Im Strom der Zeit geraten die schönsten Zitate in Vergessenheit und so ist Siegfried Zelnhefer zu danken, der in seinem Buch „Nürnberg. Ein Stadtporträt in 50 Kapiteln“ ein besonders schönes in Erinnerung ruft. Es findet sich im Kapitel „Mundart“, das sich mit dem Zungenschlag der Nürnberger beschäftigt, und stammt von 2003. In dem Jahr hatte sich der Bayerische Rundfunk entschieden, im Münchner „Tatort“ auch mal einen Hauptkommissar aus Franken auftreten zu lassen, einen allerdings, der zur Urlaubszeit lediglich vertretungsweise aus Nürnberg in die Landeshauptstadt abgeordnet worden war. Glänzend gespielt war diese Randfigur (einen „Tatort“ aus Franken gab’s damals noch nicht), wurde aber zum Streitfall und innerbayerischen Politikum.
Diese Figur aus Franken – bei Entspannungsübungen in Unterwäsche zu sehen – wirkte wie der Inbegriff eines Bezirkstrottels. Was wiederum den damaligen CSU-Chef von Nürnberg-West zum Schäumen brachte. Zur besten Sendezeit hätten „mehr als 6,6 Millionen Fernsehzuschauer wieder einmal das Klischee des piefigen, kleingeistigen und besserwisserischen Franken serviert“ bekommen, schimpfte der CSU-Mann. Nicht nur das. Jener Vertretungs-Kommissar – aus dem Weisheiten wie „Die Dadord-Begehung is des A und 0 der bolizeilichen Emiddlungsdädichgeid“ nur so perlten – sei vom BR „zu einer Aufbereitung bekannter Vorurteile der Altbayern gegenüber den Franken missbraucht worden“. Allen Ernstes forderte der CSU-Abgeordnete – 36 Jahre alt zu der Zeit– nicht weniger als eine „Wiedergutmachung für Franken“.
Sein Name? Söder, Markus.
Was für eine Perle, zumal sich noch im selben Kapitel weiterer Anlass zur Dankbarkeit findet. Warum? In Altbayern erscheinende Printprodukte sehen sich nicht selten mit barschen Anwürfen konfrontiert, sobald sie versuchen, den Zungenschlag in Franken möglichst untadelig zu verschriftlichen. Einen im Bräter geschmorten Schaufelknochen aus der Schweineschulter, an Sauerkraut und Kartoffelkloß gereicht, traut sich deswegen kaum mehr einer aufzuschreiben. Heißt das Ding jetzt: Schäufele? Schäuferle? Schäuferla? Schäufala? Verunsicherung allenthalben.
Zwar wird dieser spezielle Fall von Zelnhefer nicht diskutiert und also nicht geklärt. Dafür greift der Historiker sogar ein Regal höher. Er zeigt auf, dass die beiden führenden Mundartautoren in Franken – der Dichter Fitzgerald Kusz und der Kolumnist Klaus Schamberger – sogar ihre Heimatstadt unterschiedlich verschriftlichen. Für den einen, den Dichter, heißt dieser Ort „Nämberch“. Für den anderen, den Kolumnisten, ist das „Närmberch“.

Als Sinnbild fränkischer Vielfalt dürfte das schwer zu übertreffen sein – und erleichtert überdies die Antwort auf Protestschreiben über Unzulänglichkeiten der Fränkisch-Verschriftlichung. Überhaupt eignet sich dieses Buch nicht allein für Nürnberg-Aficionados, auch Zugereiste und Zugewanderte werden auf den 375 Seiten mit ordentlichem Rüstzeug versorgt. Um gleich beim Mundartkapitel zu bleiben: „Die Wendung bassd scho (passt schon) ist vielschichtig“, konstatiert Zelnhefer. „Sie kann die Antwort auf die Frage sein, wie es einem gehe. Das kann bedeuten: ,Alles ist bestens, mir geht es gut’, aber auch ,Es könnte besser gehen, aber ich will nicht darüber reden.’ Schließlich ist bassd scho aber vor allem das höchste fränkische Lob.“
Was wann wie und warum gilt? Ist an der Stelle nicht hinterlegt, würde einen solchen einführungsartigen Band aber auch überfrachten. In diesem Stadtporträt geht es um Grundlagen: um Bratwurst und Lebkuchen, Club und Christkind, Mittelalter und Maschinenzeitalter, St. Sebald und St. Lorenz, Nationalmuseum und Kaiserburg, Hauptmarkt und Pegnitz.


Und um große Linien, weshalb der Historiker Gerhard Pfeiffer nicht fehlen darf mit seiner Feststellung: „Nürnberg spiegelt nun einmal deutsche Geschichte in ihren Höhe- und Tiefpunkten.“ Und natürlich der Spiegel nicht, der 1992 der Stadt einen der schwersten Identitätstreffer ihrer Nachkriegsgeschichte versetzt und Nürnberg leichthin zur „langweiligsten Großstadt Deutschlands“ ausgerufen hat. Wohlgemerkt: Für jene Stadt, in der die Hitler-Zeit besonders einschneidende Spuren hinterlassen hat, war das definitiv nicht als Kompliment gemeint.
Überhaupt das Nürnberg-„Image“, der Historiker Zelnhefer konstatiert ein „Retrobild von der Stadt“, das spürbare Konsequenzen mit sich bringe: „So wird Nürnberg gnadenlos unterschätzt. Das beginnt schon bei der Beurteilung der Einwohnerzahl. Mehr als 250 000 wird selten geschätzt, wenn man Gäste befragt.“ Tatsächlich sind es mehr als doppelt so viele. Im Extremfall werde Nürnberg „als ein etwas größeres Rothenburg ob der Tauber beschrieben“. Dass Zelnhefer mal Stadtsprecher von Nürnberg war, kommt dem Text gerade in solchen Passagen zugute.
Nicht zuletzt bei Beobachtungen wie dieser: „Während der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 (,Die Welt zu Gast bei Freunden’) fragten BBC-Journalisten in Nürnberg, wo man am besten alte Nazis interviewen könne.“
Siegfried Zelnhefer: Nürnberg – Ein Stadtporträt in 50 Kapiteln. Verlag ars vivendi. Cadolzburg 2024.