Frauen im Landtag:Parität in Bayern - ein Angriff auf die Demokratie?

Frauen im Landtag: 205 Abgeordnete hat der Landtag in der 18. Legislaturperiode. 150 davon, fast drei Viertel, sind Männer. Nahezu ausgeglichen ist das Verhältnis nur bei SPD und Grünen.

205 Abgeordnete hat der Landtag in der 18. Legislaturperiode. 150 davon, fast drei Viertel, sind Männer. Nahezu ausgeglichen ist das Verhältnis nur bei SPD und Grünen.

(Foto: Illustration: Zsuzsanna Schemberg/SZ)
  • Der Frauenanteil im bayerischen Landtag beträgt 26,8 Prozent. Grüne und SPD finden: Es ist an der Zeit, dass der Staat eingreift.
  • Nach Ansicht der CSU reißt ein solches Gesetz nichts weniger als die Grundpfeiler der Demokratie ein.
  • Ein Paritätsgesetz würde Parteien dazu verpflichten, ihre Wahlkreislisten abwechselnd mit einem Mann und einer Frau zu besetzen - wie nun in Brandenburg.
  • Wegen des bayerischen Wahlrechts allerdings hätte eine solche Regelung kaum Auswirkungen. Die Grünen wollen deshalb an die Direktmandate ran und die Stimmkreise vergrößern.

Von Lisa Schnell

Katharina Schulze ist kaum zu hören. Sie hat ein Mikro und eine kräftige Simme, die Empörungsrufe aber sind lauter. Was die Fraktionschefin der Grünen da von sich gibt, scheint ihre Zuhörer schier wahnsinnig zu machen. "Verfassungswidrig" - mit diesem Wort beschreibt Schulze nicht die AfD, nicht irgendein Gesetz, nein, verfassungswidrig nennt sie das Parlament, die 205 frei, gleich und geheim gewählten Abgeordneten wie sie da vor ihr sitzen und zwar aus einem Grund: Sie sind fast alle männlich.

Keine Debatte hat den Blutdruck im Landtag diese Woche so in die Höhe getrieben wie die um ein Gesetz zur faktischen Gleichstellung von Mann und Frau im Parlament. Es geht um Patriarchat und Befreiungskampf, um das ewige Ringen von Freiheit und Gleichheit, ja, um den Wesenskern der Demokratie. Ohne große Worte kommt die Diskussion nicht aus. Ohne große Gefühle und rote Köpfe meist auch nicht. Dabei hat jede Seite Argumente, die es verdienen, gehört zu werden. Ein Versuch der Versachlichung:

Am Anfang stehen Zahlen, die durchaus auch Männer nachdenklich stimmen. 100 Jahre ist es her, dass die ersten Frauen ins Parlament einzogen. 100 lange Jahre und immer noch hat die Hälfte der Menschheit nicht die Hälfte der Macht. Nicht im deutschen Bundestag und nicht im bayerischen Landtag, wo der Frauenanteil 26,8 Prozent beträgt. Ja, Frauen werden bei den jüngsten Wahlen sogar weniger.

Ist es also Zeit, dass der Staat den Frauen den Weg ins Parlament ebnet? So sehen das Grüne und SPD in Bayern, so hat es gerade Brandenburg als erstes Bundesland mit einem Paritätsgesetz beschlossen. Oder ist es so wie die CSU sagt, und ein solches Gesetz reißt nichts weniger als die Grundpfeiler der Demokratie ein? Was ist nun verfassungswidrig: Dass nicht 50 Prozent Frauen im Parlament sitzen, obwohl sie mehr als 50 Prozent des Volkes ausmachen oder dass der Staat den Parteien vorschreibt, wen sie zur Wahl aufstellen?

Wer der Parité-Bewegung nachspürt landet unweigerlich bei Silke Laskowski. Die 53-jährige Professorin für öffentliches Recht an der Universität Kassel vertrat vor dem Bayerischen Verfassungsgerichtshof eine Popularklage für ein Paritätsgesetz. Initiiert hatte die Klage 2016 das Bündnis Parité. Ihre These: Die Wahlgesetze in Bayern verstoßen gegen die Verfassung, da sie die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung im Parlament verhindern. Genau dazu sei der Staat laut Laskowski nach Artikel 3 des Grundgesetzes verpflichtet. Dort heißt es: "Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin." Es sei also Aufgabe des Staates, dass Männer und Frauen nicht nur auf dem Papier gleiche Rechte haben, sondern auch in der Realität - etwa durch ein Paritätsgesetz wie es die Grünen vorschlagen.

