Donnerstagvormittag im Landtag, das Leben könnte so schön sein: SPD, Grüne und Freie Wähler füllen die Ränge im Saal, das kleine Häuflein erschienener CSU-Parlamentarier verliert sich im Halbrund.
Der Rest der Regierungsmehrheit schwänzt den Auftakt der Plenarsitzung. SPD-Fraktionschef Markus Rinderspacher brilliert mit einer pointierten Rede zur Münchner S-Bahn, richtig entgegenzusetzen hat keiner etwas. Gäbe es eine Abstimmung, die Opposition hätte eine klare Mehrheit. Aber es gibt gerade nichts abzustimmen, und der Traum von der Mehrheit findet einmal mehr nur im Kopf statt.
Immer mehr Abgeordneten von SPD, Grünen und Freien Wählern schwant, dass dies ein Dauerzustand bleiben könnte. Es gab einmal so etwas wie Aufbruchstimmung, als der populäre Münchner OB Christian Ude im vergangenen Sommer die Spitzenkandidatur für die SPD übernahm.
Nun ist die gute Laune fürs Erste verflogen. Stattdessen macht das Wort von der "Delle" die Runde. Das Projekt Regierungsübernahme stagniert, an Umfragezahlen ist ablesbar, dass die CSU alleine weit vor den drei Oppositionsparteien zusammen liegt.
Dass es schwer wird, hatte Ude von Anfang an prophezeit. Dass es Rückschläge geben könnte auch. Nun kommt noch etwas Unangenehmes dazu: Die Opposition hat es nicht mehr selbst in der Hand. Wäre jetzt Wahl, dann wären die Piraten mit acht Prozent so stark, dass sie sowohl eine absolute CSU-Mehrheit verhindern würden als auch eine Ude-Koalition.
Realistisch wäre damit nur ein CSU-geführtes Bündnis mit Hubert Aiwangers Freien Wählern. Oder eine große Koalition, die angesichts des riesigen Stimmenunterschieds zwischen CSU und SPD allerdings keine ausgeglichene wäre.
"Beunruhigend" sei der Piraten-Boom, findet auch Ude, da er "das angestrebte Dreierbündnis zeitweise schwächt". Doch schließlich seien auch die Grünen nach dem Reaktorunglück von Fukushima vor einem Jahr schon einmal bei 27 Prozent gewesen - und jetzt wieder bei elf. Ude: "Es ist durchaus möglich, dass auch das Feuerwerk der Piraten bald zu Ende geht."
Erst kürzlich hatte Amtsinhaber Horst Seehofer Salz in die Wunden der SPD gestreut, als er zu der von der CSU selbst in Auftrag gegebenen Umfrage sagte: "Es gibt keine Wechselstimmung, es gibt keinen Ude-Effekt." Den gebe es wohl, kontert Rinderspacher: Seit Udes Kandidatur sei die SPD von 15 auf 20 Prozent gestiegen.
Andere in der Fraktion sehen das skeptisch. Noch sei die Stimmung pro Ude ungebrochen. Aber das könne sich ändern, wenn auch künftige Umfragen nicht auf einen Machtwechsel hinweisen. "Wir können uns noch steigern", verspricht Ude: "Bei der CSU hingegen platzen die ersten Wahlversprechen jetzt schon."
Bislang jedenfalls tritt die Opposition auf der Stelle, vor allem deswegen, weil Grüne und Freie Wähler mehr verlieren, als die SPD gewinnt. Grünen-Spitzenkandidatin Margarete Bause will darauf mit zugespitzter Sacharbeit reagieren, etwa bei der Energiewende. Versäumnisse habe sich die Opposition nicht vorzuwerfen, meint sie. "Aber natürlich haben wir noch nicht alle unsere Möglichkeiten ausgeschöpft." Ihr Fraktionskollege Ludwig Hartmann weiß, wie es sich anfühlt, knapp zu scheitern. Er wäre neulich fast Oberbürgermeister in Landsberg am Lech geworden - mit 33 Jahren. Es fehlten nicht viele Stimmen. Er überlegt immer noch, ob er alles gegeben hat.
Für die Landes-Grünen hat er da im Moment so seine Zweifel: "Wir haben im vergangenen Jahr auf unser Umfrage-Hoch gesetzt, die SPD auf den Ude-Effekt." Und jetzt ist irgendwie die Luft raus. Für Hartmann steht fest: Grüne, SPD, Freie Wähler sind viel zu früh in den Wahlkampf gestartet. Zu sehr war man von sich selbst und guten Umfragewerten berauscht. "Wir haben uns vom eigenen Hype zu lange treiben lassen."
Wenn etwas das Bündnis verbindet, dann der Wunsch, selbst mal regieren zu dürfen. Es ist oft die Rede vom Machtwechsel, öfter als vom Politikwechsel. Ein Dreivierteljahr existiert das Bündnis, aber es hat noch keine gemeinsame Agenda hervorgebracht. Nicht einmal eine gemeinsame Prioritätenliste. Man weiß nicht, was man bekommt, wenn die drei einmal regieren sollten.
Das liegt auch an Hubert Aiwanger, Chef der Freien Wähler. Der große Unentschlossene. Bevor die Piraten die Parlamente enterten, war er die Attraktion. Die Umfragen deuteten darauf hin, dass seine Parteifreien die Königsmacher sein könnten. Monatelang kokettierte er damit, er könne SPD und Grünen zum Regierungswechsel verhelfen - oder aber als kleiner Koalitionspartner der CSU das Überleben an der Macht sichern.
Entscheiden wollte er sich nie. Das machte Aiwanger interessant. Und er hat es genossen, wichtig zu sein. Aber jetzt schauen alle auf die Piraten - und die Freien Wähler können sich längst nicht mehr so sicher sein, gebraucht zu werden.
Auch Aiwanger spürt den Durchhänger. "Von den Grünen kommt nicht mehr die Innovationskraft, die wir einmal hatten", ätzt er. "Etwas perspektivlos" seien sie, nachdem Schwarz-Gelb ihnen den Atomausstieg abgenommen habe. Auch Ude könnte mehr Gas geben, meint Aiwanger. "Er müsste jetzt stärker dazu übergehen, landespolitische Themen zu besetzen."
Dass Ude sich in Bayern nicht wirklich auskennt, zum Beispiel Bamberg größer machte, als die Stadt ist, nennt er "kontraproduktiv". Für ihn steht fest, an den Freien Wählern liege es nicht: "Es liegt an Rot-Grün, das Dreierbündnis zu befeuern."