Oberbayern:Murnau - Hauptstadt der Impfgegner

Oberbayern: An der Fußgängerzone im Ober- und Untermarkt von Murnau residieren etliche Heilpraktiker. Der Schulmedizin stehen viele Menschen im Landkreis Garmisch-Partenkirchen skeptisch gegenüber.

An der Fußgängerzone im Ober- und Untermarkt von Murnau residieren etliche Heilpraktiker. Der Schulmedizin stehen viele Menschen im Landkreis Garmisch-Partenkirchen skeptisch gegenüber.

(Foto: imago)

Nirgendwo in Deutschland ist die Impfquote so niedrig wie in der Stadt im Süden Bayerns. Dafür blüht hier das Geschäft von Heilpraktikern und Schamanen.

Von Matthias Köpf, Murnau

Die Heilung, wenn nicht sogar das Heil, scheint hier hinter jeder zehnten Tür zu warten. Wer in Murnau durch den beschaulichen Ortskern geht und seinen Blick nicht von den Cafés, Kleidergeschäften, Töpferläden und Kunsthandlungen einfangen lässt, der stößt alle paar Schritte auf diese Türschilder. Eine Naturheilpraxis da, dort Homöopathie und Akupunktur, hier schon der vierte oder fünfte Osteopath, diesmal mit Zusatzqualifikation als Schamane.

Eine Heilpraktikerin mit blumigen Vornamen verheißt "Die Harmonie des Seins", es gibt Biofeedback für Privatpatienten, Meditation, Achtsamkeit und Einklang aller Art, eine Sozialpädagogin therapiert mit Bachblüten, und schräg gegenüber setzt man unter anderem auch auf Blutegel oder auf die Spagyrik, die sich im Lexikon als eine Art Pharma-Sparte der Alchemie nachschlagen lässt. Wenn schon nicht Gold, so lässt sich hier offenbar durchaus Geld machen mit all der Heilerei, denn vielen Menschen in und um Murnau scheint nicht nur ihr geistiges und spirituelles Wohlergehen, sondern eben auch ihre körperliche Gesundheit besonders am Herzen zu liegen. Doch zugleich sind nirgendwo sonst in Deutschland die Impfquoten so niedrig wie hier.

Zuletzt hat das Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung in Deutschland Mitte Mai eine Analyse der Impfquoten gegen Masern und Meningokokken vorgelegt. Am augenfälligsten sind die Ergebnisse auf einer Deutschland-Karte: In der Mitte, im Osten und ganz im Westen gibt es einige blaue Landkreise mit besonders hohen Impfquoten. Doch ganz unten dominiert die Alarmfarbe Orange: Mit Ausnahme von München und dem unmittelbaren Umland sind die Impfquoten im südlichen Bayern und im angrenzenden Baden-Württemberg flächendeckend niedriger als überall sonst in Deutschland.

Schon seit Jahren kommen die Epidemiologen und Statistiker zu diesen immer gleichen Ergebnissen. Besonders tief liegen die Werte oft für den Landkreis Garmisch-Partenkirchen. Laut den Zahlen des Landesamts für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit für 2015 waren hier 6,4 Prozent aller Einschulungskinder nicht vollständig geimpft, weil ihre Eltern Impfungen abgelehnt haben - bayernweit ein recht einsamer Wert. Sonst erreicht nur noch der benachbarte Kreis Weilheim-Schongau die sechs Prozent, der Landesschnitt liegt bei 1,9 Prozent. Enthalten ist darin auch ein kleiner Anteil von Fällen, in denen es medizinische Gegenanzeigen gibt, doch die sind hier nicht häufiger als anderswo.

Während aber dort die Impfraten oft gleichmäßig hoch sind, differieren sie hier besonders stark nach verschiedenen Krankheiten. Sie erreichen durchaus auch mal um die 90 Prozent, aber fast nie die 95 Prozent, ab denen die Epidemiologen die "Herdenimmunität" als gesichert ansehen, ab denen also auch einzelne nicht geimpfte Kinder durch die Impfungen aller anderen rundherum gut vor einer Ansteckung etwa mit Masern, Mumps oder Röteln geschützt sind. In den sechsten Klassen, wenn die Lehrer die Impfpässe aller Schüler einsammeln, sind die Zahlen dann oft besser, aber immer noch schlecht.

Auf 192 Heilpraktiker kommen 100 Allgemeinmediziner

Im Gesundheitsamt in Garmisch, das auch hier längst zum Landratsamt gehört, aber immer noch in einem eigenen Amtsgebäude mit dem abgewetzten Behördencharme der Siebziger sitzt, kennt man das Problem seit Jahrzehnten. Doch an Rezepten fehlt es: "Das probieren wir schon ganz, ganz lange, und es ändert sich auch nichts", sagt Karin Kübler, die hier seit 2009 als Ärztin arbeitet und das Amt seit 2016 leitet. Versucht habe man es etwa mit den Präventionsveranstaltungen, wie sie das Gesundheitsministerium forciert. Früher habe es auch schon Runde Tische für die niedergelassenen Ärzte gegeben - vergebens. Denn auch die scheinen beim Thema Impfen hier weniger überzeugt und weniger überzeugend zu sein als anderswo.

Eine Doktorarbeit aus dem Jahr 2012 ist jedenfalls zu dem Ergebnis gekommen, dass die Einstellung der niedergelassenen Ärzte und die Impfquote deutschlandweit in einem Zusammenhang stehen - ebenfalls mit einem Tief im Süden. Wobei es innerhalb des Landkreises wieder eher der Norden sei, speziell Murnau und Umgebung, sagt Karin Kübler. Ihre Behörde hat für den Landkreis derzeit 192 allgemeine Heilpraktiker registriert. Ihnen stehen keine 100 niedergelassenen Allgemeinmediziner und nur eine Handvoll Kinderarzt-Praxen gegenüber.

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