Signalkrebs in Bayern:Der Teufel aus dem Lake Tahoe

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Der Sisyphos vom Biberbach: Egon Schoderer hat in fünf Jahren 12 032 Signalkrebse gefangen. Aber trotzdem werden die Viecher nicht weniger. (Foto: Evi Lemberger)
  • Als die einheimischen Krebse krank wurden, importierten Feinschmecker den Signalkrebs aus Nordamerika.
  • Heute verdrängt der Eindringling viele heimische Arten - und überträgt die Krebspest.

Von Rudolf Neumaier, Treffelstein

Nudelsoße, man muss ihn sich in einer Nudelsoße vorstellen. Sein Fleisch erinnert an Scampi. Ein paar Tomaten dazu, ein bisschen Knoblauch - hervorragend! Sonst ist der Signalkrebs einfach nur unsympathisch. Ein gieriger kleiner Widerling. Wie er schon seine Scheren reckt und damit klappert - sein Gehabe als aggressiv zu bezeichnen, wäre glatt untertrieben. Und unbesiegbar ist er auch: Holst du einen aus dem Wasser, sind fünf neue da. Er breitet sich aus in Bayern. Außer Leuten wie Egon Schoderer hat er kaum Feinde.

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Wie Egon Schoderer im Landkreis Cham versucht, gegen die Ausbreitung des Signalkrebses anzukommen.

Zweimal am Tag rückt Egon Schoderer, 66, zurzeit mit seinem alten silbernen Chrysler Cherokee aus. Auf einem Abschnitt von gut hundert Metern versucht er den Biberbach einigermaßen vom Signalkrebs frei zu halten. Denn der Biberbach in Treffelstein, Landkreis Cham, ist eines der letzten Reservate der Flussperlmuschel in Deutschland.

Was die vom Aussterben bedrohten Muscheln allerdings gar nicht brauchen können, sind aufdringliche Signalkrebse, die an ihnen herumlutschen und sie zu knacken versuchen.

Hundefutter für den gierigen Krebs

Der Biberbach entspringt wenige Kilometer weiter aufwärts im angrenzenden Tschechien. Auf der Strecke, die das Landratsamt Schoderer zum Krebsbefischen zugeteilt hat, ist er kaum zwei Meter breit, also eher ein Graben als ein Bach. Das Quellwasser ist kühl - wie es die Perlmuschel liebt. Der Signalkrebs jedoch auch.

Zum Verhängnis wird ihm hier die eigene Gier, sie treibt ihn in Egon Schoderers Reusen. Diese Fangkäfige haben zwei Eingänge, durch die der Krebs hineinschlüpfen kann - aber er kommt nicht mehr hinaus. Schoderer hängt ein Körbchen, gefüllt mit Hundetrockenfutter, in jede Reuse, und der Duft des Futters verbreitet sich den Bach hinunter. Er lockt die Krebse an. Seit Wochen legt Herr Schoderer die Reusen aus, Tag für Tag. Die Krebse werden nicht weniger.

Der Name, den der Fischer seinem Gegner gibt, drückt tiefste Abscheu aus: "Da ist er, der Teufel." Er sagt das zweimal an diesem Nachmittag, erst als er die erste Reuse aus dem Wasser zieht, und dann vor dem großen Bassin, in dem er die Signalkrebse hältert. "Schauen Sie ihn an, den Teufel."

Manchmal zwicken sie mit ihren scharfen Spitzen

Pacifastacus leniusculus - der lateinische Name des Tieres klingt nach einem kleinen Hollywood-Dämon. Bei aller Verachtung, Egon Schoderer, gibt einen ziemlich freundlichen Teufelsaustreiber ab. An heißen und sonnigen Tagen stellt er seinem Feind sogar einen Sonnenschirm auf.

Ohne Schatten würden die Signalkrebse jämmerlich krepieren, die er aus den Reusen in seine Wanne kippt. Auch wenn sie ihn manchmal zwicken mit ihrem scharfen Dorn an der Scherenspitze, dass seine Hände bluten, quälen will er sie nicht. Kreatur ist Kreatur.

In der ersten Reuse kriechen zehn Krebse, in der zweiten zwölf, in der dritten acht. Bis zur zehnten Reuse werden es immer weniger. Aber, sagt Egon Schoderer, es sei in den fünf Jahren, in denen er nun am Biberbach dem Signalkrebs nachstelle, niemals vorgekommen, dass eine Reuse leer war. Wenn er sie an Land zieht, machen sich die Krebse immer noch am Hundefutter zu schaffen.

Der Signalkrebs ist ein klassischer Öko-Sündenfall. Die Leute, die ihn importierten, dachten sich nichts dabei. In europäischen Binnengewässern waren Krebse seit jeher heimisch. In Deutschland war vor allem der Edelkrebs. Doch die heimischen Krebsarten wurden heimgesucht von einer Krankheit, der Krebspest, die ganze Bestände vernichtete und andere extrem dezimierte.

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In Schweden kamen zu Beginn der Sechzigerjahre kulinarische Krebsliebhaber auf die Idee, den nordamerikanischen Signalkrebs anzusiedeln. Ursprünglich stammt er aus dem kalifornischen Lake Tahoe. Der Signalkrebs, so das Kalkül, ist immun gegen die Krebspest und ebenso schmackhaft wie der Edelkrebs.

