Oberfranken:Lerchenberg inszeniert zum Abschied eine Provinz-Beschimpfung

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  • Michael Lerchenberg hört frühzeitig als Intendant der Luisenburg-Festspiele in Wunsiedel auf.
  • Seine Arbeit wird als verdienstvoll angesehen. Die Festspiele wurden unter ihm berühmt.
  • Weil er nicht im Guten aufhört, fürchten einige, dass er bei seinen letzten Inszenierungen mit Wunsiedel abrechnen wird.

Von Katja Auer und Olaf Przybilla, Wunsiedel

"Trostlos. Absolute Kulturlosigkeit. Trostlos. Kunst, Kunst, Kunst, hier wissen sie ja gar nicht, was das ist."

Worte, die nächstes Jahr auf der Luisenburg in Wunsiedel fallen werden und die mancher dann so verstehen wird und vielleicht sogar soll, als seien sie eigens für das Städtchen im Fichtelgebirge geschrieben worden. Sind sie nicht. Michael Lerchenberg wird den "Theatermacher" von Thomas Bernhard aufführen, diese Schimpftirade eines Staatsschauspielers, der sein Welttheater auf eine Bühne in der Provinz bringen soll. Es wird Lerchenbergs letztes Stück sein als Intendant auf Deutschlands ältester Freilichtbühne. Sein Abschied. Seine Abrechnung, fürchtet so mancher. Nicht zuletzt im Stadtrat.

Denn Lerchenberg geht nicht im Guten, nach 14 Jahren schmeißt er vorzeitig hin. Der Theatermacher aus München, der den Festspielen in einem demografisch arg gebeutelten Zipfel Oberfrankens zweifelsohne zu Renommee und stabiler Auslastung - in diesem Jahr gar zu einem Besucherrekord - verholfen hat und darauf auch regelmäßig hinweist, hat genug von "Schmutzkampagnen einer Wunsiedler Fundamentalopposition", von fehlender Wertschätzung, ständigen Geldsorgen. All das hat er kürzlich erklärt und seitenlang wütend niedergeschrieben. Wer den Text liest, könnte auf die Idee kommen, dass er von Thomas Bernhard geschrieben ist.

So viel Verve liegt darin, so viel Spaß am Treffersetzen. Der Stadtrat ist daraufhin zusammengetreten und hat abgestimmt: Kann man einem Mann, der offenbar wenig Lust verspürt, als Verlierer oder gar Leisetreter die Kleinstadt zu verlassen, kann man so einem noch eine weitere Festspielzeit anvertrauen? Schon gar, wenn dieser Mann ankündigt, den "Theatermacher" auf die Bühne zu bringen, als Regisseur und, versteht sich, Hauptdarsteller? Oder bucht man sich damit gleichsam auf eigene Kosten einen Stadtbeschimpfer, der Wunsiedel noch mal ordentlich eintunkt, ehe er es verlässt? Es ging hin und her im Stadtrat, ob man das wirklich riskieren will. Und die Abstimmung fiel denkbar knapp aus: 11 zu 10. Für die Kunst, sagen die einen. Fürs Risiko zur Selbstgeißelung, sagen die anderen.

Festspiele in Wunsiedel
:Der Opa mit dem "APO"-Lätzchen

Michael Lerchenberg, Kabarettist und Schauspieler, spielt mit seinem Stück "Der gekaufte Großvater" bei den Luisenburg-Festspielen aufs Hier und Heute an - mit Begriffen wie "Pflegestufe Plemplem".

Von Florian Welle

Wunsiedel hat keine 10 000 Einwohner, es gibt Kommunen in der Größe, die kennt kaum einer. Wunsiedel kennt fast jeder: Das lag lange am Grab vom Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß, an den Aufmärschen der Ewiggestrigen. Das liegt aber auch an den Festspielen in städtischer Hand, die man angesichts der überschaubaren Größe Wunsiedels gigantisch nennen könnte. Und das liegt an Finanzproblemen, die so groß sind wie die Festspiele berühmt.

