft.

Er kämpft gegen eine Tradition, die aus einer Zeit ohne Elektrizität stammt und für eine Vision, die als "Nachtspiel" nun wieder zur Diskussion steht. Dabei geht es eigentlich um ein Tag- und Abendspiel, denn Stückl will die Oberammergauer Passion 2010 von 14.30 bis 22.30 Uhr aufführen, mit einer Pause.

"Stellts euch den Engel mit der Feuerschale bei Nacht vor", ruft er den 300 Einheimischen zu, die zu der eilig einberufenen Informationsveranstaltung in den stickigen Theatersaal gekommen sind. "Oder die Kreuzigung im Dunkeln."

Der Gemeinderat hatte Stückls Wunsch vor einem Jahr mit 14 zu fünf Stimmen abgesegnet. Der Spielleiter will seine Darsteller nicht mehr länger am Vormittag auf die Bühne schicken.

Nur in Bayern ist es möglich, einen Gemeinderatsbeschluss nach zwölf Monaten anzufechten. Am 17.Juni sind 4015 Oberammergauer aufgerufen, ihr Kreuz für oder gegen das "Nachtspiel" zu machen.

Das sind weit mehr als bei der Passion überhaupt mitwirken dürfen. 20 Jahre mindestens muss ein Mitspieler in Oberammergau gelebt haben. Zwei Tage vor der Volksabstimmung, am 15. Juni, hat "Jeremias", das Propheten-Epos von Stefan Zweig, im Passionsspielhaus Premiere.

Die Inszenierung muss gelingen, denn sie wird meinungsbildend sein. Für oder gegen Stückl. Der Passionsspielleiter selbst hat die Abstimmung personalisiert. Gibt es keine Mehrheit für sein Konzept, will er hinwerfen.

Einbußen bei den Souvenirs

500 Oberammergauer Laien machen mit beim "Jeremias". Stückl kann mit Menschenmassen umgehen. Von der geplanten Säulenhalle steht erst das Fundament auf der Bühne. Anton Burkhart, der den König Zedekia spielt, und Martin Norz als Jeremias haben unter Stückl beim Passionsspiel 2000 den Jesus gemimt.

Dem Toni und dem Tini vertraut der Regisseur. Er hört ihren Vorschlägen zu, baut sie mit ein an diesem Probennachmittag im Passionstheater. Noch immer ziehen Vögel und Wolken über die Köpfe der Schauspieler. Das längst beschlossene Dach kommt vielleicht in einem Jahr. Veränderungen brauchen ihre Zeit in Oberammergau.

"Unter den Schauspielern gibt es sicher auch Nachtspiel-Gegner", sagt Stückl. Solche, die ein Souvenirgeschäft im Dorf betreiben und Einbußen befürchten, wenn die Passionsgäste nicht wie früher nach Theaterschluss um 17.30 Uhr Zeit zum Bummeln haben. Oder andere, die Privatzimmer vermieten und nicht bis Mitternacht auf ihre Gäste warten wollen.

Ruhm bis nach Übersee

Jeder verfolge nur seine privaten Belange, sagt Stückl und schnauft. Es ärgert ihn. Er ist gebürtiger Oberammergauer und im Wirtshaus seiner Eltern groß geworden. Er kennt finanzielle Erwägungen.

In Oberammergau fließt das Geld auch zwischen den Passionsspieljahren. Die Gemeinde ist reich geworden durch das Spiel vom Leiden und Sterben Jesu Christi. Es alle zehn Jahre aufzuführen, gelobten Pestkranke 1633.

Es hat Oberammergau Ruhm bis nach Übersee gebracht. In den Schaufenstern hängen fast überall englischsprachige Hinweisschilder, nicht immer korrekt, aber dem ausländischen Durchschnittstouristen verständlich. Der kommt auch wegen der Holzbildhauer, die hier Herrgottsschnitzer heißen, weil die religiösen Motive überwiegen.

Auch Stückl, Jahrgang 61, hat nach dem Abitur Anfang der Achtziger das Schnitzen gelernt. Doch das Spielen mit lebenden Figuren liegt ihm mehr. Er war Assistent von Dieter Dorn an den Kammerspielen.

Ein leidenschaftlicher Theatermacher

Von 1991 bis 1996 inszenierte er selbst an dem Münchner Theater. Am Wiener Schauspielhaus brachte er Vladimir Sorokins "Dysmorphomanie" auf die Bühne, in Frankfurt Botho Strauß. Den Salzburger "Jedermann" hat er entstaubt und sich über die Kritik erhoben.

Stückl ist ein leidenschaftlicher Theatermacher, er spricht von Visionen, ohne sich dabei in Provokationen zu verlieren wie etwa ein Schlingensief. Seine Herkunft hat ihn geerdet. Dieter Dorn habe ihn einmal gefragt, warum er wieder in Oberammergau Regie führen wolle, erzählt Stückl. "Wenn du einmal auf der Bühne dort gestanden hast, dann willst du das", hat er ihm geantwortet.

Die Passion sei in seinem Herzen, er wolle sie voranbringen. Er wiederholt das immer wieder. Deshalb sollen auch Stefan Hageneiers Kostüme überarbeitet werden. Die Ästhetik des Theaters ändert sich innerhalb zehn Jahren wie die Kleidermode. Es braucht keinen Propheten für diese Erkenntnis. Der gilt eh nicht viel im eigenen Dorf.

Jeder will mitreden

Als Zwölfjähriger hatte sich Stückl dem damaligen Spielleiter als Assistent aufgedrängt. Mit 27 bekommt er selbst die Aufgabe. Kein Spielleiter war so jung wie er, doch er ist umstritten. Stückl überarbeitet den Text, streicht judenfeindliche Passagen, wird dafür angegriffen.

Seit 1930 hatte niemand so viel Neues ins Spiel gebracht. Vor der Passion 2000, die fast 500000 Menschen sahen, gab es drei Bürgerentscheide. So viele wie in keiner anderen bayerischen Gemeinde in so kurzer Zeit. Beim Passionsspiel will jeder mitreden. Nur die Emotionen, die es auslöst, drehen sich erstaunlich wenig um den Inhalt.

Stückl, gewohnt auf der Bühne zu stehen, pariert mit kräftiger Stimme jedes Argument auf der Bürgerversammlung. Was ist, wenn's zu kalt wird am Abend? "Der Orchestergraben ist sowieso schon beheizt, die Zuschauer kriegen Decken." Und wenn die Zuschauer einschlafen? Gelächter füllt den Saal. Wer geht im Hochsommer schon früh zu Bett? "Mein Gott, um was sich der Stückl alles kümmern muss", sagt eine Frau.

Er könnte seine Zeit für "Jeremias" nutzen, für das Münchner Volkstheater, dessen Intendant er ist, oder für die Passion. Die sei schließlich ein Thema der Dunkelheit, hat ihm ein Benediktinerpater aus Niederalteich zur Unterstützung geschrieben.

Er verweist auf Lukas Kapitel 23. Nach zwei Stunden Diskussion sagt Max Heigl, einer der Initiatoren des Bürgerbegehrens, etwas sehr Entlarvendes und zeigt, wie tief der Argwohn bei manchen Oberammergauern sitzt: "Christian, du hast immer durchgesetzt, was Du wolltest. Nur diesmal ist es halt nicht so leicht."

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