Organspende:"Das Leben ist schön. Danke."

Organspende: Kommt Peter Schlauderer an einer Kirche oder Kapelle vorbei, so zündet er oft für jene Menschen eine Kerze an, durch deren Organe er weiterleben darf.

Kommt Peter Schlauderer an einer Kirche oder Kapelle vorbei, so zündet er oft für jene Menschen eine Kerze an, durch deren Organe er weiterleben darf.

So endet fast jedes Gebet von Peter Schlauderer. Dass er überhaupt noch lebt, verdankt er drei fremden Organen.

Von Dietrich Mittler

Hier fühlt sich Peter Schlauderer im Einklang mit der Natur - und mit Gott: die Stadt Kelheim zu Füßen, links im Blick die einst von König Ludwig I. in Auftrag gegebene Befreiungshalle und kurz vor dem Steilhang zum Main-Donau-Kanal ein schlichtes Metallkreuz.

Mit Bedacht sucht er sich auf felsdurchsetztem Boden seinen Weg zu einer Sitzbank, die freien Blick auf den Naturpark Altmühltal gewährt. Unter seinen Füßen spürt der 52-Jährige den rauen Grund, auf dem Grasbüschl eiskalten Windstößen trotzen - ein Abbild dessen, welch ein Kampf hinter Peter Schlauderer liegt und aus welch kleinen Freuden er dennoch Zuversicht gewinnt. "Die Kraft steckt schon im Boden. Ich weiß, dass im Frühjahr die ersten Blumen wieder rauskommen", sagt er. Das alles, so sagt er, darf er erleben. Er, der noch hört, sieht, riecht, fühlt und schmeckt, weil ihn gleich drei Organe verstorbener Menschen vor dem Tod bewahrten.

1999, bei seiner ersten Transplantation, erhielt Schlauderer als nierenkranker Typ-1-Diabetiker die Niere und die Bauchspeicheldrüse eines vermutlich jung ums Leben gekommenen Menschen. Dann 2007, aufgrund eines angeborenen Leberschadens, auch noch die Spenderleber. Da steht es für ihn, Vater von fünf Kindern, bereits Spitz auf Knopf. Leberzirrhose. Das Organ ist kaum mehr in der Lage, den Körper zu entgiften. Ammoniak gelangt über den Blutkreislauf ins Gehirn. "Ich habe seltsame Sachen gesagt", erinnert er sich. Auf seine Mitmenschen wirkt er zu dieser Zeit bisweilen wie betrunken. Schlauderer geht weiter als Schreiner in die Arbeit, um seine Familie zu ernähren - obwohl die Ehe zu dieser Zeit bereits zerbrochen ist und er wieder bei den Eltern lebt.

"Das ist ein existenzieller Druck, aber ich wollte meine Kinder sehen, und ich habe alles dafür getan", sagt er. Schlauderer lässt sich erneut auf die Warteliste für ein Organ setzen. Notdürftig halten ihn die Ärzte am Leben. Nach eineinhalb Jahren kommt der erlösende Anruf. "Ich hatte die Hoffnung schon fast aufgegeben", sagt er.

1400 Menschen allein in Bayern hoffen auf ein Spenderorgan

Im Rückblick aber, so betont er auch, sei ihm klar, dass er wieder einmal großes Glück gehabt habe. In Deutschland sterben täglich drei Patienten, die auf der Warteliste stehen. Aktuell hoffen in Bayern mehr als 1400 Menschen auf ein Spenderorgan, deutschlandweit sind es mehr als 10 000. Doch die Häufigkeit der Organspenden nimmt bundesweit ab, ein Faktum, das auch Bayerns Gesundheitsministerin Melanie Huml beunruhigt. Bis Ende November 2018 wurden nach Angaben ihres Hauses im Freistaat insgesamt 120 postmortale Organspender registriert, zehn weniger als im Vorjahreszeitraum.

"Keine Ausreden. Entscheide dich jetzt!" lautet der Titel der Kampagne, mit der Huml auch dieses Jahr wieder für Organspenden wirbt. Matthias Anthuber, Direktor der Klinik für Allgemein-‐, Viszeral- und Transplantationschirurgie im Klinikum Augsburg und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie, will ebenfalls Überzeugungsarbeit leisten. "Ein Organspender kann über seinen eigenen Tod hinaus bis zu sieben Menschen helfen und damit insgesamt mehr als 60 neue Lebensjahre schenken", ließ er kürzlich wissen.

