Oberbayern:Die schönste Buche der Welt ist tot

Sterbende Bavaria-Buche.

Die berühmte Bavaria-Buche, hier auf einem Archivbild.

(Foto: picture-alliance / dpa)

22 Meter hoch, ein Umfang von neun Metern und eine Krone, die bis zu 750 Quadratmeter bedeckte: Die Bavaria-Buche im Landkreis Eichstätt war mehrere Hundert Jahre alt. Durch einen TV-Beitrag zu Weltruhm gelangt, wurde die Berühmtheit zu ihrem Sargnagel. Zuletzt versetzte ihr ein Unwetter den Todesstoß.

Von Hans Kratzer

"Ich kann's noch gar nicht glauben, jetzt ist sie einfach weg", sagt Martin Kolb, 77, der auf der Jura-Höhe zwischen Altmühl und Donau einen kleinen Bauernhof bewirtschaftet. "An die Leere auf dem Feld kann ich mich noch gar nicht gewöhnen", fährt der Landwirt fort. Die ein paar hundert Meter hinter dem Ortsrand von Pondorf thronende Bavaria-Buche hatte ihn sein ganzes Leben lang begleitet. Vor 14 Tagen ist der mächtige Baum von einem Sturm gefällt worden. Die einen sagen, er sei 500 Jahre alt gewesen, andere halten sogar ein Alter von 800 Jahren für denkbar, obwohl Rotbuchen normalerweise kaum älter als 300 Jahre werden.

Ob so oder so, in jedem Fall zählte diese Rotbuche zu den populärsten Bäumen in Deutschland. Hunderttausende Besucher haben sie besucht und über ihre imposanten Ausmaße gestaunt. Der Stamm der 22 Meter hohen Bavaria-Buche hatte einen Umfang von neun Metern, die ungewöhnlich runde Krone durchmaß gut 30 Meter und bedeckte in den besten Zeiten eine Fläche von 750 Quadratmetern. Kaum ein anderer Baum in Europa wurde so häufig fotografiert und auf so vielen Kalendern, Postkarten und Büchern abgebildet - gerne als Quartett im Frühling, Sommer, Herbst und Winter.

Von einer Minute auf die andere in Stücke gerissen

Am Nachmittag des 19. August war im Landkreis Eichstätt ein Unwetter heraufgezogen, das zwar nicht lange dauerte, aber dennoch genügend Kräfte entwickelte, um dem Naturdenkmal den Garaus zu machen. Von einer Minute auf die andere wurde die Bavaria-Buche in Stücke gerissen.

Martin Kolb war einer der ersten, die das Drama bemerkt hatten. "Um halbe viere ist's gwesn", erinnert er sich, er war um diese Zeit wie jeden Tag auf sein Feld hinausgefahren, um nach dem Rechten zu sehen. Nicht nur ihm versetzte der gefällte Baum einen seelischen Schlag. Viele Naturliebhaber vermissen dieses Prachtstück, das als die schönste Buche der Welt gegolten hat.

Zugegeben, ihre besten Jahre hatte die Bavaria-Buche bereits hinter sich. Schon seit 30 Jahren war der altersschwache Baum dem Tode geweiht. Immer wieder brachen baumstarke Äste vom Stamm, den ein aggressiver Pilz von innen ausgehöhlt und geschwächt hatte. Das einst ebenmäßige Rund der Krone bekam immer mehr Löcher.

Im Jahr 2006 spaltete ein Sturm die Krone in zwei Hälften. Das war gleichsam der Todesstoß. Zuletzt stand nur noch die Hälfte des Baums, dessen Stamm aber schon geschwächt war, als Martin Kolb noch zur Schule ging. Bereits damals wurden diverse Hohlräume von Menschenhand ausgefüllt. "Auch wir Buben mussten ab und zu etliche Kübel mit Beton raustragen", erinnert sich Kolb.

