Süddeutsche Zeitung

Passau:Der rätselhafte Tod des Maurice K.

  • Der 15-jährige Maurice K. ist im Frühjahr nach einer Schlägerei gestorben.
  • Der Prozess neigt sich dem Ende zu. Die Staatsanwaltschaft fordert in ihren Plädoyers hohe Strafen.
  • Unklar ist, wer genau welche Rolle spielte bei den Vorfällen. Und auch woran Maurice letztlich starb, kann auch eine Sachverständige nicht beantworten.

Aus dem Gericht von Hans Holzhaider, Passau

Der Prozess vor dem Landgericht Passau um den Tod des 15-jährigen Maurice K. steht kurz vor dem Abschluss. Am Mittwoch hielten der Staatsanwalt, die Nebenkläger und die Verteidiger ihre Plädoyers. Das Urteil soll am 17. Januar verkündet werden.

Staatsanwalt Jürgen Heinrich forderte für Kevin C. (die Namen aller Angeklagten sind verändert), mit 25 der älteste der Angeklagten, eine Freiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten, für die drei jugendlichen Angeklagten Jugendstrafen zwischen zwei Jahren mit Bewährung und drei Jahren und drei Monaten ohne Bewährung. Gegen zwei der ursprünglich sechs Angeklagten, den 17-jährigen Kerim F. und den 21-jährigen Damian B. hatte das Gericht schon während der Verhandlung das Verfahren eingestellt.

Maurice K. war am Abend des 16. April 2018 gestorben, nachdem er sich in einer Unterführung in der Nähe des Passauer Hauptbahnhofs mit dem 16 Jahre alten Larry D. eine Schlägerei geliefert hatte. Einen konkreten Anlass dafür hatte es nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht gegeben. Maurice und Larry hatten sich am Nachmittag zu der Schlägerei nach dem Motto "eins gegen eins" verabredet, weil sich Maurice angeblich anderen Jugendlichen gegenüber abfällig über Larry geäußert hatte. Angezettelt hatte den Streit der 17 Jahre alte Kerim F., der ebenfalls, wie Zeugen vor Gericht aussagten, den Termin für die Schlägerei über den Nachrichtendienst Whatsapp verbreitet hatte.

Etwa 20 Jugendliche und junge Erwachsene schauten dann am Abend zu, als Maurice und Larry in der Unterführung "Am Schanzl" aufeinander losgingen. Sie wurden alle als Zeugen vernommen, trotzdem blieben auch vor Gericht einige Unklarheiten über den Ablauf der Schlägerei. Larry D. gab zu, dass er als erster zugeschlagen habe: "Ich bin auf ihn zugegangen, hab' gesagt, er soll aufhören, so über mich zu reden, und hab' ihm eine Watschn gegeben." Dann traktierten sich beide mit Faustschlägen, Larry ging mindestens einmal zu Boden.

Mehrere Zeugen sagten, Maurice habe mit dem Fuß nach dem am Boden liegenden Larry treten wollen. Timur A., 17, sagte, er habe sich deshalb eingemischt und Maurice einen Faustschlag versetzt. Muharrem E., 15, wollte seinem Cousin Timur zu Hilfe kommen und sprang Maurice von hinten an. Das wiederum veranlasste Kevin C., einen weiteren Cousin von Timur und Muharrem, in die Schlägerei einzugreifen. "Koana schlagt oan aus meiner Familie", sagte er vor Gericht. Er habe Maurice K. zwei Faustschläge versetzt, davon einen sehr heftigen an die Schläfe. Maurice habe keine Wirkung gezeigt, sagte Kevin C. Er sei "ganz normal weggegangen".

Die Schlägerei endete abrupt, als eine slowenische Kellnerin, die gerade von der Arbeit kam, die Jugendlichen aufforderte aufzuhören und drohte, die Polizei zu rufen. Maurice war, wie seine Freundin aussagte, zu diesem Zeitpunkt deutlich angeschlagen, konnte aber noch bis zur Treppe am Ausgang der Unterführung gehen. Dort setzte er sich zunächst auf die Treppe; als er dann wieder aufstehen wollte, sei er bewusstlos zusammengebrochen, berichtete die Freundin. Ein zufällig vorbeikommender Passant begann sofort mit Wiederbelebungsversuchen, aber als kurz darauf der Notarzt eintraf, gab Maurice schon kein Lebenszeichen mehr von sich. Er starb kurz darauf im Krankenhaus.

Unklar blieb im Prozess vor allem die Rolle von Larry D., dem Gegner von Maurice. Er selbst sagte, er habe sich, nachdem er zu Boden gegangen war, nicht mehr an der Schlägerei beteiligt, sondern sei, als die Kellnerin auftauchte, gleich weggegangen. Die Kellnerin aber war sich ganz sicher, dass Larry, als sie am Ort des Geschehens ankam, noch mit beiden Fäusten auf Maurice einschlug.

Rätselhaft blieb auch bis zuletzt, welche Verletzungen eigentlich zum Tod von Maurice K. führten. Die Gerichtsmedizinerin Elisabeth Mützel nannte als Todesursache die Einatmung von Blut "im Sinn eines Erstickens". Die einzige mögliche Quelle der Blutung sei ein mehrfacher Bruch des Nasenbeins. Eine solche Verletzung habe aber immer eine massive Blutung aus der Nase zur Folge, sagte die Sachverständige. Keiner der Zeugen hatte jedoch Blut gesehen. Auch am T-Shirt von Maurice K. gab es keinerlei Blutspuren. "Wir können das nicht erklären", sagte die Sachverständige vor Gericht.

Aus diesem Grund wich Staatsanwalt Jürgen Heinrich vom ursprünglichen Anklagevorwurf der Körperverletzung mit Todesfolge ab und plädierte nur noch auf gefährliche Körperverletzung und Beteiligung an einer Schlägerei. Das ist ein Tatbestand, der nur recht selten angeklagt wird. Er bedroht denjenigen mit bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe, der "sich an einer Schlägerei oder an einem von mehreren verübten Angriff beteiligt, wenn durch die Schlägerei oder den Angriff der Tod eines Menschen verursacht worden ist".

Die härteste Strafe forderte der Staatsanwalt für Kevin C., der den letzten, wuchtigen Schlag gegen Maurice K. geführt hatte. Kevin C. ist mehrfach vorbestraft und seit vielen Jahren drogenabhängig; trotzdem lehnte der Staatsanwalt die von der Verteidigung geforderte Einweisung in eine Entziehungsanstalt ab. Kevin C. war auch angeklagt, unerlaubt eine Schusswaffe mitgeführt und eine ehemalige Freundin geschlagen, gewürgt und mit einem Messer bedroht zu haben. Wegen der Schusswaffe forderte der Staatsanwalt zusätzlich zehn Monate Freiheitsstrafe; die Anklage wegen des Angriffs auf die Freundin wurde eingestellt, weil die ihre ursprüngliche Aussage so relativierte, dass von dem Vorwurf nichts mehr übrig blieb.

Für Larry D. forderte der Staatsanwalt eine Jugendstrafe von drei Jahren und drei Monaten, für Muharrem E. drei Jahre, und für Timur A. zwei Jahre, die zur Bewährung ausgesetzt werden sollen. Die Verteidiger von Larry D. und Timur A. forderten für ihre Mandanten Freispruch; der Verteidiger von Muharrem E. hält die Ableistung von Sozialstunden und den Verbleib in einer Jugendhilfeeinrichtung für die geeignete Maßnahme.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4281969
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 11.01.2019
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.