Süddeutsche Zeitung

ÖDP:Der Reißnagel im Hintern der CSU

Die ÖDP hat bislang bei Wahlen exakt null Sitze im Landtag geholt - und schafft es doch immer wieder, die CSU abzuwatschen. Ihr letzer Sieg: das erfolgreiche Volksbegehren zum Artenschutz.

Von Andreas Glas

Wer diese Partei kapieren will, muss ins hinterste Eck Bayerns fahren, nach Wegscheid. Der Weg führt eine schmale Straße entlang, rechts und links türmt sich der beiseite geräumte Schnee. Am Ende der Straße steht ein altes Haus, etwas versteckt zwischen Nadelbäumen. Neben dem Haus ein Stall, dahinter öffnet sich die Landschaft, Felder und Wald. Die Haustür geht auf, ein Gesicht lugt raus. Das Gesicht einer Partei, die sich regelmäßig zu Riesenerfolgen aufbläst - und irgendwie trotzdem auf Zwergenformat bleibt.

Das Gesicht gehört Agnes Becker, Vize-Landeschefin der ÖDP und Initiatorin des Volksbegehrens "Rettet die Bienen". Becker, 38, steht jetzt in der Stube ihres Hauses und löffelt zwei dicke Honigklumpen in ihre Teetasse. Sie sagt: "Man soll sich ja nicht selber loben." Aber? "Wenn man nüchtern bilanziert, ist die ÖPD die einzige Partei, die gegen den Willen der CSU Gesetze durchgebracht hat. Das kann sich die Landtagsopposition eher nicht auf die Fahnen schreiben."

Ziemlich frech für eine Partei, die stets so wenige Stimmen holt, dass es nicht mal für einen eigenen Balken im Wahldiagramm reicht. Nur ist es halt so: Ganz unrecht hat Becker nicht. Die SPD etwa hat seit dem Krieg 1121 Landtagssitze erobert, aber furiose Erfolge gegen die CSU fallen einem nicht direkt ein. Die ÖDP? Hat bislang exakt null Sitze im Landtag geholt - und schafft es immer wieder, die CSU abzuwatschen.

Es gibt ein legendäres ÖDP-Plakat aus dem Jahr 1998. Ein Löwe mit Reißnagel am Gesäß, dazu der Spruch: "Auch ein kleiner Reißnagel kann einen großen Hintern bewegen." Im selben Jahr gab es einen Volksentscheid zur Abschaffung des bayerischen Senats, erzwungen von der ÖDP. Erstmals musste sich die großhintrige CSU der reißnagelkleinen ÖDP geschlagen geben. Genauso 2010: Die CSU wollte kein radikales Nichtraucherschutzgesetz, die ÖDP setzte es per Volksentscheid durch. Nun, 2019, hat die ÖDP der CSU den dritten Reißnagel verpasst: das Bienen-Volksbegehren für mehr Artenschutz. Mit den Bienen habe man "in ein Wespennest gestochen", sagt Agnes Becker. Gut 1,7 Millionen Menschen haben unterschrieben.

Es scheint so, als hätten die Erfolge der ÖDP null Effekt auf ihre Wahlergebnisse

Schräg, dass die ÖDP trotzdem kaum jemand wählt, oder? Na ja, witzelt Becker, ein "außerparlamentarischer Oppositionsauftrag" sei auch ein Auftrag. Sie meint die 1,6 Prozent bei der Landtagswahl 2018. Das Maximum waren 2,1 Prozent im Jahr 1994, noch vor dem ersten Reißnagel-Triumph. Scheint echt so, als hätten die Erfolge der ÖDP null Effekt auf ihre Wahlergebnisse. Warum ist das so?

Womöglich liege es an der "unterentwickelten Fähigkeit zur Selbstdarstellung", dass es ihre Partei nie schafft, den Rückenwind ihrer Erfolge in die Wahlkämpfe mitzunehmen. Die ÖDP sei "eher so der Menschenschlag, der sich dann bescheiden in die Ecke stellt. Für das politische Fortkommen ist das sicherlich kein hilfreicher Charakterzug", sagt Becker. Aber dafür sei jeder in der Partei "bis auf die Knochen überzeugt von der Sache."

Vielleicht ist es ja wirklich so: Die ÖDP will ihre Überzeugungen voranbringen und nimmt dafür in Kauf, selbst auf der Strecke zu bleiben. Man lobt sich gern als Partei, deren Mitglieder sich für die Sache mehr interessieren als für die eigene Karriere. Ist auch ein edler Ansatz, so wünscht man sich das ja. Wäre da nicht diese Sehnsucht: "Ich wäre wahnsinnig gern im Landtag", sagt Becker.

Einer, der das auch gern geschafft hätte, lebt 100 Kilometer nordwestlich von Wegscheid, in Windberg, ebenfalls Niederbayern. Bernhard Suttner, 70, legt eine fleckige Jutetasche auf den Küchentisch, "Jute statt Plastic" steht drauf. Vor 40 Jahren ist er damit rumgelaufen. Da hatte noch kaum jemand das Plastikproblem auf dem Schirm. Auf der Rückseite der Jutetasche sind Bernhard Suttners Initialen eingestickt, in grün, dazu eine Sonnenblume. Ein Überbleibsel aus einer Zeit, als Suttner noch ein Grüner war. Heute stört er sich an "den weichgespülten Positionen der Grünen" und wirft ihnen vor, "dass sie so tun, als würde es genügen, eine bessere Politik zu machen und das Verhalten der Einzelnen damit klein reden".