Es verpflichtet Parteien dazu, ihre Wahlkreislisten abwechselnd mit einem Mann und einer Frau zu besetzen. Grüne und SPD machen das schon mit dem Ergebnis, dass sie etwa genau so viele Frauen in der Fraktion haben wie Männer. Bei der FDP dagegen ist eine Frau unter zehn Männern recht verloren. In Bayern allerdings hätte eine solche Regelung, die nur die Liste betrifft, kaum Auswirkungen, da die CSU bei der jüngsten Wahl keinen einzigen Listenplatz bekam, aber viele Direktmandate. Die Grünen wollen deshalb, anders als die SPD, an die Direktmandate ran. Die Stimmkreise sollen vergrößert werden, damit in jedem zwei Kandidaten gewählt werden können: ein Mann und eine Frau. Im Ergebnis gingen exakt die Hälfte der Direktmandate an Frauen, jetzt sind es 19 von 91.

Vereidigung bayerisches Kabinett

Markus Söder berief immerhin sechs Frauen ins Kabinett.

(Foto: Tobias Hase/dpa)

Für Laskowski hat ein solches Gesetz nichts mit Quote zu tun, sondern mit Demokratie. "Demokratie dient einem Ziel, der Selbstbestimmung des Volkes. Wenn die Hälfte des Volkes fehlt, führt es zur Fremdbestimmung durch die andere Hälfte." Wie so eine Fremdbestimmung aussieht, dafür hat sie viele Beispiele. Den Männern, die 1948/49 hauptsächlich das Grundgesetz schrieben, sei der heute so berühmte Gleichberechtigungsartikel nicht wichtig gewesen. Erst nach einer landesweiten Protestaktion der Trümmerfrauen schaffte er es in das Grundgesetz. Oder die Vergewaltigung in der Ehe, erst seit 1997 strafbar: Nur, weil es eine fraktionsübergreifende Koalition aus Frauen gab, kam das Gesetz durch den Bundestag.

Parteien gebe es nicht zum Selbstzweck, sie dienten dem Souverän, sagt Laskowski. Es sei ihre Aufgabe "die Perspektiven des Volkes einzufangen und ins Parlament zu bringen". Die weibliche Perspektive aber fehle. Welcher Mann hat schon Sexismuserfahrungen?

41,2% Zweitstimmen

Die CSU hinkt zwar bei der Aufstellung von Frauen hinterher. Wenn es um Wahlen geht, liegt die Partei in der Gunst der Frauen ganz vorne: Bei der Bundestagswahl 2017 wählten 41,2 Prozent der Frauen die CSU, aber nur 34,7 Prozent der Männer. Laut Landesamt für Statistik sind auch die Grünen eher eine Frauenpartei: Bei der Bundestagswahl gaben 11,6 Prozent der Frauen den Grünen ihre Stimme, aber nur 8,5 Prozent der Männer. Das männliche Geschlecht tendierte eher zur AfD: 16,3 Prozent der Männer wählten sie, bei den Frauen waren es nur 9,1 Prozent.

Nur, was ist mit den Interessen von Deutschen mit Migrationshintergrund, immerhin zwölf Prozent der Bevölkerung? Nur für die Geschlechtergleichheit gelte die Pflicht, sie auch faktisch durchzusetzen, sagt Laskowski. Das stärkste Argument von Gegnern eines Paritätsgesetzes, die Wahl- und Parteienfreiheit, nennt sie "putzig". "Wir sind gezwungen, aufgrund einer 80-Prozent-Männerquote Männer zu wählen. Unsere Wahlfreiheit ist seit 70 Jahren eingeschränkt." Parteien wie die CSU, in der fast 80 Prozent der Mitglieder Männer sind, seien von männlichen Strukturen so geprägt, dass Frauen gar nicht hochkämen.

