Nürnberg:Das letzte Urteil ist gesprochen

Im berühmtesten Gerichtssaal der Welt fällt das letzte Urteil

Wohl kein Gerichtssaal der Welt wurde so oft fotografiert und gefilmt wie der Saal 600 im Nürnberger Justizpalast.

(Foto: Daniel Karmann/dpa)
  • Am Donnerstag erlebte der Saal 600 des Nürnberger Justizpalastes nach mehr als 100 Jahren sein letztes Urteil.
  • In dem Saal wurden NS-Kriegsverbrecher und "normale" Kriminelle verurteilt.
  • Nun wird er ein Museum - und könnte zum Weltkulturerbe erklärt werden.

Es ist wohl der berühmteste Gerichtssaal der Welt: Mit 246 Quadratmetern Fläche so groß wie zwei Einfamilienhäuser, mit 6,7 Metern Raumhöhe so hoch wie eine Sporthalle, steht der Saal 600 im Nürnberger Justizpalast für ein Jahrhundert deutscher Justizgeschichte. Am Donnerstag erlebte der "600er" wie die Juristen sagen, nach mehr als 100 Jahren sein letztes Urteil. Danach ist der Saal nur noch Museum - als Teil des Nürnberger Memoriums, das an die Kriegsverbrecherprozesse nach 1945 erinnert. Sollte der Plan von Ministerpräsident Markus Söder (CSU) und der Nürnberger Stadtväter aufgehen, wird er irgendwann zum Weltkulturerbe gekürt.

Luftwaffen-Kommandeur Hermann Göring, Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß, Reichspräsident Karl Dönitz - 24 Vertreter der obersten Nazi-Prominenz nahmen in diesem Saal vom 20. November 1945 an Platz - auf einer extra angefertigten Anklagebank, die angeblich bei längerem Sitzen besonders unbequem gewesen sein soll. Zwölf Nazi-Obere wurden von dem eigens eingerichteten Internationalen Militärgerichtshof verurteilt.

Im berühmtesten Gerichtssaal der Welt fällt das letzte Urteil

Am 20. November 1945 hörten dort die angeklagten Nazi-Größen die Verlesung der Anklageschrift bei der Eröffnung des Nürnberger Kriegsverbrecher-Hauptprozesses.

(Foto: dpa)

Wohl kein anderer Gerichtssaal hat eine solch wechselvolle Geschichte hinter sich. In vier Gesellschaftssystemen wurde in dem von schweren Eichenvertäfelungen gesäumten Raum Recht - und auch Unrecht - gesprochen. Eingeweiht 1916 noch von König Ludwig III., wurde der Raum in der Weimarer Republik als Schwurgerichtssaal genutzt. Später machten sich die Nationalsozialisten den Saal zu eigen - und inszenierten bei einem ihrer mehr als 70 "Sondergerichte" Urteile, etwa gegen politisch unbequeme Bürger.

Mehr als 80 Todesurteile sind überliefert, unter anderem von Richter Oswald Rothaug, genannt der "Scharfrichter". 1947 saß dieser selbst auf der Anklagebank und wurde in einem Nachfolge-Prozess gegen Nazi-Verbrecher zu lebenslanger Haft verurteilt. Das Nürnberger Kriegsverbrecher-Tribunal galt für die internationale Gerichtsbarkeit als richtungsweisend. Nach den Kriegsverbrechern folgten unter bayerischer Justizhoheit und bundesrepublikanischem Recht wieder "normale" Kriminelle, die auf der Anklagebank Platz nahmen - Mörder, Totschläger, Vergewaltiger.

Der Saal ähnelt heute nur noch grob dem Raum, der unter alliierter Führung 1945 in aller Welt bekannt war. Trotz des Umbaus in den 1960er-Jahren und ständiger Modernisierungen ist der Saal 600 nie ein moderner Gerichtssaal geworden - nicht nur wegen des überdimensionierten Kruzifixes über der Richterbank. Die Vorsitzende der Schwurgerichtskammer am Landgericht Nürnberg-Fürth, Barbara Richter-Zeininger, verlässt den Saal mit gemischten Gefühlen. Das gesamte Ensemble sei einzigartig. Aber es gebe auch gravierende Nachteile. "Manche Zeugen sind von der Wirkung des Raumes erst einmal beeindruckt", sagt die Richterin. Auch auf manche Angeklagte wirke der Saal zunächst beängstigend.

Der letzte, der im Saal 600 von Barbara Richter-Zeininger seinen Urteilsspruch erfuhr, war an diesem Donnerstag ein Mann, der versucht hatte, seine Frau zu erwürgen. Er muss für zwei Jahre und neun Monate in Haft.

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