Oberster Bayerischer Rechnungshof:Finanzkontrolle unterm Hakenkreuz

Der Historiker Reinhard Heydenreuter hat die Rolle des Obersten Bayerischen Rechnungshofs zwischen 1933 und 1945 untersucht und herausgefunden, dass die Behörde trotz Gleichschaltung fortlaufend Kritik geäußert hat. Widerstandskämpfer waren die Beamten aber nicht.

Melanie Staudinger

Hitler im Gärtnerplatztheater, 1937

Adolf Hitler bei der Wiedereröffnung des Münchner Gärtnerplatztheaters als erster staatlicher Operettenbühne Deutschlands im November 1937. Der halbseidene Intendant Fritz Fischer wurde trotz Eskapaden, Verschwendungssucht und harscher Kritik des Rechnungshofs von Hitler protegiert.

(Foto: SZ Photo)

Vergewaltigungsvorwürfe, ein beachtliches Gehalt trotz fehlenden Anstellungsvertrags und beträchtliche Ausgaben, für die es keine Grundlage gab: Fritz Fischer zählte während der NS-Zeit zu den schillerndsten Figuren im Münchner Theaterleben. Gauleiter und Innenminister Adolf Wagner holte ihn 1937 als Intendant ans wiedereröffnete Gärtnerplatztheater und sicherte ihm alle künstlerische Freiheit zu. Als Fischer die "Lustige Witwe" inszenierte, reiste sogar Adolf Hitler persönlich an.

Der hielt Fischer für eine "phantastische Begabung", und stand sogar zu ihm, als der Intendant im Regina-Palast-Hotel versucht haben soll, eine 19-Jährige zu vergewaltigen. Hitler erließ ihm die Haft und schickte Fischer stattdessen in die Marine, wo er nach einem halben Jahr als dienstuntauglich entlassen wurde und wieder nach München zurückkehrte. Mächtige Freunde wie Hitler und Wagner ermöglichten Fischer ein nahezu unbeschwertes Leben - davon allerdings ließen sich die Beamten des Obersten Bayerischen Rechnungshofes offenbar nur wenig beeindrucken.

"Sie haben sogar einen Blumenstrauß für den Adjutanten des Führers Julius Schaub beanstandet", sagt der Jurist und Historiker Reinhard Heydenreuter. Der einstige Archivdirektor am Bayerischen Hauptstaatsarchiv und Leiter des Archivs der Bayerischen Akademie der Wissenschaften hat in der Studie "Finanzkontrolle in Bayern unterm Hakenkreuz " die Rolle der Rechnungsprüfer zwischen 1933 und 1945 untersucht. Mit durchaus überraschenden Ergebnissen. "Der Rechnungshof sollte Sauberkeit und Effektivität in der Verwaltung gewährleisten und damit Ressourcen für den sogenannten Endsieg freimachen", erklärt Heydenreuter.

Am Münchner Gärtnerplatztheater lief einiges nicht so, wie es sollte. Anlässlich der 50. Aufführung der Operette "Der goldene Pierrot" zahlte Intendant Fischer 15 100 Reichsmark an die Mitglieder des Ensembles aus, er gab Empfangsabende für Staatsminister Wagner oder kaufte überteuerte Damenkleider für die Stücke. Außerdem hatte Fischer keinen schriftlichen Vertrag. Die Rechnungsprüfer monierten, dass er Gehalt, Vorschüsse, Sonderhonorare und Urheberrechtsvergütungen bekam, ohne dass klar war, auf welche Beträge er Anspruch hätte. Trotz jährlicher Mahnungen der Rechnungskammer änderte sich das nicht.

Heydenreuters Analysen belegen, dass der Bayerische Oberste Rechnungshof, der im April 1937 in eine Außenabteilung des Reichsrechnungshofes umgewandelt wurde, auch in der Nazi-Zeit die Finanzen des Freistaats kontinuierlich weiter prüfte - obwohl er seinen Partner, den Bayerischen Landtag, verloren hatte. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurde die Einrichtung sogar noch gestärkt, die Mitarbeiterzahl auf 45 mehr als vervierfacht. Heydenreuter spricht von einer Prüfrevolution: Von 1937 an wurden auch die in Bayern befindlichen Reichseinrichtungen kontrolliert, im Vordergrund stand mehr und mehr ihre Wirtschaftlichkeit.

"Der Rechnungshof war vor dem Dritten Reich schon lästig und kritisch und konnte sich trotz der Gleichschaltung des Staatswesens eine gewisse Selbstständigkeit erhalten", sagt der amtierende Rechnungshofpräsident Heinz Fischer-Heidlberger. Und dennoch stelle sich die Frage, wie viel Beanstandung zur damaligen Zeit überhaupt möglich gewesen sei. So viel vorweg: Wirkliche Widerstandskämpfer waren die Beamten laut Quellenlage nicht.

"Sie haben zwar unablässig ihre Kritik geäußert, aber umgesetzt wurde nur wenig", erklärt Fischer-Heidlberger. Dazu habe das Parlament als Kontrollorgan der Regierung gefehlt und die Veröffentlichung der Prüfergebnisse, die einen gewissen Druck mit sich gebracht hätte. "Bestimmte Dinge wurden einfach vom Tisch gewischt."

Besonders, wenn Nazi-Größen involviert waren. 1937 etwa bemängelte der Rechnungshof die hohen Reisekosten des Reichsstatthalters Ritter von Epp. Insbesondere die Teilnahme an der Vermählung des Reichsluftfahrtministers Hermann Göring missfiel den Prüfern: Er hatte sie als Dienstreise deklariert.

Sogar das Konzentrationslager Dachau prüften die Kontrolleure. Die Verbrechen und menschenunwürdigen Zustände spielten in ihren Berichten allerdings keine Rolle. "Politisch hat sich der Rechnungshof nicht geäußert", sagt Fischer-Heidlberger. Die Einrichtung analysierte nur formal-rechtlich, nicht inhaltlich. Die Prüfer kritisierten so lediglich die mangelhafte Rechnungslegung der Lagerleitung. Heinrich Himmler, Reichsführer SS, allerdings bat darum, auf "kleinliche und überflüssige Beanstandung zu verzichten". Ein Eingehen auf die Vorwürfe der Rechnungsprüfer würde die laufende Arbeit gefährden.

Die Kontrollbehörde feierte 2012 ihr 200-jähriges Bestehen. Bis heute war die NS-Vergangenheit unbekannt, Dokumente lagerten in München und Berlin, in Festschriften wurde die Zeit nur kurz abgehandelt. Das ändert sich mit der Arbeit von Heydenreuter - 67 Jahre nach Kriegsende ist das ein längst überfälliger Schritt. Fischer-Heidlberger sagt: "Wir stehen zu unserer Vergangenheit."

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