Oktoberfest: Rekord-Wiesngänger:"Eigentlich mag das der Körper nicht"

111 Maß in 16 Tagen - das ist sein bisheriger Rekord auf dem Oktoberfest. Der Österreicher Georg Mayrhofer geht seit 27 Jahren jeden Tag auf die Wiesn - und vergleicht das mit einem Extremsport.

Stephan Handel

Es ist ein langer Weg ins Paradies, und er muss vor allem gut geplant sein. Im Moment zum Beispiel horcht Georg Mayrhofer einen kurzen Augenblick in seinen Körper hinein und entscheidet dann: Jetzt erst mal keine neue Maß mehr; es wäre die vierte an diesem frühen Nachmittag gegen 15 Uhr. Jetzt gibt es einen Spritzer, eine Weinschorle also, denn, so sagt Georg Mayrhofer: "Da Spritzer is mei Wosser."

Oktoberfest: Rekord-Wiesngänger: "Die schönste Party der Welt": "Wiesnschurli" Georg Mayrhofer mit den Dirndln Lena und Belli.

"Die schönste Party der Welt": "Wiesnschurli" Georg Mayrhofer mit den Dirndln Lena und Belli.

(Foto: Robert Haas)

Georg Mayrhofer sagt das in dem weichen österreichischen Tonfall, den sie rund um Wien sprechen, denn von da kommt er her: Klosterneuburg. Mag schon sein, dass viele Österreicher auf das Oktoberfest kommen, aber sehr wahrscheinlich gibt es keinen Wiesngänger aus dem südlichen Nachbarland, der dem Fest unverbrüchlicher die Treue hält als Georg Mayrhofer. Er kommt seit 27 Jahren auf die Wiesn. Und die allermeisten seiner Besuche hat er auf das Maximum ausgedehnt: Die ersten zwei, drei Jahre kam er mal übers Wochenende, mal vier Tage. Aber seitdem lässt er keinen Tag aus. Georg Mayrhofer geht auf die Wiesn. Jeden Tag. Seit einem Vierteljahrhundert.

Seinen jährlichen Aufenthalt bereitet er äußerst akribisch vor, und weil Mayrhofer ein Mann von Erfahrung ist mit seinen 46 Jahren, geht er die Wiesn streng wissenschaftlich an, um nicht zu sagen philosophisch. Seine Leistung, so sagt er, lasse sich am ehesten mit der eines Triathleten vergleichen: "Das mag der Körper ja eigentlich auch nicht", erklärt er: "Stundenlang schwimmen, laufen und Rad fahren." Und obwohl Mayrhofers Körper nicht den Eindruck macht, als hätte er etwas dagegen, jeden Tag große Mengen zu trinken und gute Sachen zu essen - so einfach ist es nicht: "Die ersten drei, vier Tage sind hart", sagt Georg Mayrhofer. "Bis ich meinen Rhythmus hab'."

Dann aber geht's auf. Der Tag des Wiesnschurli - es ist nicht verbürgt, ob er sich diesen Spitznamen selbst gegeben hat oder ob er ihn verpasst bekam, er ist jedenfalls seit zweieinhalb Jahren als Marke geschützt, Deutsches Patent- und Markenamt, Nr. 30763218 - der Tag des Wiesnschurli also beginnt gegen zehn Uhr morgens in einer WG im Westend, in die er sich für die zweieinhalb Wochen eingemietet hat, "700 Euro, des geht".

Um 11, halb 12 geht er los, zuerst ins Augustinerzelt, das ist sozusagen sein Basislager, und dort steht auch sein Tisch, den ihm Freunde geschenkt haben vor ein paar Jahren, die Wappen Münchens und Klosterneuburgs sind eingelegt in die Tischplatte, als einziger Tisch in der Maibaumräuber-Box ist er nicht eingedeckt, damit die Herrlichkeit auch zu sehen ist. Nun kommt Punkt eins in des Wiesnschurlis Wiesn-Vademecum zum Tragen, denn das, so sagt er, ist das Wichtigste: "Erst mal was essen!" Dann sitzt er da, bekommt Besuch von Freunden, Wiesn-Bekannte kommen vorbei - ein bisschen schaut es schon so aus, als würde er Hof halten, und wahrscheinlich hat er auch gar nichts dagegen, dass es so ausschaut.

Irgendwann mal beginnt dann eine kleine Tour, zum Käfer oder ins Bratwurstglöckl oder in die Ochsenbraterei - er weiß, wo's ihm gefällt, und zu sagen, wo's ihm nicht gefällt und warum, verbietet ihm die österreichische Höflichkeit. Sowieso läuft beim Wiesnschurli alles unter der Hauptdevise "Wiesndisziplin", was unter anderem bedeutet: immer noch allein aus dem Zelt rausgehen können. Er hat, sagt er, am Abend dann ein "Damenspitzerl", aber nie einen "Herrenrausch", auch nicht 1994, da hat er seinen Rekord aufgestellt: 111 Maß in 16 Tagen, "aber da war ich 30 Jahre alt und unverwundbar".

