Oberfranken:Wie Wallenfels nach dem Fund der Babyleichen leidet

Kinderleichen in Wallenfels entdeckt

Acht Engel aus Porzellan und Kerzen: Wallenfels ist geschockt von dem Fund von acht Babyleichen.

(Foto: dpa)
  • Im Fall der acht in Wallenfels gefundenen Baby-Leichen liegt ein erster Obduktionsbericht vor.
  • Demnach seien sechs der Säuglinge lebensfähig gewesen.
  • Wer der Vater der Kinder war und wie sie zu Tode gekommen sind, ist weiter unbekannt.

Von Olaf Przybilla, Wallenfels

An der Klagestellwand in der katholischen Kirche, wo die Wallenfelser nach dem Fund von acht Babyleichen ihre Sorgen und Nöte formulieren können, hängt ein Zettel, der sich mit der Zukunft der Kleinstadt beschäftigt. "Betet für die Kinder und Angehörigen, damit sie das verkraften können, und ein Stück weit wieder normal leben können."

Der Hoffnung nach Normalität, die zurückkommen möge, begegnet man immer wieder in Orten, in denen von einem auf den anderen Tag alles anders geworden ist, auch Bürgermeister Jens Korn weiß das. In einer Hinsicht aber, auch das weiß er, ist der Fall im oberfränkischen Wallenfels besonders. In dem Wohnhaus, in dem die acht Leichen gefunden wurden, leben weiterhin Kinder.

Was bislang bekannt ist

Am Dienstag haben Erlanger Rechtsmediziner einen ersten Obduktionsbericht vorgelegt. Wie lange die Babyleichen schon in dem Haus an der Hauptstraße lagen, vermag er nicht aufzuklären. Dafür war der Zustand der Leichen zu schlecht. Nur einmal, sagt Peter Betz, Chef der Rechtsmedizin an der Uni Erlangen, habe er einen vergleichbaren Fall gehabt.

In Bad Alexandersbad, ebenfalls im Norden Oberfrankens gelegen, waren die beiden 2013 aufgefundenen Babyleichen in einem ähnlichen Zustand. Eines aber glauben die Rechtsmediziner doch feststellen zu können: Sechs der Säuglinge wären potenziell lebensfähig gewesen, der Entwicklungsstand der Leichen spreche dafür. Zwei hingegen waren vermutlich nicht lebensfähig.

Die 45-jährige Mutter hat am Samstag in Teilen gestanden, "im Lauf der Jahre" mehrere lebend geborene Kinder getötet zu haben. Wie die Babys ums Leben kamen, ist auch nach dem Bericht aus der Rechtsmedizin nicht klar. Ebenfalls nicht geklärt ist, wer der Kindsvater war. Das, sagt die Polizeisprecherin Anne Höfer, werde noch mindestens vier Wochen dauern.

Wie sich die Stimmung im Ort verändert hat

Ob der Obduktionsbericht etwas ändert an der Stimmungslage im Ort, Bürgermeister Korn glaubt das nicht. Spätestens seit Freitag habe man davon ausgehen müssen, dass in dem Haus Furchtbares geschehen ist. Und dass es sich bei den Leichen nicht um acht Totgeburten gehandelt habe. Den Bürgermeister treibt ein Gedanke um, beim Gottesdienst am Sonntag hat er ihn so formuliert: Nichts in Wallenfels werde mehr so sein wie es mal war. "Wir werden beim Gang durch den Ort noch lange an die getöteten Babys denken müssen."

Und, ja, auch an anderes müsse er denken in diesen Tagen: Dass sie im oberfränkischen Städtchen Lichtenberg, kaum 20 Kilometer entfernt von Wallenfels, seit 14 Jahren fast ausschließlich mit dem Verschwinden eines Kindes, von Peggy, in Verbindung gebracht werden. Das Städtchen Lichtenberg gibt es zweimal, könnte man sagen: vor dem Verschwinden von Peggy. Und danach. Blüht Wallenfels das auch: vor November 2015 - und danach?

In Lichtenberg haben sie nie eine Antwort darauf gefunden, wie ein Mädchen einfach verschwinden konnte. Ob sich die Wallenfelser jemals erklären werden können, wie es passieren konnte, dass mitten im Ort, unterhalb der Kirche, acht tote Kinder in einem Haus lagen - zu prognostizieren wagt das keiner. Das gab es schon, erklären nun Psychologen, dass Frauen, die ihre Schwangerschaft verheimlichen wollten, dies auch geschafft haben. Dass sie ihren Leibesumfang mit weiten Kleidern kaschierten, sie es womöglich selbst nicht wahrhaben wollten, schwanger zu sein. Und die Angehörigen auch nicht. Aber gleich achtmal? "Man ist so geschockt", sagt der Mesner Michael Stumpf.

Wie die Leichen gefunden wurden

Wie so etwas überhaupt möglich war, darüber machen sich jetzt viele Gedanken im Ort: Angeblich soll die Abstellkammer immer abgesperrt gewesen sein, in der sich die Leichen fanden. Angeblich durfte dort keiner aus der Familie reinschauen. Als die 45 Jahre alte Mutter dann vor wenigen Wochen mit einem anderen Mann zusammen war und auszog, habe dann doch einer aus der Verwandtschaft hineingeschaut. Ist es aber möglich, dass der Ehemann von allem nichts mitbekommen hat? Er sagt es so und befindet sich auf freiem Fuß. "Einen gewissen Tatverdacht" gegen ihn, so ist die Formulierung der Ermittler, gebe es momentan. Mehr aber nicht.

Vorverurteilungen, sagte einer aus dem Ort, sind immer schlimm. In dem Fall aber "wären sie fatal". Immerhin lebe der Ehemann weiter zusammen mit drei schulpflichtigen Kindern in der Wohnung. Notfallseelsorger waren im Haus, nachdem man die Leichen fand. Auch der Pfarrer Jan Poja versucht sich zu kümmern. Aber die schwerste Bürde, sagt ein Wallenfelser, hätten jetzt doch die engsten Familienmitglieder. "Wie soll man denn das Kindern erklären", fragt der Mann, "dass sie da womöglich Jahre lang unter einem Dach . . ." Er bricht den Satz ab. Setzt aber noch mal an: "Für diese Kinder ist die Welt gerade komplett zusammengebrochen."

Von einer "unfassbaren menschlichen Tragödie" hat der Pfarrer beim letzten Gottesdienst gesprochen, es war am Volkstrauertag. Er bitte für alle, "die beim Tod der Kinder Schuld auf sich geladen haben". Bürgermeister Korn sagt zwei Tage danach, dass ihn natürlich der Gedanke an seine Stadt umtreibe. Und er sich nun auch vor seine Bürger stellen müsse, gegen den Sturm der Vereinfacher, auch in den Medien. Was ihm aber wirklich keine Ruhe lasse, sei der Gedanke an die Bewohner in dem Haus. "Das ist eine riesige Hypothek für ihr Leben", fürchtet der Bürgermeister.

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