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Paradigmenwechsel bei der CSU:Aigner wirbt um Einwanderer

"Wer betrügt, fliegt": Mit ihrer Haltung zum Thema Zuwanderungspolitik hat die CSU schon mehrmals für hitzige Debatten gesorgt - und sich nebenbei Stimmen vom rechten Rand gesichert. Wenn es nach Ilse Aigner geht, soll sich das jetzt ändern.

Von Heiner Effern

Neben der Jungen Union, der Frauen-Union oder der Senioren-Union soll es künftig in der CSU auch eine Art Migranten-Union geben. Diese soll für die Partei ein bisher eher brach liegendes Wählerpotenzial anzapfen: Menschen mit ausländischen Wurzeln. Die Idee kommt von der Oberbayern-CSU, jenem Landesteil also, der aufgrund seiner prosperierenden Wirtschaft besonders viele Arbeitskräfte aus dem Ausland anzieht. Migration und Integration seien "Megathemen" der kommenden Jahrzehnte, sagt Bezirkschefin Ilse Aigner. Deshalb sei es wichtig, Einwanderer mit einer eigenen Unterorganisation aktiv in die Parteiarbeit einzubinden.

Aigner wirbt schon länger für mehr Integration in der CSU und führt dafür nüchtern Zahlen an: 2,4 Millionen Menschen in Bayern hätten Wurzeln im Ausland, sagt sie. "Das entspricht etwa einem Fünftel der Bevölkerung." Die CSU soll für sie nun eine neue "Arbeitsgemeinschaft Integration" fest installieren. Dafür wäre auf dem nächsten Parteitag eine Satzungsänderung nötig. Den Weg dafür will Aigner am Freitag mit ihren Oberbayern ebnen. Sie sollen auf ihrem Bezirksparteitag in Haimhausen einen entsprechenden Antrag verabschieden. "Die CSU sollte auf die sich verändernde Zusammensetzung der Gesellschaft reagieren", heißt es in der Begründung.

Veränderte Gesellschaft

Bisher reagierte Aigners Partei auf die Zuwanderung nach Bayern nach einem anderen Muster. Meist vor Wahlen verbreitete sie einen Slogan, der die Stimmung am rechten Rand der Partei traf, und schon kamen die Stammwähler und machten ihr Kreuz an der richtigen Stelle. Auch Ende 2013 formulierte die CSU ein komplett anderes Verständnis von Integration: "Wer betrügt, fliegt." Der Spruch richtet sich gegen arme Migranten, die angeblich nur das deutsche Sozialsystem plündern wollen. Die Parole heizte deutschlandweit eine Debatte über Zuwanderer an. Kürzlich nannte Markus Ferber, der Spitzenkandidat der CSU für die Europawahl, seinen SPD-Kollegen Martin Schulz, immerhin Präsident des EU- Parlaments, als "Geschäftsführer" krimineller Schlepperbanden. Schulz hatte sich nach den Dramen im Mittelmeer für eine herzliche Aufnahme von Flüchtlingen in der EU ausgesprochen.

Kaum vorstellbar, dass eine Migranten-Union diese Art von Wahlkampf tolerieren könnte. Der Vorschlag Aigners birgt also Konfliktpotenzial mit dem rechten Flügel ihrer Partei. Doch Aigner dürfte nicht allein dastehen mit ihrem Bestreben, die Partei zu öffnen. Schon länger diskutiert die CSU über eine "Willkommenskultur" für Ausländer. Allerdings meist bezogen auf Studenten und Spitzenkräfte. Sie wird bereits in einem Papier der CSU-Zukunftskommission gefordert, das unter der Leitung des niederbayerischen Bezirkschefs Manfred Weber 2011 veröffentlicht wurde. Bayern brauche Fachkräfte aus dem Ausland, um weiter wirtschaftlich stark zu bleiben, heißt es darin.

Die neue Arbeitsgemeinschaft "Integration" soll wie die acht bestehenden dafür sorgen, dass eine bestimmte Bevölkerungsgruppe eng an die CSU gebunden wird. Ihre Mitglieder sollen das Programm der CSU in ihrem Umfeld verbreiten, Mitglieder werben und Lösungen für ihre Probleme suchen. "Wir wollen auch für diese Menschen Heimat sein", sagt Oberbayern-Chefin Ilse Aigner und meint damit nicht nur das Land, sondern auch ihre eigene Partei. Alle Bereiche seien "von den Herausforderungen durch Migration und Integration" betroffen, heißt es in ihrem Antrag. Der demografische Wandel habe "eine in Qualität und Quantität bislang ungeahnte Dynamik erreicht". Die CSU müsse deshalb stets prüfen, welche Wirkung ihre Politik auf die Integration habe.

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SZ vom 16.05.2014/wolf
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