Süddeutsche Zeitung

Corona-Pandemie:Fokus verschiebt sich auf die Normalstation

Bayernweit müssen weniger Covid-Patienten intensivmedizinisch behandelt werden. Stattdessen aber könnte die sich explosionsartig verbreitende Omikron-Variante den Betrieb in den Krankenhäusern lahmlegen.

Von Deniz Aykanat, Hubert Grundner, Matthias Köpf und Nadja Tausche, München

Im niederbayerischen Landkreis Rottal-Inn ist die Inzidenz wieder einmal über die Tausender-Marke geklettert. Anders als vor Weihnachten ist die Lage auf den Intensivstationen der Rottal-Inn-Kliniken in Eggenfelden und Pfarrkirchen aber "relativ entspannt", sagt der Sprecher des Landratsamtes, Mathias Kempf. "Wir haben acht Corona-Fälle in den Kliniken, keiner davon derzeit auf der Intensivstation." Im November sah das noch ganz anders aus, da war die Lage so dramatisch, dass in einer großen Aktion mehr als 20 Patienten in Kliniken in ganz Bayern verlegt werden mussten.

Gebannt ist die Gefahr eines Kollapses der Kliniken aber trotzdem nicht, nur der Fokus bewegt sich weg von den Intensivstationen. Die nun dominierende Omikron-Variante verursacht nach derzeitigem Kenntnisstand wohl mildere Verläufe, die Intensivstationen laufen deshalb nicht mehr so schnell voll. Dafür aber die normalen Stationen. "Eine Überflutung mit stationären Omikron-Patienten, oftmals nur als Zufalls- oder Nebenbefund, hätte ebenfalls eine massive Auswirkung auf die Krankenhäuser", sagt Mathias Kempf.

Auch Christian Schmitz, Vorstand der Arberlandkliniken, die zwei Häuser im Landkreis Regen betreiben, sieht die Funktionsfähigkeit der Krankenhäuser in Gefahr: "Es wird zu deutlich mehr Zufallsbefunden bei unseren Patienten kommen, die gar nicht wegen Covid in die Klinik gekommen sind. Dies erhöht aber den Personal- und Zeitaufwand deutlich."

Ausfälle beim Personal

Ähnlich präsentiert sich die Lage in anderen Regionen. Die RoMed-Kliniken von Stadt und Landkreis Rosenheim etwa, wo die Sieben-Tage-Inzidenz inzwischen wieder deutlich über dem ehemaligen Hotspot-Wert 1000 liegt, müssen derzeit nur sechs Corona-Patienten auf der Intensivstation versorgen. Auf den Normalstationen hat sich die Zahl der Corona-Patienten jedoch binnen einer Woche verdoppelt. Hier rechnen die RoMed-Kliniken mit weiter steigenden Zahlen - und zugleich mit zunehmenden Ausfällen beim Pflegepersonal. Zuletzt fehlten wegen eigener Corona-Infektionen rund 100 Mitarbeiter in der Pflege, weshalb die RoMed-Kliniken ihre Aufnahmekapazitäten schon nach unten korrigieren mussten.

Auch die Innkliniken der beiden oberbayerischen Landkreise Altötting und Mühldorf haben zuletzt eine deutliche Entspannung gemeldet. Auf den Intensivstationen dort war die Lage in den vergangenen drei Monaten teils dramatisch, doch Ende vergangener Woche lag in den Innkliniken nur noch eine Handvoll Corona-Patienten auf Intensiv.

Die Corona-Maßnahmen würde Manfred Wagner aktuell weder verschärfen noch lockern. Der Pandemiebeauftragte des Klinikums Fürth rät, "stattdessen auf Sicht zu fahren". Entscheidend sei es, schnell auf Situationen reagieren zu können: "In der jetzigen Situation weiß niemand, was passiert, weil sich die Pandemie nicht so verhält, wie man es erwartet hätte." Derzeit ist die Lage im Klinikum Fürth aber vergleichsweise entspannt. Zwei Covid-Patienten liegen auf der Intensivstation, zehn auf der Normalstation. Anfang Dezember des vergangenen Jahres sei die Intensivstation dagegen dauerhaft überbelegt gewesen, berichtet Pressesprecherin Carmen Brückner: Damals lagen die Höchstwerte bei bis zu zwölf Patienten auf der Intensiv- und 47 auf der Normalstation.

Viele Patienten warten auf Eingriffe

Im Moment spiele sich das Infektionsgeschehen sehr stark bei Kindern und Jugendlichen ab, erklärt Stefan John, Leiter der Abteilung interdisziplinäre Intensivmedizin am Klinikum Nürnberg. Die erkrankten meist weniger schwer. Wenn sich aber insgesamt mehr Menschen infizieren, seien möglicherweise auch wieder mehr Ältere dabei. Auch in Nürnberg werden derzeit deutlich weniger Patienten als Anfang Dezember behandelt. "Das heißt aber nicht, dass von Entspannung die Rede sein kann", sagt John, "da sehr viele Patienten auch ohne Covid-19 auf dringende, verschobene Eingriffe warten."

Die Schilderungen aus den Kliniken decken sich mit den Angaben des Bayerischen Landesamtes für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit bezüglich der Bettenauslastung durch bestätigte Covid-19-Fälle: Das Landesamt registriert 340 belegte Intensivbetten, was gegenüber der Vorwoche einer Abnahme um 15,0 Prozent entspricht (Stand: 24. Januar). Im selben Zeitraum stieg die Zahl der Covid-Patienten, die ein normales Krankenhausbett belegen auf 1927, ein Plus von 16,4 Prozent.

Mathias Kempf vom Landratsamt Rottal-Inn hält es für dringend geboten, auf die Bedrohung durch die Omikron-Variante zu reagieren: "Aktuell hält sich das noch in Grenzen. Allerdings wird diese Problematik mit zunehmender Durchseuchung der Bevölkerung wahrscheinlicher." Es sei deshalb sinnvoller, künftig die stationäre Belegung mit Covid-Patienten als Maßstab zu nehmen und nicht mehr nur die Anzahl der freien Intensivbetten.

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