Dass die neue Spezies trotz ihrer eigenen Resistenz aber den Krebspest-Erreger verbreitet und dadurch den gefährdeten einheimischen Arten auf tödliche Weise zusetzt, das hatten die Importeure nicht auf der Rechnung. "Bedauerlicherweise", schreibt das Landesamt für Umwelt (LfU), "wurde auch in Bayern die Verbreitung dieser gebietsfremden Krebsart teilweise wider besseres Wissen und trotz gesetzlicher Verbote betrieben."

Das Amt bezeichnet ihn als "gefährlichen Fremdkörper in der heimischen Fauna". Er sei "wehrhaft und aggressiv", von einem Teufel zu reden wie Egon Schoderer, verbietet sich für eine bayerische Behörde.

Fatalerweise sieht er dem Edelkrebs sehr ähnlich. Es sei deswegen schon zu irrtümlichem Fehlbesatz gekommen, schreibt das LfU. Am deutlichsten lässt sich der Signalkrebs durch einen hellen türkisen Fleck im Scherengelenk identifizieren, und sein Panzer ist glatt im Gegensatz zur höckrigen Schale des Edelkrebses.

Der heimische Edelkrebs hat keine Chance mehr

Der unerwünschte Einwanderer aus Amerika wird sich nicht mehr vertreiben lassen, da machen sich die Ökologen nichts vor. "In Gewässern, die er besiedelt hat, hat der heimische Edelkrebs keine Chance mehr", sagt Sebastian Hanfland, promovierter Fischereibiologe und Geschäftsführer des Landesfischereiverbandes. "Ein gesetzlich und ethisch vertretbares Mittel, um ihn zu vertreiben, gibt es nicht."

In Amerika rücken sie mit der chemischen Keule an, wenn sie eine Tierart vernichten wollen - und töten dabei alle anderen Tiere eines Gewässers. Bei manchen Gewässern stehen die Fischereibiologen vor einem Dilemma: Einerseits setzen sie sich vehement dafür ein, dass alle von Kraftwerken und Staustufen zerschnittenen Flüsse für Fische wieder durchgängig gemacht werden - andererseits kann dann auch der Signalkrebs neue Strecken erobern und dort übrig gebliebene Populationen des Edelkrebses niederkartätschen.

"Wenn man vor zehn Jahren bei uns nachts mit der Stirnlampe unterwegs war, dann hat man mal welche gefunden", sagt Manfred Holzner, "heute hat man Schwierigkeiten, sie zu übersehen." Holzner, ebenfalls promovierter Fischereibiologe, leitet einen Fischereiverein in den Landkreisen Mühldorf und Altötting. In den wärmeren Nebenflüssen des Inn habe sich der Signalkrebs "in einem extrem ausufernden Maß" verbreitet.

Warum die Bestände in den vergangenen zehn Jahren explodierten, kann er sich kaum erklären. Der Fraßdruck des wendigen Krebses auf kleinere Fischarten sei nicht zu unterschätzen, doch größere Fische wie Waller und Zander fräßen sich wiederum an den Krebsen satt.

In seinem Anglerverein will Holzner nun eine geordnete Krebsbewirtschaftung einführen und spezielle Krebsfangmethoden wie den Krebsteller erlauben. Als Köder auf diesen Spannnetzen, die wie Siebe aus dem Wasser gezogen werden, dienen tote Fische. Wie die Signalkrebse auf Aas fliegen, merken Fischer aus Holzners Verein, die mit totem Köderfisch auf Zander angeln: Nach einer halben Stunde ist der Haken leergefressen. "Diese Tiere räumen in den Gewässern sehr sauber auf", sagt Holzner.

Schoderer gibt die Tiere kostenlos ab

Im Biberbach gibt es keine Waller, die Krebse fressen könnten, und keine Zander, die Egon Schoderer in seinem Kampf mit dem Teufel helfen würden, nur ein paar kleine Bachforellen. 52 Signalkrebse krabbeln am Ende in der Wanne unter dem Sonnenschirm. Schoderer hältert sie in einem großen Frischwasser-Bassin in der Hütte einer aufgelassenen Fischzucht, bis sie abgeholt werden - meistens von Hobbyköchen.

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Schoderer gibt die Krebse kostenlos ab. Das einzige, was er von der Kundschaft verlangt, ist eine Unterschrift. Sie müssen schriftlich versichern, dass sie die Signalkrebse nicht wieder irgendwo aussetzen. Und wenn das Bassin zu voll wird, ehe ein Abnehmer kommt, bringt Schoderer die Tiere einem chinesischen Restaurant in Cham. "Der Chef macht da immer ein Festessen für seine Belegschaft draus."

In den Jahren 2009 bis 2013 wurden im kleinen Biberbach insgesamt 12 032 Signalkrebse gefangen. Auch dieses Jahr führt Schoderer genau Buch. Die Signalkrebse werden und werden nicht weniger. Egon Schoderer, der Sisyphos vom Biberbach, kann sich nur wundern, Tag für Tag.

© SZ vom 19.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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