Kultur in Bayern:Der Chronist des Vergänglichen

Kultur in Bayern: Mehr als 50 Jahre lang begleitete Kurt Benning eine auf Burg Treswitz lebende Mutter und ihren Sohn. Daraus entstand die Serie "Burgtreswitzmensch", 1969.

Mehr als 50 Jahre lang begleitete Kurt Benning eine auf Burg Treswitz lebende Mutter und ihren Sohn. Daraus entstand die Serie "Burgtreswitzmensch", 1969.

(Foto: Stiftung Kurt Benning, München)

Eine Ausstellung in Cham erinnert an den Universalkünstler Kurt Benning, der nicht nur seiner Zeit weit voraus war, sondern auch der Oberpfalz ein einzigartiges Denkmal gesetzt hat.

Von Hans Kratzer, Cham

An einem grauen Tag im November 1990 begab sich Kurt Benning von München aus auf eine Reise, die ihn zurück in seine Kindheit führte. Sein Ziel war das Dorf Waldau in der Oberpfalz, dort wohnte eine Tante von ihm. Auf den 32 Schwarzweiß-Fotografien, die er danach in einem kleinen Bildband veröffentlicht hat, wirkt Waldau trist und verlassen. "Deutsches Dorf im Winter" lautet der Titel dieses schroff existentialistischen Büchleins, das noch der geniale, aber früh gestorbene Passauer Büchermacher Karl Stutz verlegt hat.

"In der frühen Nachkriegszeit, bis in die 60er Jahre hinein, war das Mittelalter auf dem Lande noch nicht völlig zerstört", schrieb Benning in seinem Begleittext zu dem Band. Er wuchs ganz in der Nähe von Waldau "noch in die Sitten und Gebräuche einer alten Welt hinein". Einer Welt, die den 2017 gestorbenen Universalkünstler nicht mehr loslassen sollte. "Sein Herz blieb ein Leben lang in der Oberpfalz", sagt Anjalie Chaubal, Leiterin der Städtischen Galerie im Cordonhaus in Cham, in dem zurzeit eine Retrospektive über Bennings Gesamtwerk gezeigt wird.

Benning kam in der ganzen Welt herum. Nach einer Uhrmacherlehre studierte er an der Akademie der Bildenden Künste in München, arbeitete dann von 1969 bis 1975 in London. Und doch ist er immer wieder in die Oberpfalz zurückgekehrt. Erst nachdem er weggezogen war, hat er diese Region freilich als eine Art verlorene Heimat entdeckt. Die Spuren menschlichen Lebens und Zustände des Verfalls haben ihn nachhaltig fasziniert und ein Leben lang begleitet, sagt Chaubal.

Kultur in Bayern: Aufnahme aus Bennings Serie "Waldau - Deutsches Dorf im Winter - Eine Kindheitserinnerung".

Aufnahme aus Bennings Serie "Waldau - Deutsches Dorf im Winter - Eine Kindheitserinnerung".

(Foto: Stiftung Kurt Benning, München)

Benning habe in Waldau "ein ländliches Stück Deutschland mit fotografischen Mitteln (psycho-) analysiert", schrieb der Autor Gottfried Knapp damals in seinem Begleittext zum Buch. Sein Ziel war es, "universale Themen im Persönlichen und im Alltäglichen zu suchen." Zu diesem Zweck beobachtete er Prozesse und Veränderungen über einen längeren Zeitraum. Ein Glanzpunkt in der Ausstellung ist zweifellos die in mehr als 50 Jahren gewachsene Gesamtinstallation "Burgtreswitzmensch."

Als junger Mann hatte Benning anno 1969 die Bewohner eines verfallenen Schlosses kennengelernt. Es handelte sich um eine Mutter und ihren Sohn, die auf der Burg Treswitz im Oberpfälzer Wald, weltweit vernetzt ihrer Leidenschaft für Kunst und Kultur frönten.

Kultur in Bayern: Aufnahme aus der Serie "Burgtreswitzmensch", 1969.

Aufnahme aus der Serie "Burgtreswitzmensch", 1969.

(Foto: Stiftung Kurt Benning, München)

Benning begleitete die beiden über lange Zeit hinweg und dokumentierte deren Leben mit der Kamera bis zum Tod. Und sogar darüber hinaus, denn ihre Spuren und Hinterlassenschaften waren ja immer noch da. Auch das dokumentierte Benning sauber und penibel.

In den 1990er-Jahren fertigte Benning Videoporträts von Menschen aus allen sozialen Klassen, Berufsgruppen und jeden Alters an, um auf diese Weise ein möglichst vielschichtiges Bild der Gesellschaft zu erhalten. In den fertiggestellten Porträts finden sich unter anderen Walter Kempowski und Sigi Zimmerschied.

So entstanden einzigartige Zeitdokumente. Benning war in vielerlei Hinsicht seiner Zeit voraus. Der Kunsthistoriker Günter Metken schrieb einmal, Kurt Benning habe als einer der ersten den Verlust gespürt, den jeder Abbruch und jeder Kahlschlag bewirke. Er wurde quasi ein früher Chronist der Verluste und sicherte Spuren des Vergänglichen. Schon als Akademiestudent hatte er 1967 eine Plakataktion "Rettet Münchens Fassaden" initiiert und bei vielen jungen Menschen das Interesse am baulichen Erbe der Stadt geweckt.

Kultur in Bayern: Kurt Benning - ein Porträt aus dem Jahr 1980.

Kurt Benning - ein Porträt aus dem Jahr 1980.

(Foto: Stiftung Kurt Benning, München)

Was den Chronisten Benning aber auch auszeichnet, ist die Verwendung ganz unterschiedlicher Medien. Schon seit seinem Studium in den 1960er-Jahren fotografierte, zeichnete, malte und filmte er, dazu schuf er dreidimensionale Objektinstallationen.

So sind in der Ausstellung in Cham nicht nur die Foto-Serien zu bestaunen, sondern auch Zeichnungen, Malereien, Filme und nicht zuletzt die literarischen Beiträge zu seinen Werken.

Wohl wissend um seine begrenzte Lebenszeit gründete Kurt Benning zu seinem 71. Geburtstag und kurz vor seinem Tod die gemeinnützige Stiftung Kurt Benning. Sie hat die Aufgabe, die Fülle und Qualität des künstlerischen Werks von etwa 1970 bis zu seinem Tode am 24. März 2017 für die Nachwelt zu erhalten und zugänglich zu machen. Am kommenden Sonntag, 26. Februar, wird Paul Bräg, der als wissenschaftlicher Mitarbeiter der Stiftung den Nachlass des Künstlers bearbeitet, durch die Ausstellung in Cham führen.

Kurt Benning - Die Entdeckung der Oberpfalz. Städtische Galerie Cordonhaus Cham, bis 12. März (Mi-So 14-17 Uhr, Do 14-19 Uhr, Tel. 09971-8579 8420).

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