Süddeutsche Zeitung

Pädagogik mal neun:Zwischen Ethik und Elite

Die anderen neun bayerischen Universitäten setzen eigene Schwerpunkte, um Studenten von ihrem Konzept zu überzeugen

Von Anna Günther

Ein Rahmen sei die Lehramtsprüfungsordung (LPO I), mehr nicht, heißt es an den bayerischen Unis. Sie setzen erfolgreich eigene Akzente: Viele profitieren regelmäßig vom Millionenbudget der "Qualitätsoffensive Lehrerbildung", mit der Bund und Länder innovative Projekte fördern. Die neue Fassung der LPO I soll am 1. Dezember in Kraft treten, darin werden Ethik, Medienbildung, Digitalisierung sowie Nachhaltige Entwicklung gestärkt. Mit diesen Themen sowie Internationalisierung und Inklusion beschäftigen sich alle bayerischen Unis. Unterschiede liegen in Details.

Passau

Die jüngste Universität Bayerns gilt als Lehrer-Bastion, die 2440 angehenden Pädagogen haben sogar eine eigene Studentenvertretung. Tradition ist Währung an Unis, daher ist Matthias Brandl, Chef des Lehrerbildungszentrums (LBZ), stolz, dass die 1973 gegründete Uni oft Vorreiter ist: Das LBZ als Schnittstelle aller Lehramtsfächer ist Standard, getestet wurde sie von 2003 an in Passau. Auch die Probierphase für digitale Lehr- und Lernlabore fand dort statt, derzeit werden sie an allen Unis gebaut. In den digitalen Klassenzimmern testen Studenten Apps, Schulbücher und andere Gimmicks, um im Unterricht digital mithalten zu können. Pionier wollen die Passauer mit dem digitalen Lehrerzimmer sein, und mit Stipendien des Deutschen Akademischen Auslandsdienstes (DAAD) weit mehr Lehramtsstudenten als bisher zum Auslandsaufenthalt animieren.

Regensburg

Schön finden die Regensburger Uni wohl nur Anhänger des Brutalismus. Beliebt ist sie trotzdem: Gut 21 000 Frauen und Männer studieren im Betoncharme, fast ein Viertel von ihnen will Lehrer werden. LBZ-Chef Karsten Rincke führt das auf die praxis- und empirieorientierte Lehrerbildung zurück: Drei Mal bekam die Uni den Zuschlag und insgesamt zwölf Millionen Euro aus der "Qualitätsoffensive Lehrerbildung". Besonders ist die enge Zusammenarbeit diverser Fachrichtungen. In Tandems erklären sich etwa angehende Physik- und Kunstlehrer Unterrichtskonzepte und hinterfragen durch fachfremdes Feedback Gewohnheiten und deren Wirksamkeit. Ein Ergebnis dieses Modells ist die Leseförderung: Schulbücher, von Erwachsenen gemacht, sind für jüngere Schüler sprachlich oft schwer verständlich. Regensburger Forscher um Anita Schilcher entwickelten ein Programm, das die Lesbarkeit von Büchern analysiert, erarbeiteten Faktoren für besseres Verständnis - und erstellten selbst ein Leseheft, das derzeit 890 Grundschulen ausprobieren.

München

Das Gerangel der Exzellenzuniversitäten um den Spitzenplatz ist in München Alltag. Bei der Lehrerbildung will die Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) die Technischen Universität (TU) durch Masse übertrumpfen: Die LMU bildet in Bayern die meisten Lehrer aus und hat das größte Angebot, alle Fachrichtungen können studiert werden. 8000 Studenten sind es in diesem Wintersemester. Damit sie alle zu Lehrerpersönlichkeiten werden, bietet die LMU ein Coaching-Programm mit Praxistipps an, etwa zu schwierigen Schülern oder Stimmtraining. Zertifikate zu Digitalisierung und Medienbildung oder Nachhaltigkeit sollen die Studenten auf aktuelle Herausforderungen und Werte-Debatten vorbereiten. Für LBZ-Direktorin Christiane Lütge liegt die Besonderheit der LMU in Größe und Vielfalt, was sich etwa in der Diskussion aller Fakultäten zur Digitalisierung in der Schule bewähre. Zudem profitieren Studenten bei Praxisangeboten, Forschung und Kooperationen mit Berkeley oder Cambridge von den Strukturen der Exzellenz-Uni. Das Angebot der TU ist enger gefasst. Kristina Reiss, Direktorin der TUM School of Education, sieht das als Vorteil: Das Studium sei individueller und mit großem Praxisbezug sowie Referenzschulen stärker auf den Schuldienst zugeschnitten. Mathestudenten sitzen nicht oft mit Mathelehrern zusammen, zu unterschiedlich seien die Berufsanforderungen. Die 1200 Studenten können Bachelor und Master zusätzlich zum Staatsexamen machen. Wer das Examen nicht schafft, hat trotzdem einen Abschluss. Und die School of Education ist eine Fakultät. Die anderen Lehrerbildungszentren sind meist Koordinierungsstellen. Reiss kann also auf Augenhöhe mit anderen Fakultäten verhandeln.

Erlangen/Nürnberg

Die Lehrerbildung an der Friedrich-Alexander-Universität in Erlangen und Nürnberg hat, was sonst keine in Bayern bietet: Seit 2003 werden die Lehrer für den Islamischen Unterricht an staatlichen Schulen ausgebildet. Darüber hinaus können die 5152 Lehramtsstudenten der FAU fast alle möglichen Kombinationen wählen, sagt Bärbel Kopp, Vizepräsidentin Education. Sonderpädagogik fehlt, dafür sei der Lehrstuhl speziell für Mittelschulpädagogik ein weiteres Unikum. Ein Schwerpunkt liegt im Lehramt für Berufliche Schulen, einmalig ist der Studiengang Wirtschafts- und Berufspädagogik für Metall- und Elektrotechnik. Einen Gegenpol zur Technik bildet die Akademie für Schultheater und performative Bildung.