Natürlich hat Suttner registriert, dass zuletzt viele Wähler von der CSU zu den Grünen gewandert sind. Es ärgert ihn, dass diese Menschen "nicht den Mut gehabt haben", ÖDP zu wählen. Ein Grund für Suttners Frust: Bei gesellschaftspolitischen Themen wäre der Weg von der CSU zur ÖDP eigentlich kürzer gewesen. Die ÖDP ist christlich geprägt, zum Markenkern gehört auch das traditionelle Familienbild und der Schutz des ungeborenen Lebens. Dass die Grünen "Schwangerschaftsabbrüche unter Freiheitsaspekten so positiv dargestellt haben", sei der Grund gewesen, dass er 1980 dort ausgetreten sei, sagt Suttner.

Bis 2011 war er Landeschef der ÖDP, 20 Jahre lang. Politisch aktiv ist er immer noch. Suttner hat am Bienen-Volksbegehren mitgearbeitet, ist ÖDP-Fraktionschef im Kreistag Straubing-Bogen. Er gehört zu den wenigen bekannten Parteigesichtern, die der ÖDP zumindest bei Kommunalwahlen gute Ergebnisse beschert haben. Vor allem in Niederbayern, wo es ein paar ÖDP-Kandidaten gibt, die besonders umtriebig sind. Aber nicht nur dort, auch in Oberbayern, der Oberpfalz, in Mittel- und Unterfranken ist es der ÖDP gelungen, bei den Wahlen 2014 insgesamt acht Bürgermeister zu stellen.

Dass sich die Grünen für einen verträglichen Ausgleich von ökologischen und ökonomischen Interessen einsetzen, greift für Suttner zu kurz. Die Grünen-Botschaft beschreibt er so: "Es bleibt alles gut, nur erneuerbar und ansonsten fliegen wir weiterhin wie die Irren durch die Gegend." Dabei gebe es genug wissenschaftliche Beweise, dass der Klimawandel weit fortgeschritten sei und Naturkatastrophen zunähmen. "Aber die Politik redet immer noch so, als ob sie das auf gemütliche Art mit sehr viel Wohlfühlaspekt lösen könnte."

Wenn man den Leuten sage, dass sie aufs Fliegen verzichten sollen, dann sei das "nicht unbedingt die Botschaft, die einen Wahlerfolg garantiert", sagt Suttner. Dass der ÖDP noch immer ein christlich-fundamentales Image anhaftet, das Wähler abschreckt, glaubt er dagegen genauso wenig wie Agnes Becker. Auch Mitglieder aus der "rechten Ecke" gebe es längst nicht mehr, sagt die ÖDP-Landesvize. Es gebe zwar Strömungen in der Partei, die etwa die Homo-Ehe "ganz furchtbar" fänden. Aber auch "Leute wie mich, die sagen: leben und leben lassen".

Der Respekt vor Becker war auch Ministerpräsident Markus Söder anzumerken

Klar, es stinke ihr, dass die Grünen nun ebenfalls vom Erfolg des Bienen-Volksbegehrens profitieren, sagt Becker. Aber es sei für die ÖDP unmöglich gewesen, die Sache allein durchzuziehen. Zwei Wochen in ganz Bayern, um Unterschriften zu werben, "das schaffst du nur, wenn du das ganz große Bündnis schmiedest". Für eine Solonummer fehle ihrer Partei Personal, vor allem aber Geld. Natürlich erwähnt Becker jetzt einen weiteren ÖDP-Markenkern: den Verzicht auf Konzernspenden.

Sie steht nun hinterm Haus, wo auch ihre Pferde stehen, Attila und Aventis. Ihre Hündin Luisa sitzt auf dem Misthaufen, schaut in den Wald, acht Hektar gehören Becker. Sie ist Bio-Bäuerin im Nebenerwerb, verkauft Holz, baut Grünfutter an. Ursprünglich hat sie Schreinerin gelernt. "Oh, ein Weiberts", habe der Geselle gesagt, als sie aufschlug in der Schreinerei. Sie hat sich nicht unterkriegen lassen, auch nicht im Streit mit dem Bauernverband, dem großen Gegner ihres Volksbegehrens. Der Respekt vor Becker war auch Ministerpräsident Markus Söder (CSU) anzumerken, neulich, beim Auftakt des runden Tisches zur Entwicklung eines Artenschutzgesetzes.

Die CSU zu piksen "macht schon Spaß", sagt Becker. Da ist es ihr auch egal, dass sie wegen der Politik keine Zeit hat, ihre Doktorarbeit in Tiermedizin zu schreiben. Sie gibt die Hoffnung nicht auf, dass der dritte Reißnagel im CSU-Hintern doch mal ein Schub für die ÖDP in Richtung Landtag sein könnte. Was ihr denn so vorschwebe? "Landwirtschaftsministerin", sagt Agnes Becker. Und lacht.

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SZ vom 23.02.2019/smb
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