Für den Landtag kandidieren - macht 100 000 Euro

Was Laskowski abstrakt beschreibt, hat Barbara Roth erlebt. Die 53-Jährige liebt ihre CSU, seit zehn Jahren ist sie Mitglied, gegen die jahrelang gewachsenen männlichen Seilschaften aber hätten Frauen keine Chance. Ihre Töchter seien ausgetreten. Sie wollten nicht mehr Zeit mit Bündnisschmiedereien zubringen als mit politischen Inhalten, sagt Roth. Und selbst wenn Frauen genauso gerne "klüngeln" würden wie Männer, für echte Seilschaften gebe es einfach nicht genug Frauen in der CSU.

Und dann sei da noch die Sache mit dem Geld. Roth wollte 2013 für den Landtag kandidieren. Etwa 100 000 Euro müsste sie in München mitbringen, hieß es. So viel hatte sie nicht, so viel hätten viele Frauen nicht. In der Einkommensgruppe zwischen 3500 und 4000 Euro pro Monat tauchen sie fast gar nicht auf. Ohne ein Gesetz, da ist sich Roth sicher, werde die CSU nie weiblicher. Landtagspräsidentin Ilse Aigner (CSU) kann vieles nachvollziehen. Auch sie will beim nächsten Parteitag dafür kämpfen, dass die CSU sich bei Delegiertenversammlungen eine Frauenquote von 40 Prozent gibt. Für ein Gesetz aber ist sie nicht, denn: "Was nutzt uns ein Gesetz, das verfassungsrechtlich schwierig ist?"

Nicht nur schwierig, sondern verfassungswidrig, sagt Walther Michl, Rechtswissenschaftler der LMU München. Was Laskowski als "putzig" bezeichnet, ist für ihn das Hauptargument gegen ein Paritätsgesetz. "Parteien können selbst bestimmen, welches Programm und welche Personen sie in der Öffentlichkeit repräsentieren", sagt er. Auch eine Partei, die gegen die Gleichberechtigung von Mann und Frau ist, müsse diese Position vertreten dürfen. Ihr eine Frauenquote vorzuschreiben, die sich nicht mit ihren politischen Inhalten deckt, sei nicht zulässig. Parteien seien keinesfalls dazu verpflichtet, alle gesellschaftlichen Interessen ins Parlament zu tragen. Schließlich gebe es auch Ein-Themen-Parteien: "Wenn es dem Wähler nicht gefällt, dass eine Partei ihm überwiegend Männer anbietet, muss er sie ja nicht wählen."

Die Parteienfreiheit wiegt in seinen Augen weit mehr als der Gleichheitsgrundsatz. Dort sei nur zu lesen, dass der Staat auf die Beseitigung von Nachteilen hinwirke: "Ein Passus, der im Wahlrecht keine harten Rechtspflichten beschreibt", sagt Michl und damit nicht einklagbar. Wo Laskowski eine Pflicht des Staates sieht, sieht er nur so etwas wie eine Absichtserklärung. Mit ähnlichen Argumenten lehnte der Bayerische Verfassungsgerichtshof Laskowskis Klage ab. Sie liegt nun beim Bundesverfassungsgericht.

Dass Bayern einmal ein Paritätsgesetz hat, schließt Michl aber nicht aus. In seinen Augen greift es nicht so drastisch in das Wahlrecht ein, dass die Demokratie gefährdet wäre. Die unveränderlichen Rechte des Grundgesetzes seien nicht betroffen. Die Hürden allerdings sind hoch: An drei Stellen müsste die bayerische Verfassung geändert werden. Michl sagt: "Persönlich finde ich es gut, wenn diese Entscheidung dem Volk vorgelegt wird." Theoretisch könnten die Grünen ein Volksbegehren starten. Der Ausgang wäre interessant. Schließlich ist anders als im Landtag die Hälfte des Volkes: weiblich.

Zur SZ-Startseite
100 Jahre Frauenwahlrecht - Frauen wählen zum ersten Mal

100 Jahre Frauenwahlrecht
:Wie Vereinsmeierinnen ein Grundrecht erkämpften

Am 12. November 1918 wird in Deutschland das Frauenwahlrecht eingeführt. Die Wegbereiterinnen, ihr jahrzehntelanges Ringen und die Lage in der Bundesrepublik 100 Jahre später: ein Überblick.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: