Sven Keller, der Leiter der millionenfach besuchten Dokumentation Obersalzberg, ist ungeduldig. Die Baustelle dauert nun schon eine gefühlte Ewigkeit. Neun Jahre liegt der Architekturwettbewerb für den Erweiterungsbau des Lern- und Erinnerungsortes zurück. Der Ort ist geschichtsträchtig. Adolf Hitler hatte einst auf dem Obersalzberg in seinem Feriendomizil Gäste empfangen und teils die Regierungsgeschäfte geführt. Fünf Minuten Fußmarsch von der heutigen Dokumentation entfernt, fällte Hitler in seinem Berghof weitreichende und todbringende Entscheidungen.
Das staatliche Bauamt Traunstein hatte den Erweiterungsbau vor rund einem Jahr an das Institut für Zeitgeschichte München-Berlin (IfZ) übergeben: Der Bau ohne Inneneinrichtung gilt als weitestgehend abgeschlossen. "Auch die Ausstellung ist grundsätzlich fertig", sagt Leiter Sven Keller. Allerdings ist sie noch nicht eingebaut. Viele der Einzelteile liegen verpackt in den Ecken des großen Raumes, in dem später die aus fünf Kapiteln bestehende Dauerausstellung die Besucher informieren wird. Aus der Decke hängen noch Elektrokabel. "Wir warten auf Mikrochips", sagt Keller. Seit in Europa Krieg herrscht und Lieferschwierigkeiten viele Branchen einschränken, lassen viele Teile auf sich warten. Vor eineinhalb Jahren sollte ursprünglich eröffnet werden. Nun soll es voraussichtlich Herbst 2023 werden.
Seit 1999 wird auf dem Obersalzberg die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit betrieben. Mehr als drei Millionen Menschen besuchten das Zentrum mit der Dokumentation über die NS-Gewaltherrschaft und ihre Folgen, ehe es wegen des Neubaus geschlossen wurde. Die Ausstellung war mit 170 000 Besuchern pro Jahr zu klein geworden. Die Entscheidung zur Erweiterung fiel bereits vor mehr als zehn Jahren. Nun ist ein in den Berg gebautes Gebäude geschaffen worden. "Ein opulenter Bau wäre der falsche Weg gewesen", sagt Sven Keller.
Die Ausstellungsfläche hat sich im Erweiterungsbau mehr als verdoppelt. Auf 800 Quadratmetern soll künftig die Geschichte des Nationalsozialismus erzählt werden. Der Schwerpunkt liegt nun noch mehr auf der Ortsgeschichte des Obersalzbergs. Im Fokus steht das Umfeld jenes Berges, den Hitler ab 1923 - genau vor 100 Jahren - als Feriendomizil nutzte und der ihm später auch als zweiter Regierungssitz neben Berlin diente.
Ausgewählte Lebensgeschichten von alltäglichen Obersalzberg-Bewohnern sollen in der Schau zu finden sein. Die Historiker des IfZ haben diese recherchiert und ordnen sie anhand von Infos, Originalfotos und beispielhaften Dingen aus dem Leben zur NS-Zeit ein. Fundstücke wie originale Fotoalben, Tagebücher oder ein Kinderbett aus dieser Zeit sollen als Exponate gezeigt, eingeordnet und anhand geschichtlicher Ereignisse erklärt werden. Die bronzene Hitler-Büste, die 20 Jahre in der alten Dokumentation gezeigt wurde, verschwindet dagegen im Archiv. Für den prominenten Kopf hatte es immer wieder Kritik von Ausstellungsbesuchern gegeben.
Eine verpasste Chance könnte das Berghof-Gelände sein. Die Geschichte des Berghofes, in dem Hitler residierte, wird auch künftig keine tragende Rolle im Gesamtkonzept des Instituts für Zeitgeschichte spielen. "Wir würden gerne mehr tun", sagte Bildungsreferent Mathias Irlinger vom IfZ bereits im vergangenen Jahr. Seit Langem bietet die Dokumentation zwar Workshops mit dem Motto "Was tun mit dem Berghofgelände" an. Zudem gab es vor einiger Zeit die Idee, einen Audioweg mit weiteren Schautafeln zu gestalten, der Besuchern die Geschichte hinter Hitlers alpinem Regierungssitz näher bringt. Für eine umfassende Aufnahme in die Bildungsarbeit reicht das aber nicht.
Bis heute lockt der Ort auch unerwünschte Gäste an. Sie kommen jedes Jahr rund um Hitlers Geburtstag im April. "Die Erfahrung zeigt, dass die Frequenz dann höher ist", sagte Irlinger im vergangenen April. "Es gibt noch immer eine Klientel, die das Datum mit einem Besuch verbindet." Die Spuren rund um den Berghof sind noch nicht verschwunden: Hakenkreuze sind an einigen Bäumen zu sehen.
Seit die Dokumentation erweitert wird, gab es immer wieder schlechte Nachrichten vom Berg. Ein Architektenwechsel und Planungsfehler haben zu Verzögerungen geführt. Mehrfach mussten die Gesamtkosten angepasst werden. Der Bayerische Landtag hatte immer wieder zähneknirschend den Kostenrahmen angehoben: von 14 auf 21 und zuletzt auf 30,1 Millionen Euro. Die Putzbeleuchtung ist ein knappes Jahr nach Bestellung noch nicht geliefert. Seit Langem geordertes Museumsglas konnte noch nicht ausgeliefert werden. "Das ist schwer zu bekommen", sagt Keller. Die Preise sind bei vielen Produkten durch die Decke geschossen. Weil Gewerke voneinander abhängig sind, ist Warten angesagt. Die Grafikplatten, die Besuchern künftig den Nationalsozialismus anschaulich vermitteln sollen, blieben bis zuletzt eingepackt. An einigen Wänden hängen Unterkonstruktionen aus Holz, an die später die im Auftrag gefertigten Ausstellungsmöbel kommen. Für Keller bleibt nur: warten. "Wir versuchen, so schnell als möglich fertig zu werden."