Da liegt es, das Notenblatt. Es liegt vor ihnen auf dem Tisch, zwischen Ordnern, Kaffeetassen und Butterbrezen. Das Notenblatt ist das letzte Puzzleteil, da sind sich die zwei Männer sicher. "Zu 200 Prozent", sagt der eine. "Es passt alles zusammen", sagt der andere.
Aber was nützt es, falls sie recht haben und nichts beweisen können? Sie können nichts beweisen, weil sie gegen Mauern rennen. Gegen Schlossmauern, gegen Behördenmauern. Gegen Mauern, hinter denen es versteckt sein soll: das Bernsteinzimmer.
Es ist früh am Morgen, Erich Stenz und Georg Mederer haben zum Treffen geladen, in ein Hotel in Neumarkt in der Oberpfalz. Was sie erzählen, klingt nach Spinnerei, dann nach Gänsehaut und irgendwann ist man selbst angefixt.
Ein Kollege brachte Stenz auf die Spur
Nur: Darf man ihnen glauben? Kann es wirklich sein, dass die Nazis all das Gold und die Edelsteine im Februar 1945 nach Nordböhmen verfrachtet haben? Dass die Nazis das Bernsteinzimmer vor der näher rückenden Sowjetarmee versteckt und im Keller eines alten Schlosses eingemauert haben? Es wäre eine Sensation, so ungeheuerlich, dass man nicht anders kann, als misstrauisch zu sein.
Alles begann vor neun Jahren, damals arbeitete Erich Stenz als Wirtschaftsdetektiv. Ein Kollege erzählte ihm von einer alten Frau, die ihrer Tochter ein Geheimnis anvertraut habe. Die Frau sei früher Köchin gewesen, auf Schloss Friedland in Böhmen, erzählt Stenz. Im Februar 1945, in den Wochen vor Kriegsende, will die Frau beobachtet haben, wie in der Abenddämmerung ein Lastwagen nach dem anderen auf das Schlossgelände fuhr. Wie Männer in SS-Uniformen Kisten mit Gold und Edelsteinen abluden, wie sie mit den Kisten im Schloss verschwanden, wie sie im Morgengrauen wieder davonfuhren. Zwei Wochen lang sei das so gegangen, Nacht für Nacht.
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"Ich bin da wie ein Terrier", sagt Erich Stenz, der zur Zeit des Kalten Krieges als Geheimagent für den Bundesnachrichtendienst gearbeitet hat. Er habe ein exzellentes Bauchgefühl, wenn es um Geheimnisse gehe, sagt Stenz. Also fährt er mit einem Bekannten nach Friedland, die beiden nehmen an einer Schlossführung teil, setzen sich von der Besuchergruppe ab, gehen über eine Treppe in den Keller.
Sind die Kisten wirklich im Keller des Schlosses eingemauert?
Sie gehen weiter, bis sie vor einer Mauer stehen, die anders aussieht als das Gewölbe drumherum. Das Gewölbe, sagt Stenz, "ist Hunderte Jahre alt und die Mauer ist neuzeitliches Gestein und Zement", das habe ein Experte bestätigt, dem er das Foto zeigte, das sein Kollege im Schlosskeller gemacht hat.
Drei Jahre später besucht Stenz die Zeitzeugin, die Frau ist inzwischen 93 Jahre alt. Sie bestätigt ihm die Sache mit den Lastwagen, den SS-Männern, den Kisten. Und sie erzählt, dass sie einmal nachgeschaut habe, was die SS-Männer im Keller getrieben haben. "Sie hat mir gesagt, dass die Kisten rechts und links vermauert wurden", sagt Stenz. Während des Gesprächs "hatte ich nie Zweifel, dass die Frau fantasiert. Sie war geistig ganz wach."
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Wieder drei Jahre später, im Juni 2014, haben Stenz und Mederer einen Termin in Prag, in der tschechischen Denkmalbehörde. "Von welchem Schloss sprechen Sie?", habe der Direktor gefragt. "Von Schloss Friedland", habe Stenz geantwortet. Dann soll der Direktor gesagt haben: "Euch hat der Teufel geschickt."