Heute, wo's auf den Fünfziger zugeht, da muss er schon eingestehen, "dass das Medikamenten-Sackerl größer geworden ist". Auch die medizinische Versorgung geht Georg Mayrhofer mit Überlegung an, er weiß, dass durch den hohen Flüssigkeitskonsum viele Stoffe aus dem Körper ausgeschwemmt werden, also hat er Breitband-Vitaminpräparate dabei, Magnesium, andere Präparate und Distel-Elixiere, denn die helfen der Leber beim Regenerieren.

"Trinken, flirten, feiern"

Und der Spritzer, nicht zu vergessen! Er sagt, auf den Spritzer sei sein Körper geeicht, der mache ihm gar nichts; wenn andere zwischendurch mal ein Wasser trinken, so verdünnt er halt das Wasser mit Wein. Das trifft sich besonders gut um kurz vor fünf, denn da ist der nächste Pflichttermin angesetzt: Um fünf beginnt im Weinzelt die "Blechblosn" zu spielen, da muss er hin, denn erstens sind die acht Musiker aus Dachau seine "persönlichen Freunde", zweitens haben sie aufgespielt, als er vor zwei Jahren, zu Hause in Klosterneuburg, 25 Jahre Wiesnschurli feierte mit 700 Leuten, und so etwas verbindet. Drittens jedoch darf er, so nach einer halben Stunde, mit auf die Bühne, wenn die Band das "Fliegerlied" spielt, da ist er dann so was wie der Zeremonienmeister, der allen Leuten im Zelt vormacht, was sie jeweils zu tun haben bei der Abfolge der Textzeilen des Liedes.

Und so geht der Tag dann dahin, "trinken, flirten, feiern", mehr ist es ja nicht auf der Wiesn, die für Georg Mayrhofer aber dennoch "die schönste Party der Welt" ist. So ging's ihm schon vor eben 27 Jahren, als ihn ein älterer Freund zum ersten Mal mitnahm: "Ich weiß nicht, wie's im Paradies ausschaut. Aber ich hab' gewusst: Weit bin ich nicht mehr weg davon."

Der lange Weg zum Paradies beginnt in Klosterneuburg schon im Frühjahr: Dann nämlich beginnt Katharina, die Wiesnsekretärin, damit, die Plätze zu reservieren. Katharina heißt eigentlich Manuela, aber das hat ihm nicht gefallen, und weil sie nebenbei in der Bodenleger-Firma, die Ingenieur Georg Mayrhofer mit seinem Bruder zusammen führt - zehn Angestellte! - weil Manuela dort nebenbei auch noch die Buchhaltung macht, hat er als ihr Chef entschieden, dass sie nun Katharina heißen soll, mittlerweile nennen sie alle so.

Katharina also bucht die Tische und koordiniert die Besuche, denn darauf legt Mayrhofer Wert: Dass er jedes Jahr etwa 400 Leute auf die Wiesn bringt, und wenn sie noch "Wiesnjungfrauen" sind, also zum ersten Mal zu Besuch, dann bringt er ihnen das Trinken bei, das, sagt er, sei ihm "eine Herzpartie" und schaut dabei wie einer, der findet, die Medaille "München leuchtet" sei schon für geringere Verdienste verliehen worden. Katharina hat noch eine andere bedeutende Funktion, denn wenn er spät nachts heimkehrt in seine Westend-WG, dann kann sie noch einen Anruf ihres Chefs gewärtigen; er erzählt ihr, was er heute alles erlebt hat, damit sie es am nächsten Tag ins "Wiesnschurli-Blog" schreiben kann.

Gut 4000 Euro lässt Mayrhofer jedes Jahr auf der Wiesn, das findet er nicht viel, "so viel wie ein schöner Urlaub in der Karibik". Wenn man alles zusammenrechnet, dann hat er seit Beginn 435 Tage auf der Wiesn verbracht, er nimmt das sehr genau, denn im Jahr 2000 hat die Wiesn 18 Tage gedauert, 2005 waren's 16 und 2006 wieder 18, den Unwägbarkeiten des Kalenders sei's gedankt, aber das muss natürlich mitgezählt werden, sonst stimmt ja die ganze Rechnung nicht. Seine Frau lässt ihn, denn "sie hat die Wiesn mitgeheiratet", und seine Kinder, eine 20-jährige Tochter und ein 15-jähriger Sohn, sind der Liebe ihres Vaters auch schon verfallen.

Mit Schaudern denkt er jetzt schon an das Ende der Jubiläumswiesn, es ist jedes Jahr dasselbe: "Da sitz' ich im Augustiner und plärr' erst amal zehn Minuten." Dann aber muss natürlich auch dieser Abend zu Ende gefeiert werden, und danach, wieder daheim, gibt's die Kur: "Sechs Wochen kein Alkohol und Diät." Da hilft dem Wiesnschurli, was ihm auch hilft, 16 Tage Wiesn durchzustehen: "Die mentale Stärke zeichnet mich aus." Ohne sie ist der Weg ins Paradies nicht zu machen.

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