"Ich habe Lebenszeit geschenkt bekommen", sagt Peter Schlauderer, "ich darf leben." Vor wenigen Tagen erst hat er dies in einem Seminarsaal des Universitätsklinikums Regensburg vor gut hundert Zuhörern wiederholt. Viele klopften ihm hinterher auf die Schulter - auch jene, die ihn zunächst ungläubig anblickten, als er sagte: "Ich bin auch dankbar dafür, dass ich mehrmals täglich Tabletten einnehmen darf. Sie verhindern, dass mein Körper die Spenderorgane abstößt."

Er hat Angst, sein Leben nicht zu bewältigen - und springt aus dem Fenster

"Manche haben wohl gemerkt, dass etwas in mir anders ticken muss", scherzt Schlauderer zu Hause in seiner liebevoll eingerichteten Wohnung im niederbayerischen Ihrlerstein. Kaum einer aber weiß wohl um das Drama, dem zum Trotz Peter Schlauderer voller Überzeugung die hilfreiche Wirkung der Medikamente preist. "Das Leben ist wie eine Achterbahn", sagt er, "und wenn es einem gutgeht, muss man jeden Tag genießen". Er reicht Weihnachtsplätzchen, die seine Mutter für ihn gebacken hat. Aber dann beginnt er doch zu erzählen. Rein körperlich sei die Lebertransplantation weit weniger kompliziert abgelaufen als die der Niere und der ohnehin kritischen Bauchspeicheldrüse.

Aber dann das: "Ich konnte nicht mehr äußern, was ich sagen wollte. Ich wusste nicht einmal mehr, was ich sagen wollte. Und ich weiß es bis heute nicht." Wahnträume stellen sich ein, das Gefühl, jemand reiße ihm das linke Bein ab. "Und meinen Zimmerkollegen, ein netter Herr, den sah ich plötzlich mit einem Totenkopf rumlaufen. Ich hatte meinen Verstand verloren." Schlauderer brach am Bett zusammen, fiel zeitweise ins Koma. Zu seinem Glück finden die Ärzte rasch heraus, das liege am bisher verabreichten Immunsuppressivum - dem Mittel, das die Funktionen des Immunsystems vermindert, um eine Abstoßung des Spenderorgans zu verhindern.

Wieder zu Hause bei den Eltern beginnt für den ohnehin Geprüften die wohl schlimmste Etappe: Sein Gedächtnis versagt, ihn überfällt das Gefühl, sein Leben nicht mehr bewältigen zu können. "Dann habe ich mir gedacht, jetzt gehst du zum Dachboden rauf, springst kopfüber zwei Stockwerke tief zum Fenster raus. Und das habe ich dann auch durchgezogen", sagt er. Noch im Augenblick des Sprungs habe er das bereut. "Ich habe im Fall nach der Hauswand gegriffen, um mich festzuhalten, ging aber nicht." Aber immerhin: "Durch den Stoß habe ich mich in der Luft so gedreht, dass ich mit dem Rücken auf ein Tischchen aufgeschlagen bin." Zwei Rippen gebrochen, aber auch nicht mehr.

In diesem Augenblick weiß Peter Schlauderer bereits: "Das mache ich nie mehr." Dennoch, er kommt in die Psychiatrie. Gesprächstherapien helfen ihm, wieder Vertrauen in das geschenkte Leben zurückzugewinnen. Ein Psychologe zählt ihm auf, was er alles durchlebt hat: Diabetes mit elf Jahren, dann der Leberschaden, dann die Transplantationen, die Trennung von der Frau, die Nebenwirkungen des Immunsuppressivums, das in seinem Fall in dieser hohen Dosierung eben das Falsche war. Peter Schlauderer gewinnt Vertrauen in sich selbst zurück, Vertrauen in das Leben.

Gut alle 14 Tage besucht der 52-Jährige als Ansprechpartner der Selbsthilfe-Organisation "Lebertransplantierte Deutschland e.V." Transplantationspatienten im Uniklinikum Regensburg, spricht auf regionalen Gesundheitsmessen. Als Erwerbsminderungsrentner verdient er sich auf 450-Euro-Basis etwas hinzu, holt für seine Heimatgemeinde morgens im Umkreis Kinder ab, bringt sie zur Schule und nachmittags wieder nach Hause. Er habe mittlerweile viele Freunde gewonnen, sagt er. Dann sein Gebetskreis, die Zeit allein in der Natur. Kommt er an einer kleinen Kapelle vorbei, oder an einer Kirche, so zündet er bisweilen Kerzen an - für die Organspender. Er betet, und oft endet dieses Gebet so: "Das Leben ist schön. Danke."

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