Süddeutsche Zeitung

Dialektforschung:Regensburg bleibt eine Sprachinsel

Schon seit Jahrhunderten sprechen die Menschen dort anders als im Rest der Oberpfalz. Die Linguistin Elisabeth Wellner hat dem Phänomen eine Dissertation gewidmet.

Von Hans Kratzer, Regensburg

Eigentlich müsste ja Amberg die Hauptstadt der Oberpfalz sein und nicht Regensburg. Das sagt der in Regensburg lebende Sprachwissenschaftler Ludwig Zehetner, der diese These sowohl mit der zentralen Lage der Stadt Amberg als auch mit dem dort verbreiteten Dialekt begründet. In Amberg wird natürlich Nordbairisch gesprochen, wie es in der Oberpfalz üblich ist. Merkwürdig ist nur, dass ausgerechnet die Hauptstadt Regensburg aus der Sprachgemeinschaft der Oberpfalz ausschert. Dieses Phänomen besteht schon seit Jahrhunderten. In vielen bedeutenden Werken ist es beleuchtet worden, und soeben hat sich eine neue Arbeit in diese lange Liste eingereiht. Die Linguistin Elisabeth Wellner hat ihre Dissertation dem Thema "Regensburgerisch" gewidmet und damit einen neuen und aufschlussreichen Kenntnisstand zur verwirrenden Gemengelage dieser Stadtsprache geliefert.

Regensburg gilt seit Jahrhunderten als eine Sprachinsel, in der die typischen Merkmale des Oberpfälzischen kaum zu finden sind, dafür aber die mittelbairischen Elemente, wie sie den Dialekt in Ober- und Niederbayern prägen. Wellners Forschungen deuten allerdings darauf hin, dass die Sprachinsel Regensburg aus linguistischer Sicht mittlerweile nur noch rudimentär besteht. Es zeigt sich freilich auch, dass das Sprachinselgefühl das Selbstverständnis vor allem der älteren Regensburger immer noch stark beeinflusst.

Bayerische Sprachinseln bilden ein Phänomen, das weltweit zu finden ist. Sie sind das Ergebnis von Auswanderungswellen in fremde Länder und Kontinente, in denen die Siedler dann weitgehend unter sich blieben. Auf diese Weise wurde die alte Heimatsprache oft über Jahrhunderte konserviert. Die bekanntesten Sprachinseln gibt es in der Bergwelt Norditaliens, wo mancherorts ein 800 Jahre altes bairisches Idiom überlebt hat. Ähnlich faszinierende Sprachrelikte aus Bayern finden sich in Neuseeland, in Brasilien, in Texas, in Sibirien und in den Karpaten.

Dass auch Regensburg eine Sprachinsel bildet, geht schon aus einem 1689 erschienenen Wörterbuch hervor. In jenem "Glossarium Bavaricum" hat der Schriftsteller Johann Ludwig Prasch (1637-1690) erstmals die Regensburger Stadtsprache dokumentiert. In diesem Wörterverzeichnis, sagt Ludwig Zehetner, sei kein einziges Wort zu finden, das auf einen für die Oberpfalz so typischen gestürzten Diphthong schließen lasse (wie in Fouß, Fäiss für Fuß, Füße). Laut Zehetner beweist dies, dass sich Regensburg im 17. Jahrhundert sprachlich aus der Oberpfalz ausgeklinkt hatte.

Im Mittelalter wurde auch in Regensburg noch Nordbairisch gesprochen. In der Sprache spiegeln sich oft die politischen Verhältnisse wider. Dass sich Regensburg sprachlich anders entwickelte als die Oberpfalz, liegt an der Reformationszeit, in der Tausende evangelische Exilanten aus Österreich in die seit 1542 protestantische Reichsstadt flüchteten. Im 17. Jahrhundert, schätzt Zehetner, waren viele wichtige Posten in Regensburg mit Protestanten besetzt, die so ähnlich redeten wie die Niederbayern und die Salzburger. Das färbte auf die städtische Sprache ab.

Wellners Dissertation, eine akribische Fleißarbeit, stellt nun aber den Sprachinselcharakter Regensburgs in Frage. Diese Entwicklung ist bedingt durch die allgemeine, die Dialekte eindämmende Sprachentwicklung. "Der Dialekt verdünnt sich", sagt Zehetner, in der Stadt noch mehr als auf dem Land. Wellner fand heraus, dass die meisten dialektalen Merkmale der Regensburger Sprache, die Zehetner vor 20 Jahren noch vorgefunden hatte, nur noch in der älteren Generation gängig sind.

Mittlerweile, so stellt es Wellner dar, ist die Sprache der Regensburger, bedingt durch starken Zuzug, von vielen Einflüssen geprägt. Vom Mittel- und Nordbairischen ebenso wie vom Standarddeutschen und den Sprachen von Migranten. Die Regensburger, so sagt sie, besäßen die Fähigkeit, sich sehr gut an solche Entwicklungen anzupassen. Dass der Dialekt ausstirbt, glaubt Wellner nicht. Er werde sich verändern, das tue jede Sprache. In Regensburg mündet diese Entwicklung gerade in einen sogenannten Regiolekt, der großräumiger angelegt ist als der Dialekt. In ihm vermengen sich sämtliche aktuellen Sprachelemente der Stadt. Wie Wellner festgestellt hat, überleben sprachliche Merkmale umso besser, je großräumiger sie verbreitet sind (etwa das Weglassen des Buchstaben e bei gemacht=gmacht).

Ungeachtet von Wellners Forschungsergebnis pochen aber viele Regensburger nach wie vor auf ihren Sprachinselstatus, der fest im kulturellen Gedächtnis verankert ist und identitätsstiftend wirkt.

Elisabeth Wellner: Regensburgerisch. Sprache und Sprachgebrauch des Deutschen im urbanen Varietätsspektrum. Edition Vulpes, 244 Seiten, 30 Euro.

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SZ vom 11.02.2021/vewo
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