Bahnverkehr:Bayerns veraltetes Schienennetz sorgt für Probleme

Bahnverkehr: Verlockendes Angebot: Viele Fahrgäste nutzen augenblicklich das Neun-Euro-Ticket, um zum Beispiel vom Hauptbahnhof München aus das Umland zu erkunden. Wegen vieler Bauarbeiten am Schienennetz dürfte aber mancher Ausflügler ungewollt ausgebremst werden.

Verlockendes Angebot: Viele Fahrgäste nutzen augenblicklich das Neun-Euro-Ticket, um zum Beispiel vom Hauptbahnhof München aus das Umland zu erkunden. Wegen vieler Bauarbeiten am Schienennetz dürfte aber mancher Ausflügler ungewollt ausgebremst werden.

(Foto: Robert Haas)

Auf manchen Strecken komme es fast durchweg zu Verspätungen, beklagt zum Beispiel die Bayerische Regiobahn. Kritiker bemängeln, die Schiene sei zum Teil auf "prähistorischem Stand". Was passieren muss.

Von Andreas Glas, Klaus Ott und Sina-Maria Schweikle

Wer sich über das Neun-Euro-Ticket freut, um von München aus über Rosenheim in die Berge oder an den Chiemsee zu fahren, der muss mit bösen Überraschungen rechnen. In den kommenden Wochen und Monaten fallen dort teils Züge aus oder verspäten sich, hie und da müssen die Fahrgäste auf Busse umsteigen. Der Grund sind Bauarbeiten am Schienennetz. Vergangene Woche kamen auf einem Streckenabschnitt bei Aßling und Ostermünchen sogar noch sogenannte Langsamfahrstellen hinzu. Dort mussten die Züge wegen möglichen Mängeln am Netz auf 40 oder gar 20 Stundenkilometer abbremsen.

Solche Maßnahmen lenken auch den Blick auf das Zugunglück mit fünf Toten bei Garmisch-Partenkirchen, wo am 3. Juni ein Regionalexpress entgleist war. Es habe einen "faden Beigeschmack, wenn direkt nach so einem Unglück Langsamfahrstellen eingerichtet werden." Das sagt Lukas Iffländer, Vorsitzender des Fahrgastverbandes Pro Bahn Bayern. Damit entstehe für die Öffentlichkeit der Eindruck, dass es auf den betreffenden Strecken Probleme geben könnte. Ob das tatsächlich der Fall sei, weiß Iffländer nicht. Pro Bahn fordert mehr Transparenz von der Deutschen Bahn (DB), die das Schienennetz betreibt.

Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft München II nach dem Unglück konzentrieren sich offenbar auf eventuelle Mängel am Zug oder an der Strecke. Der Zugführer ist jedenfalls nicht zu schnell gefahren, das scheidet als Grund aus. Es ist auch nicht erkennbar, was sonst noch hätte zu dem Unfall führen können. Das Ergebnis der Ermittlungen bleibt abzuwarten. Unabhängig davon, was dabei herauskommt, ist aber eines seit Jahrzehnten klar: Das Bahnnetz auch in Bayern müsste an etlichen Stellen ganz dringend und viel schneller, als das bisher der Fall ist, saniert und modernisiert werden.

Die Regiobahn tue alles, um pünktlich zu sein

Arnulf Schuchmann, Chef der Bayerischen Regiobahn, klingt fast schon verzweifelt. Die Regiobahn ist ein privates Unternehmen, das auf dem Schienennetz des Staatsunternehmens Deutsche Bahn Zuglinien zwischen München, Rosenheim, Kufstein und Salzburg betreibt. Zwischen München und Rosenheim sei es inzwischen unmöglich, dort irgendeinen Zug pünktlich zu fahren, sagt Schuchmann. Er verweist auf bestehende Baustellen und auf die neuen Langsamfahrstellen. "Über Verspätungen ärgern sich unsere Fahrgäste verständlicherweise." Die Regiobahn tue alles, um pünktlich zu sein. "Aber mit diesen Langsamfahrstellen ist es überhaupt nicht mehr zu schaffen."

