Süddeutsche Zeitung

Ordensfrau:"Jesus hätte an meiner Stelle nicht anders gehandelt"

Der Äbtissin Mechthild Thürmer soll, weil sie Geflüchteten Kirchasyl gewährt hat, der Prozess gemacht werden

Interview von Dietrich Mitter

Für Mutter Mechthild Thürmer, Oberhaupt der Abtei Maria Frieden in Kirchschletten, war 2020 ein Jahr der Prüfung. Die Staatsanwaltschaft Bamberg erhebt gegen die Ordensfrau den Vorwurf der "Beihilfe zum unerlaubten Aufenthalt" von Asylsuchenden. Erstmals in Bayern muss sich somit eine Äbtissin vor Gericht verantworten, weil sie in ihrem Konvent Kirchenasyl gewährt hat.

SZ: Wie haben Sie das zurückliegende Jahr erlebt?

Äbtissin Mechthild Thürmer: Höchst abwechslungsreich.

Die Staatsanwaltschaft wirft Ihnen vor, Flüchtlinge wider Recht bei sich im Kloster aufgenommen zu haben. Worauf plädieren Sie? Schuldig oder nicht schuldig?

Ich fühle mich natürlich unschuldig, denn für mich ist eine Hilfeleistung an Menschen, die sich in einer aussichtslosen Lage befinden, ein Gebot christlicher Nächstenliebe. Jesus hätte an meiner Stelle nicht anders gehandelt.

Die Justiz erhebt schwere Vorwürfe, zugleich werden Sie am 6. März für Ihr Engagement mit dem Göttinger Friedenspreis ausgezeichnet. Eine Achterbahn der Gefühle, könnte man meinen.

Die Preisverleihung kommt für mich überraschend. Ich habe gar nicht gewusst, dass es einen Göttinger Friedenspreis gibt. Und ich habe auch nicht gedacht, dass ich für die in unserem Haus gewährten Kirchenasyle eine Auszeichnung bekomme. Das zu tun, das war doch selbstverständlich.

Selbstverständlich?

Wir können uns gar nicht vorstellen, wie furchtbar es diesen Menschen vor und während ihrer Flucht ergangen ist. Frauen haben mir von Gruppenvergewaltigungen berichtet, über die sie nicht hinwegkommen. Da wurde das Intimste einer Frau in den Schmutz gezogen. Bei einer war der Oberkörper voller Narben. Spuren der Messerstiche, die ihr zugefügt wurden.

Mit welchen Erwartungen gehen Sie ins Gerichtsverfahren?

Mit der Hoffnung, dass sich die Staatsanwälte und Richter in die Asylsuchenden hineinversetzen. Wie würden sie urteilen, wenn eine der Frauen im Kirchenasyl die eigene Tochter gewesen wäre?

Findet zum Jahreswechsel in Ihrer Abtei ein besonderes Gebet statt?

Wir haben immer eine Jahresschlussandacht. Da bringen wir vieles, was im vergangenen Jahr geschah, noch einmal ins Gebet ein. Wir danken dafür, was uns allen Gutes widerfahren ist. Zudem beten wir für die, die noch leiden müssen, die krank sind - also auch für jene, die von der Corona-Pandemie betroffen sind.

Werden Ihre Mitschwestern in diesem Jahr auch für Sie beten?

Mit Sicherheit - so wie viele andere auch.

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Quelle:
SZ vom 31.12.2020
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