Wissen die tschechischen Behörden etwa von dem Schatz im Schlosskeller? Oder war der Direktor nur genervt von zwei Träumern, die ihm seine Zeit stehlen? Es ist ja nicht das erste Mal, dass jemand behauptet, das Versteck des Bernsteinzimmers zu kennen. Mal führten die Spuren der Hobbyforscher nach Litauen, mal nach Weimar, mal nach Wuppertal - und am Ende immer ins Leere.
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"Die Tschechen haben Angst, dass etwas bekannt wird, was sie jahrzehntelang verschwiegen haben", glaubt Stenz. Wenn das Geheimnis rauskomme, "ist es nur eine Frage der Zeit, bis Herr Putin anklopft" und Besitzansprüche anmelde. Das Bernsteinzimmer gehörte ja den Sowjets, bevor es die Nazis aus dem Katharinenpalast bei Leningrad ausbauten und versteckten.
Es gebe keinen Keller, heißt es anfangs
Im Dezember 2014 gibt es ein zweites Treffen mit den tschechischen Behörden, diesmal auf Schloss Friedland, im Kaminzimmer. Mit am Tisch sitzt ein tschechischer Geheimdienstmitarbeiter und die Schlossverwalterin. Die Verwalterin, sagt Stenz, habe bei diesem Gespräch behauptet, dass es auf dem Schloss gar keinen Keller gebe. Erst als er das Foto auf den Tisch gelegt habe, da habe sie zugegeben, dass es den Keller gibt. Erich Stenz findet dieses Verhalten merkwürdig, fühlt sich bestätigt: "Das Ganze stinkt."
Im März 2015 erlauben die Behörden den beiden Männern, auf dem Schloss zu forschen. Sie kommen mit einem Gerät, das messen soll, was sich hinter den Mauern verbirgt. Aber angeblich verbietet ihnen die Schlossverwalterin dort zu messen, wo sie das Bernsteinzimmer vermuten. Die Frau sei nervös gewesen, habe "immer wieder mit der Regierung in Prag telefoniert", erzählt Erich Stenz. "Man traut sich gar nicht vorzustellen, warum das Geheimnis so groß ist", das die Schlossverwalterin gemacht habe, sagt Georg Mederer.
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Inzwischen sorgt die Schatzsuche der zwei Oberpfälzer in Tschechien für Schlagzeilen. Die Zeitung Dnes hat bei der Denkmalbehörde nachgefragt - für die Behörde ist die Sache erledigt. "Im März 2015 waren die Forschungen an den ausgewählten Orten, wie vertraglich vereinbart, abgeschlossen. Aber es wurde nichts gefunden", sagt Behördenchef Miloš Kadlec. Er hat eine andere Erklärung für die Aussagen der früheren Schlossköchin. In das Schloss sei 1945 tatsächlich eine Sendung mit Kisten geschickt worden, sagt Kadlec. Darin seien aber keine Edelsteine gewesen, sondern "Bücher aus einer Berliner Bibliothek".
"Es passt alles, das ist Wahnsinn"
Stenz und Mederer halten das für eine Lüge - spätestens seit ihnen ein Informant das Notenblatt zugespielt hat, vier Wochen ist das her. Sie sind sich sicher: Martin Bormann, Hitlers Privatsekretär, hat auf dem Notenblatt einen Geheimcode für das Versteck des Bernsteinzimmers vermerkt. Es gibt keine Belege, dass das Blatt echt ist, aber bei Schatzsuchern gilt es schon länger als heiße Spur.
Stenz und Mederer glauben, den Code entschlüsselt zu haben. "Wo Matthias Die Saiten streichelt", heißt es in der ersten Textzeile - ein Hinweis auf Matthias Gallas, früher Besitzer von Schloss Friedland? Die vierte Zeile: "Predigtstuhl Kreuz u. Kranz" - eine Anspielung auf den Predigtstuhl und das von einem Kranz eingerahmte Kreuz in der Kapelle auf Schloss Friedland? Es gebe noch mehr Hinweise auf dem Notenblatt, sagt Mederer, "es passt alles, das ist Wahnsinn".
Deshalb werde man nicht aufgeben, man werde weiter Druck auf Tschechien machen. Solange, bis der Wahnsinn zur Wahrheit wird. Oder sich als Wahn herausstellt. Mal wieder.