Bamberg

Kulturelle Bildung wird in der Lehrerausbildung an der Otto-Friedrich-Universität groß geschrieben. Weil es sich für die 12 700 Studenten, davon2600 Lehrer, in einer Welterbestadt wie Bamberg so gehöre, findet LBZ-Sprecher Konstantin Lindner. Kultur ist für ihn mehr als die Fächer Kunst und Musik, es gibt ein eigenes Programm samt Wahlseminaren und Ringvorlesung. "Ich kann den Bamberger Dom nicht verstehen, wenn ich nichts von Theologie, Kunst oder mittelalterlichen Schriften weiß." Lehrer müssten Sprachbilder verstehen und gewappnet sein, wenn Kultur politisiert wird, etwa bei Abgrenzung von anderen. Wie sie damit umgehen, wenn Schüler oder Eltern dieses und andere polarisierende Themen aufbringen oder Hilfe suchen, lernen Studenten im Bamberger Beratungsprojekt. Ein Unikum in Bayern, sagt Lindner, wie der Studiengang Berufliche Bildung Fachrichtung Sozialpädagogik, in dem alle studieren, die später an Fachakademien und Berufsfachschulen angehende Sozialpädagogen unterrichten.

Würzburg

Bayerns älteste Universität gilt als größte Lehrerbildungsstätte Nordbayerns: Fast 6000 der 29 000 jungen Frauen und Männer studieren an der Julius-Maximilians-Universität in Würzburg ein Lehramt. Eine Besonderheit der JMU ist die Sonderpädagogik. In den Siebzigerjahren begannen Pädagogikprofessoren mit dem Ausbau, heute bilden 1465 angehende Förderschullehrer die zweitgrößte Gruppe nach den Gymnasiallehrern. Bisher konnten sie nur in Würzburg und München studieren, 2020 soll Regensburg folgen. Würzburg bietet mit dem neuen Bereich "Sehen" alle Fördergebiete an. Das Mind-Center für spezielle Didaktik naturwissenschaftlicher Fächer ist besonders: Würzburger Studenten lernen intensiv mit Kindern, wie sie ihnen besser Mathe, Bio, Erdkunde, Chemie und Physik beibringen. Die Rückmeldung der Seminarlehrer an den Schulen sei sehr positiv, sagt Matthias Erhardt, Schulpädagoge und Geschäftsführer der Professional School of Education (PSE). Mit der PSE sollte die Würzburger Bildungsforschung ausgebaut werden, zudem gibt es Wahlkurse für Studenten, etwa zum Umgang mit traumatisierten Schülern, zu Inklusion oder Stimmbildung.

Bayreuth

Die Universität Bayreuth wirbt mit individueller Betreuung und engem Kontakt zwischen Dozenten und Lehramtsstudenten, dem Gegenteil dessen, was sie in Bayreuth "Massenuniversität" nennen. Dabei haben die 1100 Pädagogen dort ähnliche Möglichkeiten wie an der großen Münchner TU: Sie können parallel zum Staatsexamen ihren Bachelor und Master machen, um Optionen zu haben, falls sie sich umentscheiden. Didaktisch sollten sie sehr gut sein, Unterrichtsmethoden werden doppelt so stark gewichtet wie in der LPO I vorgeschrieben. Ein weiterer Schwerpunkt ist Diversität. Frauen und Männer sollen auf heterogene Klassen vorbereitet und selbst differenziert unterstützt werden, sagt LBZ-Direktor Volker Ulm. Neben Hilfen für Schwächere wird für besonders begabte angehende Lehrer für Mathe, Informatik, Naturwissenschaften und Technik ein "Elite-Programm" angeboten. "Mint-Lehramt Plus" ist im Elitenetzwerk Bayern das einzige Angebot für Lehrer. Entwickelt wurde es in Bayreuth, Zugang haben auch Würzburger Studenten.

Eichstätt

Kuschlig ist es in Eichstätt, an der kleinen Uni im Altmühltal lernen 1000 der 5000 Studenten etwas Pädagogisches, die Geisteswissenschaften dominieren. Der größte Unterschied liegt in der Struktur: Die Katholische Universität hat gleiche Rechte wie staatliche Hochschulen, Träger ist aber eine kirchliche Stiftung. Das spiegelt sich auch im Profil wider. Zwar präge das christliche Menschenbild den Alltag, aber die Uni sei sehr offen, betont Rainer Wenrich, LBZ-Chef und Dekan der philosophisch-pädagogischen Fakultät. Spürbar sei der ganzheitliche Ansatz unter anderem im hohen Stellenwert von ästhetischer Bildung in Campusalltag und Lehrerbildung. Viele Studenten spielen Theater, singen oder musizieren. Sie sollen durch künstlerisches Engagement ihre Persönlichkeit entwickeln. Die Auseinandersetzung mit digitalen Methoden sind auch in Eichstätt Pflicht, Studenten lernen etwa, Unterrichtsstunden nach Prinzipien des Storytelling oder Design Thinking zu planen oder Virtual-Reality-Brillen einzusetzen. Aber sie sollen auch hinterfragen, was die Technik mit Menschen macht - und im neuen BayernLab Bürgern die Scheu davor nehmen.

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Quelle:
SZ vom 16.11.2019
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