Um die teilweise in die Jahre gekommene Infrastruktur zu sanieren, braucht es Geld. Dieses Geld bekommen die Länder vom Bund, der zuletzt 10,3 Milliarden Euro im Jahr für den öffentlichen Regionalverkehr auf Straßen und Schienen bereitstellte. Das sei zu wenig, findet Bayerns Verkehrsminister Christian Bernreiter (CSU). Er drängelt die Bundesregierung seit Wochen, diese Mittel deutlich zu erhöhen. Seit dem Unglück hält sich Bernreiter allerdings zurück mit Forderungen, die im Zusammenhang mit maroden Zügen oder Schienen stehen. Solange die Ermittlungen laufen, möchte man sich im Verkehrsministerium nicht vorwerfen lassen, Spekulationen über die Unglücksursache zu befeuern.

Dass Bernreiter still hält, ist eine Momentaufnahme. Denn Stillhalten gehört nicht zum Selbstverständnis der CSU, jedenfalls nicht, wenn im Bundesverkehrsministerium kein eigener Minister sitzt. Zu Beginn des Jahrtausends etwa drohte der damalige bayerische Verkehrsminister Otto Wiesheu (CSU) damit, die damalige rot-grüne Bundesregierung zu verklagen, sollten die Länder nicht endlich die für die Nahverkehrsstrecken reservierten Mittel bekommen. Ohne diese Mittel drohten die Strecken zu verfallen, warnte Wiesheu. Auch jetzt, 22 Jahre später, wird im bayerischen Verkehrsministerium über den richtigen Umgang mit dem Bund bei Nahverkehrsfragen beraten. Denkt Bayern erneut über eine Klage nach? Die Antwort gibt es womöglich erst, wenn die Ursache des Unglücks bei Garmisch-Partenkirchen feststeht.

Die Deutsche Bahn hält sich, ebenso wie das Verkehrsministerium, mit Äußerungen zum Zugunglück bei Garmisch-Partenkirchen zurück. Die "Ermittlungshoheit" liege bei der Staatsanwaltschaft, der man nicht vorgreifen wolle. Zu den Langsamfahrstellen teilte die Bahn mit, deren Zahl variiere abhängig von den Instandhaltungs- und Modernisierungsmaßnahmen auch "kurzfristig und tageweise". Im Mai habe es bundesweit insgesamt 82 solcher Stellen gegeben; auf weniger als einem halben Prozent des gesamten Schienennetzes. Von 2016 bis 2021 sei die Zahl der Langsamfahrstellen bundesweit annähernd gleichgeblieben (2016: 485; 2021: 476).

"Die Bahn wurde kaputtgespart."

Fakt ist jedenfalls: Wenn sich Regionalzüge in Bayern verspäten, liegt das meist am Schienennetz. Das zeigen die Zahlen der Bayerischen Eisenbahngesellschaft (BEG), die dem Freistaat gehört und in dessen Auftrag den Nahverkehr auf der Schiene plant und zu großen Teilen finanziert. Ende April hat die BEG die Zahlen für 2021 veröffentlicht. Da hatten zwei Drittel der Verspätungen, was deren zeitlichen Umfang anbelangt, folgende Gründe: Infrastruktur, Störungen an der Leit- und Sicherungstechnik (ohne die das Netz nicht funktioniert) sowie Bauarbeiten. Die BEG spricht von einem "Investitionsstau".

Die Bahngewerkschaften, der Fahrgastverband Pro Bahn und andere klagen seit Langem über ein teilweises marodes Schienennetz, die Missstände sind seit Jahrzehnten bekannt. Daran hat sich bis heute grundsätzlich nichts geändert. Auch nicht, als die CSU mit Andreas Scheuer den Bundesverkehrsminister stellte. Der Bund erwähnt in einem recht aktuellen Papier vom März 2022 einen Nachholbedarf von fast 50 Milliarden Euro beim Schienennetz und bei den Bahnhöfen. Besonders drastisch drückt das Markus Büchler aus, Landtagsabgeordneter und Verkehrssprecher der Grünen.

Büchler bezeichnet das bayerische Bahnsystem als veraltet und "desolat", das technisch teilweise auf "prähistorischem Stand" sei. "Die Bahn wurde kaputtgespart", sagt Büchler. Der Bund müsse "mehr Geld für die Eisenbahnen bereitstellen". Diese Forderung richtet sich auch an die eigene Partei, die in Berlin zusammen mit SPD und FDP regiert. Büchler sagt, er reise selbst viel mit der Bahn und fühle sich in den Zügen sicher. Einen Zusammenhang zwischen dem veralteten Bahnsystem in Bayern und dem Unglück in Garmisch-Partenkirchen könne und wolle er nicht herstellen.

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