Trotzdem hockten die Pondorfer Kinder seinerzeit noch unbeschwert in der Krone der Buche. So manche ins Holz eingeritzten Sprüche und Liebesschwüre waren bis zuletzt deutlich zu lesen. "Der Baum war unser Spielplatz", erzählt Martin Kolb. "Jeden Tag sind wir in der Krone rumgekraxelt, manchmal haben dort 20 Buben Faxen gemacht." Da müsste rein statistisch betrachtet auch einmal einer runtergefallen sein. "Nein, nein, das gab's nie", sagt Kolb, "das ging ja gar nicht, weil das Astwerk viel zu dicht war."

"Die Bavaria-Buche wird gehalten wie eine Mastsau"

In den vergangenen Jahren führte ein behördlich errichteter Lattenzaun großräumig um die Buche herum. Es war eine Vorsichtsmaßnahme, damit niemand von herabfallenden Ästen erschlagen wurde. Auf einer Informationstafel stand die Warnung zu lesen, sich dem Baum ja nicht zu nähern.

Gleichwohl waren rund um den Stamm immer wieder menschliche Spuren, Zigarettenkippen und Getränkeflaschen zu sehen. Die Naturfreunde ließen sich trotz des Verbots nicht davon abhalten, die Nähe des Baumes zu suchen, seine Aura zu spüren und an diesem Ort neue Kraft zu schöpfen. Erst zuletzt, als die Buche schon sehr mitgenommen aussah, ist es stiller geworden.

Die altersschwache Bavaria-Buche.

Die Bavaria-Buche galt schon lange als altersschwach.

(Foto: picture-alliance/ dpa)

Richtig populär wurde die Bavaria-Buche erst in den frühen 80er Jahren. Der mittlerweile verstorbene Pondorfer Chronist Franz Fersch hatte es damals fertiggebracht, das Interesse des Bayerischen Fernsehens auf den Baum zu lenken. Der aus dieser Kooperation erwachsene Filmbeitrag zeitigte eine durchschlagende Wirkung.

Schon kurz darauf prangte die Bavaria-Buche auf der Titelseite des Magazins Geo, auf diversen Kalendern, Büchern und Postkarten, bis schließlich die Werbeindustrie auf dieses Naturdenkmal aufmerksam wurde und es sogar für die Anpreisung eines Waschmittels als geeignet erachtete. So manchem Zeitzeugen drängte sich der Eindruck auf, als habe der ruhmreiche deutsche Baum in der Bavaria-Buche seine Vollendung gefunden.

Tausend Jungpflanzen aus den Samen der Bavaria-Buche

Tragischerweise beschleunigte die Popularisierung des Pondorfer Prachtexemplars dessen Zerstörung. Durch die wachsende Besucherschar verdichtete sich der Boden rund um das Wurzelwerk. Dazu kam, dass die Rotbuche durch die Überdüngung der umliegenden Felder zu viele Nährstoffe aufnahm und stärker wuchs, als es ihr im hohen Alter behagte. "Die Bavaria-Buche wird gehalten wie eine Mastsau", klagte ein Baumexperte, und tatsächlich krachte sie dann unter ihrem eigenen Gewicht zusammen. Die Krone für den geschwächten Baum war zu schwer geworden, der Windbruch war die logische Folge.

Gleichwohl lagen Baumexperten viele Jahre im Streit. Die einen wollten die Bavaria-Buche noch weitere Jahrzehnte stützen und hätscheln, die anderen wollten sie in Würde sterben lassen, was dann auch geschah. Eine nur noch mit Seilen und Stützen gesicherte Existenz wollten die Behörden dem gebrechlichen Baum letztlich nicht mehr zumuten.

Nach Auskunft des Info-Zentrums Naturpark Altmühltal soll das Holz der Buche nicht entfernt werden und sich in ein Totholz-Biotop verwandeln. Dennoch wird die Bavaria-Buche in anderer Form weiterleben. Gut tausend Jungpflanzen sind aus ihren Samen gezogen worden. Zwei von ihnen wurden zum Beispiel vor dem Schloss Bellevue in Berlin und vor der Bayerischen Staatskanzlei gepflanzt. Auch in Pondorf wächst, nur wenige Meter von der gefällten Buche entfernt, eine junge Buche, sie ist schon drei Meter hoch.

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