Besuch einer jungen Familie aus München in Nürnberg, die Eltern sind beide Akademiker, die Töchter auffallend clever. Stilsicher hat man sich in der Jugendherberge einquartiert, die sich in Nürnberg in der ehemaligen Kaiserstallung findet, Blick über die Stadt inklusive.
Der Weg von da zum Freiluftwohnzimmer der Stadt, dem Tiergärtnertorplatz, ist kurz und führt über einen mittelalterlichen Parcours direkt an der Kaiserburg entlang. Die ältere der beiden Töchter ist offenkundig schwer angetan, sogar ein wenig kraxeln kann man hier. Ihr gefällt’s wohl? Doch, schon, antwortet sie. Zwar sei das hier halt alles „nur nachgebaut“. Aber schön sei es ja trotzdem.
Wie jetzt: „nachgebaut“? Na eben nachgebaut, sagt die junge Münchnerin. Wie im Disneyland.

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Angekommen in einem Fachwerklokal, der Lachbauchschmerz ist einigermaßen abgeebbt, konfrontiert man den Vater mit den Erkenntnissen der Tochter. Wortreicher Protest: Bei „nachgebaut“ gehe es selbstredend um den Zweiten Weltkrieg, Bomben, diese ganzen Geschichten. Wiederaufbau eben.
Eine Rückfrage bei der Urheberin erhärtet diesen Verdacht, nun ja, nicht direkt. Also eher kaum. Offen gesagt: überhaupt nicht.
Also bitte, ein junger Mensch eben. Stimmt natürlich. Und in Bezug auf Nürnberg ist das tatsächlich am untersten Rand der Schnitzer-Skala. Ein Gespräch kürzlich in Chemnitz, in der europäischen Kulturhauptstadt, lauter Beflissene treffen sich da gerade. Der deutlich erwachsene Gesprächspartner stammt aus Dresden, Bildungsbürgertum, oberstes Regal.
Städtevergleiche eignen sich gut zum Small Talk, aber irgendwie redet man hier schon seit zehn Minuten aneinander vorbei. Die flagranten Probleme einer Großstadt, die kenne man halt als Dresdener, findet der Mann. Als Mensch mit Hauptwohnsitz in Nürnberg sei das logischerweise komplett anders. Beneidenswert anders.
Nürnberg, eine Kleinstadt? Wie bitte?
Wobei Großstädte schon auch ihren Reiz hätten. Aber, bitte, ein Flecken wie Nürnberg selbstredend ebenfalls. Stehe da nicht diese Burg? Wie auch immer: alles so überschaubar, so lauschig, so Kleinstadt.
50 000 Einwohner, schätzt der Mann. Und lässt sich am Ende nur mithilfe des Klugtelefons samt Wiki-Funktion davon überzeugen, dass er damit, nun ja, ganz sanft danebenliegt. Mehr als das Zehnfache? Oha.
Dergleichen habe höchstens anekdotische Evidenz, würde der Soziologe entgegnen, machte man daraus jetzt ein „Nürnberg – die chronisch Unterschätzte“. Wirklich?
Siegfried Zelnhefer war lange Sprecher der Stadt, auch zu WM-Zeiten 2006. Er hat Nürnberg verdammt oft vorstellen müssen. Zelnhefer berichtet vom „Butzenscheibenimage“ und „Retrobild der Stadt“, das eben Konsequenzen mit sich bringe. Fragte er Gäste nach einer Einschätzung der Einwohnerzahl Nürnbergs, habe selten mal einer ansatzweise richtig gelegen. Mitunter sei es stattdessen „als ein etwas größeres Rothenburg ob der Tauber beschrieben“ worden.
Andererseits: Es gibt Schlimmeres. Zur Not sogar mit nachgebauter Kaiserburg.