Süddeutsche Zeitung

Orden:Die CSU gibt den Widerstand auf

Hans Schuierer, einst SPD-Landrat und Anführer der WAA-Gegner, erhält die Verfassungsmedaille in Silber. Der 88-Jährige nimmt die späte Ehrung gelassen hin: Sie habe mit seinem Alter zu tun

Von Wolfgang Wittl 

Hans Schuierer hat immer Zeitung gelesen, schon von Berufs wegen. Und er hat sich immer gewundert, wenn er gelesen hat, wer wieder geehrt worden ist von seinen Kollegen aus der Kommunalpolitik. Irgendwann hat Schuierer sich nicht mehr gewundert. Er hat sich damit abgefunden, dass er keine Auszeichnung mehr bekommen wird. Wobei, so ganz stimmt das ja nicht.

Schuierer hat den Wilhelm-Dröscher-Preis erhalten, den Wilhelm-Hoegner-Preis, den Sepp-Daxenberger-Preis - Ehrungen von seiner SPD und den Grünen. Ehrenbürger seiner Heimatstadt Schwandorf ist er natürlich auch. Einmal hat ihm sogar der damals hochrangigste CSU-Mann einen Orden verliehen. Edmund Stoiber war aber nur derjenige, der in Berliner Auftrag das Bundesverdienstkreuz am Bande überreicht hat. Die höchsten Auszeichnungen des Freistaats sollten dem bekanntesten bayerischen Landrat seiner Zeit verwehrt bleiben. So sah es aus, so sah das auch Schuierer. Bis jetzt.

Vor vier Wochen hat Hans Schuierer erfahren, was der Landtag am Donnerstag offiziell bekannt gegeben hat. Am 7. Februar, einen Tag nach seinem 89. Geburtstag, wird er die Verfassungsmedaille in Silber erhalten. Weniger als 1200 Mitglieder zählt dieser exklusive Zirkel, sogar der Bayerische Verdienstorden hat mehr Träger. Ist das nun als Friedensschluss zu verstehen zwischen dem Altlandrat von Schwandorf und dem Freistaat? Nach der wohl härtesten Auseinandersetzung, die sich nach dem Zweiten Weltkrieg auf bayerischem Boden zugetragen hat? Ach mei, sagt Schuierer, so eine Ehrung habe ja immer auch etwas mit dem Alter zu tun. "Und das trifft bei mir besonders zu."

In den Achtzigerjahren war Schuierer das Gesicht des Widerstands im Kampf gegen die Wiederaufarbeitungsanlage Wackersdorf (WAA). Wobei er sich selbst nie so betrachtet hat. Er sei nie Pionier gewesen, sagt Schuierer, viel später als anderen sei ihm klar geworden, was da eigentlich passiere. Als Landrat im oberpfälzischen Schwandorf, einem der Armenhäuser Bayerns, griff er dankbar zu, als seiner Heimat durch die WAA Tausende Arbeitsplätze in Aussicht gestellt wurden. Erst als er über einen 200 Meter hohen Abluftkamin stutzte, wurde er auf die Umweltgefahren aufmerksam - und zum härtesten Gegner, den die regierende CSU um Franz Josef Strauß bekommen konnte.

Von da an war der Widerstand in Wackersdorf nicht mehr nur eine angebliche Zusammenkunft von linken Spinnern und langzotteligen Öko-Aktivisten, sie wurde nun angeführt vom wichtigsten demokratisch legitimierten Politiker der Gegend. Menschen starben im Kampf um den Absperrzaun, die Protagonisten lieferten die Begleitworte. Schuierer erfand die "Ein-Mann-Demokratur Strauß'scher Prägung", die CSU nannte Schuierer einen "Volksverhetzer". Erst nach dem Tod von Strauß 1988 sah sich die CSU in der Lage, die WAA endgültig aufzugeben.

Wie tief der Riss sich zieht, war vor einem Jahr beim bayerischen Filmpreis zu beobachten. Als der Film "Wackersdorf" einen Sonderpreis erhielt und Schuierer auf der Bühne an damals erinnerte, erhoben sich Hunderte Besucher zum Applaus. Nur Markus Söder, der bei den "Ausgehetzt"-Demos im Wahlkampf seine eigenen Wackersdorf-Momente erlebt hatte, blieb nahezu demonstrativ sitzen. Heute würde Söder, der Ministerpräsident für alle Bayern sein will, womöglich aufstehen - wenn auch nicht als Erster. Der CSU war es all die Jahre auch ein Anliegen, dass Schuierer die höchsten Auszeichnungen versagt bleiben. Erst unter Landtagspräsidentin Ilse Aigner wurde der Widerstand gegen den Widerständler aufgegeben. In Ausnahmefällen wird die Verfassungsmedaille in Gold sogar ohne die Vorstufe Silber vergeben - aber das wäre für die CSU des Guten wohl doch zu viel gewesen.

Kurz habe er überlegt, ob er die Ehrung annehmen solle, sagt Schuierer. 72 Jahre ist er jetzt in der SPD, 52 Jahre war er in der Kommunalpolitik tätig, 24 Jahre als Landrat. Jedes Mal, wenn ein Kollege ausgezeichnet wurde, habe er sich gefragt: "Hast du denn nichts getan für die Allgemeinheit?" Als Politiker wisse er aber: "Man sollte sich immer um Kompromisse bemühen." Deshalb, sagt Schuierer, habe er sich auch nie seinen Zorn anmerken lassen. Oder anmerken lassen wollen - auch nicht nach den vielen Disziplinarverfahren und Aufsichtsbeschwerden gegen ihn.

Wenn man so will, wurde Schuierer ohnehin bereits mit einer Anerkennung bedacht, wie kein Bayer vor und wohl keiner nach ihm. Nur um ihn auszubremsen, hat die Regierung 1985 einen Dreh gefunden, Aufgaben von Landratsämtern selbst übernehmen zu können. Die "Lex Schuierer", ein eigenes Gesetz, gilt bis heute.

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SZ vom 14.12.2019
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