Nürnberger Prozesse:Journalisten-WG auf Schloss Stein

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Die Räume waren gefüllt mit Leuten, "die in Telefonhörer brüllten, beim Versuch eine Verbindung" zu bekommen. (Foto: The U.S. National Archives and Records Administration)
  • Während der Nürnberger Prozesse waren Reporter im Schloss Stein untergebracht.
  • Unter ihnen Berühmtheiten: Ernest Hemingway, Willy Brandt, John Steinbeck, Markus Wolf.
  • Eine Broschüre und monatliche Führungen erzählen unglaubliche Geschichten, die damals passiert sein könnten.

Von Olaf Przybilla, Nürnberg

Journalisten sind ohnehin eine spezielle Spezies, sobald sie aber über furchtbare Dinge schreiben müssen, wird das mitunter besonders deutlich. Im Schloss Stein der Grafen Faber-Castell, auch "Bleistiftschloss" genannt, waren seit Herbst 1945 etwa 80 Reporter aus den USA, 50 aus England, 40 aus Frankreich und 35 aus der Sowjetunion untergebracht. Sie mussten über die Prozesse gegen die Hauptkriegsverbrecher des NS-Regimes schreiben, hatten Menschen wie Göring, Streicher, Kaltenbrunner und die schwersten Verbrechen wider die Menschlichkeit vor Augen. In ihren Berichten aber, privaten und journalistischen, gerieten gelegentlich andere Dinge in den Fokus, man könnte auch sagen Nebensächlichkeiten. Auch das Schloss selbst.

Der Korrespondent der Newsweek etwa wollte sich mit dem Prunkbau einer adeligen Bleistiftdynastie in Franken gar nicht anfreunden. Das Ganze, notierte er, sei ein "monumentales Beispiel für schlechten Geschmack" mit riesigen Räumen, in denen die Korrespondenten zu acht untergebracht würden. Zugegeben, es gebe da in diesem Schlösschen eine Bar, auch einen Salon und sogar ein Spielzimmer. Aber schon das Casino sei "voller tropfender Kerzenleuchter, noch mehr befrackter Bedienungen und kräftiger Nackter", die überall an die Wände gemalt seien. Überhaupt diese ganzen Ölgemälde, die Marmorböden und Kristallleuchter, der Newsweek-Mann fand das alles furchtbar. Und dann auch das noch: Für Korrespondentinnen war die Villa gegenüber reserviert.

Schloss Stein
:German Schrecklichkeit

Journalisten-WG: Namen wie Ernest Hemingway, Willy Brandt, John Steinbeck und Markus Wolf lebten während der Nürnberger Prozesse im Schloss Stein.

Was alles passiert sein soll

Ein Kollege will beobachtet haben, dass es gegenüber deutlich weniger freundlich zugegangen sein soll. Dort, notierte er, beschuldigten "die amerikanischen Pressehühner die französischen und russischen Ladies, die Badezimmer unter Kontrolle gebracht zu haben und alle außer ihren Landsleuten auszuschließen". Es ging damals also, so weit zu sehen ist, um die fundamentalen Fragen menschlichen Zusammenlebens im Schloss Stein.

Überhaupt die Badezimmersituation, George W. Herald, Korrespondent der amerikanischen Agentur International News Service, glaubte da eine sehr eigene Beobachtung gemacht zu haben. Eines Morgens will er, halb verschlafen noch, seine Zahnbürste mit der seines Nebenmanns verwechselt und sich daraufhin eine ernste Ermahnung im Badebetrieb auf Schloss Stein eingehandelt haben. "Verzeihung, diese Bürste trägt meine Initialen. Mein Name ist Steinbeck, John Steinbeck."

