Oberbürgermeister von Bad Reichenhall:Ein Fall für den Amtsarzt?

Oberbürgermeister von Bad Reichenhall: Herbert Lackner ist seit 2006 Oberbürgermeister von Bad Reichenhall.

Herbert Lackner ist seit 2006 Oberbürgermeister von Bad Reichenhall.

(Foto: oh)

"Er ist total überfordert": Der Stadtrat von Bad Reichenhall hält Oberbürgermeister Herbert Lackner für so krank, dass er ihn zum Amtsarzt schickt. Dem CSU-Politiker werden haarsträubende Versäumnisse vorgeworfen, er selbst hält sich für "pumperlgsund".

Von Heiner Effern

Sie sitzen einträchtig im Kreis um den großen Tisch im Rathaussaal, als wäre nichts passiert. Der Bad Reichenhaller Oberbürgermeister Herbert Lackner (CSU) macht am Dienstagabend ein paar Scherze, die Stadträte stimmen einen Punkt nach dem anderen ab. Kein Wort fällt darüber, dass 21 von 24 Mitgliedern des Gremiums ihren OB für so krank halten, dass sie ihn zum Amtsarzt schicken. Obwohl er schriftlich erklärt hat, dass er gesund sei.

Kein Wort darüber, dass der Zweite Bürgermeister Manfred Adldinger (SPD) den OB wegen des Verdachts der Untreue angezeigt hat. Kein Wort darüber, dass intern ein Bericht des Rechnungsprüfungsausschusses vorliegt, der Lackner Überschreitungen seiner Kompetenzen nachweisen soll. Kein Wort darüber, dass die große Mehrheit der Stadträte den OB aus dem Amt entfernen will, gut ein Jahr nach seinem Sieg in der Stichwahl.

Am Tag nach der Sitzung sagt Lackner über seine Situation: "Da denke ich mir überhaupt nichts." Er werde zum Arzt gehen, dann sei der Fall erledigt. "Ich bin pumperlgsund." Er habe sich von seinem Burnout, das ihn nach der Stichwahl im März 2012 viereinhalb Monate vom Rathaus fernhielt, "hervorragend" erholt. Die Arbeitsatmosphäre sei konstruktiv.

Dass laut Abstimmungsergebnis auch mindestens sieben der zehn CSUler ihn zum Amtsarzt schicken? "Man sorgt sich um meine Gesundheit, das kann man auch positiv sehen", sagt Lackner. Und die Strafanzeige? "Das ist mir neu, da weiß ich nichts davon." Aber sein Stellvertreter Adldinger sage, er habe mehrfach mit ihm darüber gesprochen? "Mir hat er das nicht bestätigt."

Eine Schublade voll unerledigter Arbeit

Manfred Adldinger hat die Amtsgeschäfte übernommen, als Lackner krank war. In den Schubladen des OB-Schreibtischs habe er "einen Haufen unerledigter Arbeiten gefunden", sagt er. In der Verwaltung gebe es Leute, die hätten ihren Chef ein halbes Jahr nicht gesehen. "Er ist total überfordert. Er hat einen Job, den er nicht kann." Jedem alles zu versprechen, reiche nicht. "Ein OB muss entscheiden. Der muss Leuten auch mal weh tun."

Und was ist nun mit der Anzeige? "Ich habe ihm gesagt, dass ich ihn anzeige. Null Reaktion. Manche Dinge dringen zu ihm einfach nicht durch." Es geht um eine Anzeigentafel in der neuen Sporthalle, Kosten 51 603 Euro. Die habe der OB gekauft, ohne den nötigen Beschluss. Monatelang sei er Lackner nachgelaufen, er solle den Kauf nachträglich absegnen lassen, sagt Adldinger. "Der legt das in eine Schublade und denkt, es vergeht." Auch die Drohung mit der Anzeige habe nichts bewirkt. Da habe es ihm gereicht.

Jovial, ausgebefreudig, entscheidungsschwach

Den Freien Wählern reicht es schon lange. "Schon nach zwei Jahren haben wir gesagt, dass wir ihn für unfähig halten", sagt der Vorsitzende Friedrich Hötzendorfer. Jovial, ausgebefreudig, entscheidungsschwach, führungsschwach, so sehen auch die Grünen den OB. "Menschlich ist das sehr bedrückend, aber für die Stadt wird die Situation immer problematischer", sagt Fraktionssprecher Manfred Nürbauer.

Die Verwaltung treibe seit Jahren führungslos und chaotisch dahin. Als das Burnout-Syndrom festgestellt worden sei, "ist es uns wie Schuppen von den Augen gefallen", sagt Stadtrats-Kollege Hötzendorfer. Nach der Rückkehr Lackners sei es aber "nicht etwa besser, sondern schlechter geworden". Er selbst, aber auch viele andere hätten das Gespräch mit dem OB gesucht, vergeblich. "Wir haben ihn alle fair behandelt", sagt Nürbauer. Als die große Mehrheit der Stadträte den Eindruck hatte, es geht so nicht mehr, schickten sie den OB nach den Stadtratssitzungen heim und berieten intern das weitere Vorgehen. Zweimal stimmten mehr als 20 der 24 Räte dafür, den OB zum Amtsarzt zu schicken.

Auf Antrag der Freien Wähler untersuchte unabhängig davon der Rechnungsprüfungsausschuss unter Vorsitz des Dritten Bürgermeisters Sebastian Renoth (CSU) verschiedene Bauaufträge der Stadt. Das Landratsamt als Rechtsaufsichtsbehörde bestätigte in einem nicht veröffentlichten Gutachten das Ergebnis: Lackner habe seine Kompetenzen überschritten. Es heißt aber auch, missverständliche Stadtratsbeschlüsse könnten daran eine Mitschuld haben.

Der OB sieht in den Vorwürfen nur eine Retourkutsche der Verlierer aus der Stichwahl. Er habe nach dem Eishalleneinsturz 2006 und der vom Gericht attestierten "jahrelangen Schlamperei bei Wartung und Betrieb der Eishalle" sehr viel Vertrauen zurückgewinnen müssen, sagt er. Deshalb habe er mehr als 30 Millionen Euro in städtische Gebäude investiert. "Da mag es sein, dass es formal mal zu einer Kompetenzüberschreitung gekommen ist." Die Sache mit der Anzeigentafel sei "absurd", alle Stadträte seien bei einem Ortstermin für den Kauf gewesen. In den Ausschuss habe er die Sache nur noch nicht gebracht, weil er noch mit Sponsoren verhandle.

So engagiert erlebt der CSU-Fraktionssprecher Martin Schoberth seinen OB gerne. "Ich sehe eine steigende Tendenz bei ihm nach seiner Krankheit und gehe nicht davon aus, dass er amtsunfähig ist." Dass sogar die Mehrheit seiner Parteifreunde Lackner zum Amtsarzt schicken will, relativiert Schoberth. "Er hätte sich auch freiwillig untersuchen lassen, aber das geht nicht. Wir wollten schnell den Deckel drauf." Wenigstens darin sind sich alle in Bad Reichenhall einig.

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