Auch beim 41. Passauer Scharfrichterbeil, dem vielleicht renommiertesten Kabarett-Nachwuchswettbewerb im süddeutschen Raum, fand der Preis wieder unerbittlich seine Träger, um ein altes Dieter-Hildebrandt-Zitat zu bemühen. Der aus der Kölner Szene kommende Henning Schmittke gewann am Mittwochabend das große Beil, der Münchner Musikkabarettist Florian Wagner das mittlere und der Salzburger Florian Strohriegl das kleine.
Es war eine der Tradition des Hauses und des Preises verpflichtete Wahl: Proporz-wahrend, was die verschiedenen – immer schwer gegeneinander zu wertenden – Kabarett-Spielarten angeht; unanfechtbar, was die Qualität betrifft. Angefangen mit Florian Strohriegl, der klar in der Erbfolge der österreichischen Kabarett-Granden stand: Zwischen verführerischem Schmäh und sperrigem Anarchismus (etwa wenn er schon zum Einstieg mit einem fulminant schlechten Trompetensolo „die Quintessenz eines Mario-Barth-Programms musikalisch illustriert“) bewegt sich seine Bühnenfigur, die zu überraschen weiß und der es nur noch etwas am Timing fehlt.
Der studierte Musiker Florian Wagner wiederum bestach durch eine wundervolle Stimme, ein für die Kleinkunstszene herausragend virtuoses Klavierspiel sowie vor allem durch die rare Kunst, Humor nicht nur über die Texte zu transportieren, sondern aus der Musik selbst zu entwickeln. Etwa wenn er Helene Fischers „Atemlos“ à la Mozart oder ABBA à la Beethoven erklingen lässt.
Henning Schmittke schließlich hatte wohl nicht zuletzt deshalb die Nase vorn, weil in seinem Mix aus Comedy, (Musik-)Kabarett und Infotainment noch am ehesten Haltung zu erkennen war. Und zwar mit einem sehr konsequent verdichteten Programmgerüst, von dem aus er eine eigenwillige neue Perspektive entwickelte: Bei den Ausschnitten aus seinem Programm „Es ist nicht alles so scheiße, wie du denkst“ ging es einmal nicht um Probleme und schlechte Nachrichten, sondern um das insgeheim Erreichte, um die sozusagen unbemerkten Fortschritte der Menschheit. Ein sehr erwachsen präsentierter, herrlich unzeitgemäßer Aufruf zur Zuversicht also.
Was vorzüglich zum Running Gag der glänzenden, sehr, sehr lustigen Moderation von Philipp Weber (Beil-Gewinner 2002) passte, der seine in fulminanten Herold-Ausrufen endenden Überleitungen zwischen den Kandidaten mit der Kant’schen Frage nach dem sittlich-freiheitlichen Fortschritt der Menschheit verband.
Bei den drei nicht mit Beilen bedachten Aspiranten lag es eher an Nuancen. Der Franke Matthias Walz war der Jury als gewiefter Karnevalist vielleicht schon zu professionell; der vom Radio kommende Münchner Musikkabarettist Bewie Bauer hatte neben einem wirklich starken Verschwörungstheoretiker-Song sehr glatte Nummern am Start; und Verena Richter, nach gleichberechtigteren Jahren heuer die einzige Frau im Wettbewerb, scheiterte mit ihren durchaus klugen und witzigen Inhalten an der Tagesform und fand keinen Draht zum Publikum.
Schon immer waren Nachwuchspreise wie das Scharfrichterbeil (oder früher auch der Kabarett-Kaktus) nicht nur eine erhellende Momentaufnahme der aktuellen Szene, sondern auch ein Gradmesser für künftige Entwicklungen. So gesehen kann es einem nach dieser Beil-Ausgabe angst und bange werden. Der Jüngste im Feld, Florian Strohriegl, war 34. Das Material des Kabarett-Spätstarters stammte auch schon aus seinem dritten Programm. Genau wie beim gleich alten Florian Wagner – der freilich schon seit 2007 mit seinem Bruder Dominik als Ass-Dur auf der Bühne steht und zwei Dutzend Preise eingeheimst hat, also ein altgedienter Vollprofi ist.
Bewie Bauer ist 49, der Sieger Hennig Schmittke gar 54. Mag sein, dass nach einem streng ausgelegten Kabarettbegriff alle Bewerber Novizen waren. In einer um Radio, Poetry-Slam, Literatur oder Varieté erweiterten Kleinkunstlandschaft durfte man sie alle zu den alten Hasen rechnen. Nachwuchs stellt man sich jedenfalls anders vor. Was nicht an den Veranstaltern liegt. Sie müssen mit dem arbeiten, was sie bekommen. Und es gibt derzeit offensichtlich keine anderen, qualifizierten, jungen Bewerber. Was nicht nur etwas über den Zustand der Kabarettszene aussagt, sondern auch über den der Politik, der Gesellschaft, der Demokratie.