Oberbürgermeister-Wahl:Würzburger Wechseljahre

Der Amtsbonus gilt gerade in der Kommunalpolitik als sichere Bank: nicht so in der Uni- und Bischofsstadt am Main. Dort verblüffen die Bürger seit 1990 Kandidaten jeglicher Couleur mit unerwartetem Stimmverhalten

Von Olaf Przybilla, Würzburg

Christian Schuchardt könnte der OB-Wahl in Würzburg gelassen entgegensehen. Ein Rathauschef, der in der Blüte seines Lebens steht, die erste Amtsperiode souverän absolviert hat und nicht nur, wie man das früher formuliert hätte, keine goldenen Löffel gestohlen hat, sondern parteiübergreifend geschätzt wird - so einer wird nicht abgewählt. "Amtsbonus" würden politische Beobachter normalerweise attestieren, und sich Städten zuwenden, in denen es 2020 wirklich spannend wird.

Aber in Würzburg könnte man da einen Fehler begehen. Dort kann sich grundsätzlich kein Favorit sicher sein, gewählt zu werden; und das schon seit Jahrzehnten. Warum das so ist? Die Granden der Stadtpolitik geben darauf unterschiedliche Antworten, das Phänomen ist wohl nur annäherungsweise zu erklären. In einer Frage dagegen sind sich Jürgen Weber, Pia Beckmann und Georg Rosenthal, die Rathauschefs waren vor dem nun amtierenden OB Schuchardt, einig. Ist dessen Wiederwahl ein Selbstläufer? Dreimal dieselbe Antwort: "Nein", in Würzburg sicher nicht.

Personen auf der Alte n Mainbrücke mit dem Türmen des Rathaus es und Dom s in der Altstadt Würzburg

Ziel der Kandidaten: das Würzburger Rathaus.

(Foto: Ralph Peters/Imago)

Gar nichts ist mehr sicher dort seit der Zäsur 1990. Damals trat Klaus Zeitler nicht mehr an, der seit 1968 die Stadt regiert hatte. Wobei die Tatsache, dass ein SPD-Mann 22 Jahre lang diese katholische Bischofsstadt dominiert hatte, auch schon als Überraschung gelten durfte. Zeitler, eine Ikone der Bayern-SPD, wusste nach seiner OBZeit dann nichts Besseres zu tun, als bei den "Republikanern" anzuheuern - was eine ganz eigene Geschichte ist im Würzburger Reigen politischer Auffälligkeiten.

Die Geschichte seiner Nachfolge steht dem freilich kaum nach. Als Zeitler nicht mehr antrat, sah CSU-Bürgermeister Jürgen Weber seine Chance gekommen. Weber stand archetypisch für seine Partei: ein Mann, der mühelos liberale, konservative und soziale Positionen in sich vereinigte, ein kluger Kopf zudem. Nur ein Problem hatte er. Seine CSU hatte sich bereits für eine andere Kandidatin entschieden: Barbara Stamm. Antreten wollte Weber trotzdem, was unweigerlich zum CSU-Rausschmiss geführt hätte. Dem kam er zuvor. Weber gründete die "Würzburger Liste".

Wer sich Tonaufnahmen von Barbara Stamm aus der Wahlnacht 1990 anhört, könnte auf den Gedanken kommen, dass da eine Frau ihre politische Karriere schon hinter sich hat. Stamm erlebte ein Debakel, sie kam nicht mal in die Stichwahl und ihre Erklärung traf die Stadt ins Herz. Eine Frau aus dem konservativen Lager wird aus dem anderen Lager kaum gewählt - weil sie konservativ ist. Und von Konservativen auch kaum - weil sie eine Frau ist. "Nicht in Würzburg", fügte Stamm hinzu. Karriere machte sie in der Landespolitik.

Weber, der CSU-Abtrünnige, siegte also. Und siegte zweimal so überlegen, dass die CSU 2002 zunächst keinen Kandidaten aufstellen wollte. Was soll ein reiner Symbolakt, war die vorherrschende Meinung. Die 38-jährige Stadträtin Pia Beckmann, Mutter von vier Kindern, fand diese Haltung unmöglich. Sie trat an. Und triumphierte.

Das Diktum vom 1990, dass eine CSU-Frau in Würzburg schon grundsätzlich keine Chance habe, war damit hinfällig. War aber Beckmanns Sieg gegen Weber 2002 eine Sensation, so könnte man ihre Niederlage 2008 durchaus als Steigerung einer Sensation deuten, wenn es das gäbe. Gegen sie angetreten war damals ein Mann namens Georg Rosenthal. Der galt unter Eingeweihten als hochveranlagt, brachte als Kandidat allerdings allerlei Nachteile mit, für die der SPD-Mann bestenfalls belächelt wurde: ein kaum bekannter 61-Jähriger ohne jede kommunalpolitische Erfahrung, der aufgrund seines Alters nur für eine Amtszeit zur Verfügung steht. Auf der anderen Seite: die Amtsinhaberin Pia Beckmann, die als junge CSU-Frau mit Triumphgeschichte für diverse Kabinettsposten gehandelt wurde. Und um es kurz zu machen: In der Stichwahl siegte Rosenthal.

Wie gesagt: Er durfte altersbedingt nur sechs Jahre regieren, Christian Schuchardt wurde 2014 sein Nachfolger. Und es wäre nicht Würzburg, wäre seine Wahl völlig ohne Kuriosum vonstattengegangen. Mit Schuchardt wurde ein CDU-Mitglied Oberbürgermeister einer Großstadt in Bayern.

Was ist das für eine politisch instabile Konstellation, in der solche Pointen möglich sind? In einem sind sich alle einig: Aufgrund der Melange aus Unistadt und katholischer Bischofsstadt kann man von einem einzigen Milieu am Main nicht sprechen. Das trifft zwar auch auf andere Städte zu, in Würzburg aber ist der Unterschied der Milieus besonders ausgeprägt: Das bürgerlich-katholische Milieu war lange katholischer als andernorts, regierten die Fürstbischöfe doch geistlich wie weltlich. Die Zahl der Studenten wiederum steigt in Würzburg rasanter als andernorts. 35 000 Menschen studieren dort heute - bei 130 000 Einwohnern. Dominiert wird die Stadt von akademischem Bildungsbürgertum; und dieses - da sind sich alle einig - ist offenbar so frei, den Kandidaten zu wählen, den es in der jeweiligen Situation für am besten geeignet hält. Bei der Landtagswahl 2018 war das der Direktkandidat der Grünen, auch eine Sensation. Für die OB-Wahl machen sich die Grünen nun ebenfalls Hoffnungen. Ihr Kandidat heißt Heilig, Martin Heilig. Was ein schöner Name ist für eine grün-katholische Uni- und Bischofsstadt.

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