Dass beides schwer zusammengeht, ein Riesenfreilufttheater hier, ein tief schwarzes Loch in der Stadtkasse dort, kann man sich vorstellen. Auf einen Bürger von Wunsiedel kommen 13 000 Euro Schulden. In vergleichbar großen Kommunen in Bayern sind es durchschnittlich 741 Euro. Rekordstadt Wunsiedel. Dass es überhaupt noch Festspiele gibt in einer Stadt, deren Haushalt restriktiven Vorgaben unterworfen ist, liegt an der Bedeutung der Bühne. Sogar die Aufsichtsbehörden nennen deren Finanzierung eine Pflichtaufgabe. Wenn Wunsiedel dafür kein Geld mehr ausgeben dürfte, bliebe nicht viel, was die Stadt noch irgendwie attraktiv macht. Die Luisenburg wirkt identitätsstiftend.

Lerchenberg ist der Überzeugung, er habe sich zerrissen für die klamme Stadt mit ihren Riesenspielen, die ohne den immer höheren staatlichen Zuschuss längst nicht mehr funktionieren würden. "Ich habe Maßstäbe gesetzt", sagt er. Eine in die Jahre gekommene Sommer-Dependance von Staatsintendanten sei Wunsiedel gewesen, ehe er kam. Und sei ein Ort geblieben mit Landkreis-Politikern, die sich mit dem "Leuchtturm Luisenburg" brüsteten. Die aber, wenn es ernst wird, die Taschen zugenäht hätten. "Über all die Jahre ist das alles sehr belastend", sagt er, es "zehrt aus".

Wunsiedel habe mit ihm sogar gespart

Dass er sich in so einer Position hinterfragen lassen müsse, ob er womöglich zu viel selbst gemacht und seine Frau habe machen lassen, bringe das Fass zum Überlaufen. Sogar über einen finanziellen Schaden wird spekuliert, entstanden durch den Intendanten, der sich selbst als Schauspieler einsetzt und seine Frau unter Künstlernamen als Autorin und Choreografin. Kritiker monierten das, heute halten sich diese bedeckt. Man fürchtet Lerchenbergs Konter. Das Gegenteil sei der Fall, sagt dieser: Er habe immer weit unter der Höchstgage gespielt, bei seiner Frau sei das genauso.

Also habe Wunsiedel sogar gespart an ihm. Und doch ist einiges unklar mit den Finanzen der Luisenburg, seit anderthalb Jahren ermitteln Staatsanwaltschaft und Zoll wegen möglicher Scheinselbstständigkeiten von Mitarbeitern. Erst im Juni gab es eine Razzia auf der Luisenburg und im Rathaus. Davon steht nichts in den vier Seiten Lerchenbergs, viele hätten sich aber genau dazu etwas erwartet. Immerhin steht der Vorwurf des Sozialversicherungsbetrugs im Raum, Verträge soll der Intendant unterschrieben haben. Wie er überhaupt gern alles selbst mache, heißt es, wenn ihm jemand rein rede, könne er das gar nicht leiden. Dass vor einigen Jahren ein Verwaltungsleiter eingesetzt wurde, der die Kosten im Auge behalten sollte, muss er als persönlichen Affront verstanden haben.

Bürgermeister Karl-Willi Beck hat Lerchenberg machen lassen, das gefällt nicht jedem im Stadtrat. Schwäche wird ihm vorgeworfen. Zu den Ermittlungen sagt er nur: Er hoffe, diese würden nicht mehr lange dauern. Die Staatsanwaltschaft in Hof macht ihm da keine Hoffnung, das Verfahren werde so schnell nicht abgeschlossen sein, heißt es. "Ich bin sicher, dass niemand eine noch so kleine Betrugsabsicht hatte", sagt Beck.

Dass Lerchenberg vorzeitig aufhören will, wusste er schon im Mai, seinem Stadtrat aber hat er aber nichts verraten. So war es abgemacht. Auch Bernhards "Theatermacher" wollte er Lerchenberg nicht abschlagen. "Wenn ein Intendant so lange erfolgreich ist, hat er einen Wunsch frei", findet er. Und eines dürfte jetzt schon klar sein: Über mangelndes Zuschauerinteresse wird sich 2017 keiner zu beklagen haben auf der Luisenburg.

© SZ vom 24.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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Wunsiedel
:Michael Lerchenberg hört als Intendant auf

Nicht erst 2018, sondern bereits 2017 soll Schluss sein. Der Kabarettist und Schauspieler hat genug von den Luisenburg-Festspielen.

Von Katja Auer

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