Süddeutsche Zeitung

Oktoberfest-Attentat 1980:Fragen über Fragen

13 Tote, mehr als 200 Verletzte und nur ein Schuldiger? Bis heute gilt der rechtsradikale Oktoberfest-Attentäter Gundolf Köhler als Einzeltäter. Nun erhält ein Opfer-Anwalt erstmals Einsicht in die Spurenakten des LKA. Und hofft auf Hinweise, um neue Ermittlungen in Gang zu setzen.

Von Florian Fuchs

Es ist 22.20 Uhr, ein lauer Freitagabend, als die Bombe am Haupteingang des Oktoberfestes zündet. Erst ein Zischen, dann die Feuersäule und die Druckwelle. Metallteile bohren sich in Gliedmaßen und zerfetzen Leiber. 13 Menschen sterben an jenem 26. September 1980, mehr als 200 werden verletzt, 68 von ihnen schwer. Auf dem Boden liegen abgetrennte Beine und Arme, auf dem Asphalt bilden sich Blutlachen. 1,39 Kilogramm TNT, werden Ermittler später feststellen, sind in einem Abfalleimer hochgegangen.

Das Blut ist bereits am nächsten Morgen weggewischt, die von der Detonation in den Boden gerissenen Löcher sind bereits wieder zugeteert. Die Wiesn muss weitergehen, so lautete das Motto. Und auch in der Schuldfrage vertun die Behörden keine Zeit. Ziemlich schnell ist der rechtsradikale Gundolf Köhler als Attentäter ausgemacht, der bei der Explosion selbst stirbt. Ziemlich schnell gilt er den Ermittlern als Einzeltäter. Zweifel an dieser These halten sich bis heute. Opfer, Journalisten und Juristen weisen immer wieder auf Ungereimtheiten hin.

Das Filmprojekt "Der blinde Fleck" bringt nun neue Bewegung in die Bemühungen, die Hintergründe des Attentats auszuleuchten. An diesem Mittwoch bekommt Rechtsanwalt Werner Dietrich, der mehrere Opfer des Anschlags vertritt, erstmals Einsicht in alte Spurenakten des Bayerischen Landeskriminalamts. Dietrichs Ziel ist es, bislang unbekannte Details zu finden - damit die Generalbundesanwaltschaft die Ermittlungen neu aufrollt. Dies fordern auch der Bayerische Landtag und die Stadt München.

"Ich glaube, dass das Behördenversagen im NSU-Komplex die Sensibilität der Öffentlichkeit geschärft hat. Deshalb besteht auch in Fällen wie dem Oktoberfestattentat verstärktes Aufklärungsinteresse", sagt Dietrich. Das Attentat ereignete sich damals ein paar Tage vor der Bundestagswahl, Kanzlerkandidat Franz Josef Strauß (CSU) machte zunächst sofort Linksextremisten dafür verantwortlich.

Stattdessen hatte der Attentäter Köhler jedoch zahlreiche Kontakte zur rechtsradikalen Wehrsportgruppe Hoffmann. Die Einbindung in die rechtsextreme Organisation, so der Vorwurf vieler Opfer, spielten die Behörden herunter. Ein Augenzeuge berichtete, dass er Köhler kurz vor der Explosion mit anderen Männern diskutieren sah. Ein Bekannter Köhlers lief später in Frankfurt Amok. Bevor er sich selbst erschoss, bekannte er sich vor seinen Geiseln als Mittäter des Attentats. Ein anderer Bekannter flüchtete nach Libanon und wurde dort erschossen aufgefunden.

"Man wird noch einiges von der Sache hören"

Die Ermittler blieben trotz allem bei ihrer Einzeltäterthese. 1997 ließen die Behörden die Asservate des Attentats vernichten - darunter die Splitter einer Bombe und Teile einer Hand, die keinem der Opfer zugeordnet werden konnte. "Dabei könnte man heute mit neuen Methoden ganz neue Erkenntnisse etwa zu DNA-Spuren daraus gewinnen", sagt Dietrich. Die Bundesanwaltschaft entgegnet, dass die Hand Köhler selbst zuzuordnen sei.

Rechtsanwalt Dietrich hofft nun, in den Akten neue Hinweise zu erhalten, etwa auf Zeugen. Er interessiert sich aber auch dafür, nach welchen Kriterien die Spuren verfolgt und als ausermittelt abgeheftet wurden. "Wurde ergebnisoffen gefahndet oder nur nach Bestätigung der Einzeltäterthese gesucht?", fragt Dietrich. Die Hinweise kurz nach dem Attentat, sagt der Rechtsanwalt, seien in verschiedenen Behörden eingelaufen, bei der Kriminalpolizei, beim Landeskriminalamt, in anderen Bundesländern. "Man muss auch verfolgen, ob da etwas unter den Tisch gefallen ist."

Ob das Aktenstudium so ergiebig sein wird, ist fraglich: Das Landeskriminalamt behält sich vor, Namen und andere Hinweise zu schwärzen. Dietrich hofft daher auf andere Unterlagen, die noch in Ministerien, beim Verfassungsschutz und beim BND liegen müssen. Bisher wird ihm der Zugang verweigert, doch der Rechtsanwalt will hartnäckig bleiben. "Man wird noch einiges von der Sache hören."

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.1868388
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 22.01.2014
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.