Im Hintergrund soll währenddessen John Dos Passos in der Badewanne geplanscht und wiederum ein paar Schritte entfernt Ernest Hemingway mit nichts als einem Frottiertuch um den Bauch "über lokale Weinsorten" geklagt haben. Es wohnten zwischenzeitlich viele, später sehr prominent gewordene Berichterstatter auf Schloss Stein. Ob sich aber diese Badeszene mit Großschriftsteller-Trias so zugetragen hat, darf bezweifelt werden. Und das nicht nur, weil einem Hemingway ein so mäßiger Weingeschmack kaum zuzutrauen ist. Jedenfalls aus fränkischer Sicht.

Wo man das genauer erfahren kann

Steffen Radlmaier hat all diese Fundstücke zusammengetragen, seine Broschüre "Das Bleistiftschloss als Press Camp" kann man jedem empfehlen, der immer schon wissen wollte, wie Reporter ticken. Es empfiehlt sich aber auch eine Führung durch Schloss Stein, um die Beobachtungen von so viel angeblicher Hässlichkeit und Geschmacklosigkeit - der große Dos Passos glaubte gar German Schrecklichkeit in seiner schlimmsten Form wahrgenommen zu haben - mit der Wirklichkeit abzugleichen. Und sich anzuschauen, was Dos Passos als widerwärtigen Bau "voll nackter Ladies aus grässlichem weißen Stein" empfand, mit "Goldsesseln schrecklichen Designs" und "Kronleuchtern, die einem auf den Kopf zu fallen drohen".

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Von Olaf Przybilla

Das Privatschloss an der Grenze zwischen Nürnberg und dem Landkreis Fürth, in dem sich natürlich manches verändert hat seither, ist einmal im Monat für Besucher geöffnet. Und an diesem Sonntag können Gäste dort erstmals einen Dokumentarfilm von Rainer Holzemer sehen, in dem Zeitzeugen über ihre Monate im Press-Camp von Stein berichten.

Einer dieser Zeitzeugen war Markus Wolf, der spätere Chefspion der DDR, Holzemer hat mit ihm 2002 das Schloss besucht. Ob sich Wolf an den Korrespondenten Willy Brandt erinnern konnte, geht aus dem sehenswerten Film nicht hervor. Aber es ist schon eine besondere Volte der Geschichte, dass die beiden 1945 unter einem Dach wohnten, immerhin sollte Wolf später am Rücktritt des Kanzlers Brandt nicht unmaßgeblich mitwirken.

Deutschen war der Zutritt ins Schloss untersagt. Brandt kam als Auslandskorrespondent, Wolf war von einem Berliner Sender entsandt, legte aber kurzerhand ein Dokument als Sowjetbürger vor. Wolf erzählt, wie die sowjetischen Berichterstatter die amerikanischen regelmäßig unter den Tisch getrunken hätten und wie ihm während der Silvesterparty 1945 ein Stein aus einem Kronleuchter auf die Stirn gefallen sei und er eine bleibende Narbe davongetragen habe.

Soll man das glauben? Ein Detail der Erzählung lässt die Vermutung zu, dass es wohl so gewesen ist: Verarztet hat den späteren Chef des Auslandsnachrichtendienstes der Stasi nach eigener Aussage eine sehr hübsche Amerikanerin, die, so schildert es Wolf, schon damals das bessere Verbandsmaterial gehabt haben sollen.

Die Beziehung der Großmächte geriet in Mittelfranken ohnehin immer mehr in den Blickpunkt. Das Time Magazin notierte, dass die seriöseren Sowjets mit den seriöseren Amerikanern Schach spielten. Während die weniger seriösen, auch so was soll es unter Reportern geben, in der Bar lärmten oder an Ping-Pong-Spielen teilnahmen, "an den zehn Nationalitäten miteinander wetteiferten und die Punkte in vier Sprachen gezählt wurden". Auch wenn die Briten "aus Spaß" mitunter Bierkrüge von der Treppe aus auf die Sowjets warfen (wohlgemerkt: aus Spaß), habe dies "keine internationale Krise ausgelöst".

© SZ vom 26.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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