Messerstecher von Nürnberg:Auf das Warum hat er selbst keine Antwort

Prozess um Messerstiche gegen drei Frauen

Daniel G. war wohnungs- und arbeitslos, als er durch Nürnberg irrte und offenbar wahllos auf die Frauen einstach. Vor Gericht sagt er nicht viel.

(Foto: Daniel Karmann/dpa)
  • Der 39-jährige Daniel G. aus Sachsen-Anhalt hat am 13. Dezember 2018 drei Frauen kurz hintereinander auf offener Straße ein Messer in den Leib gerammt.
  • Nun muss er sich vor dem Landgericht Nürnberg wegen versuchten Mordes in drei Fällen verantworten.
  • Zum Prozessauftakt erklärt sein Anwalt lediglich, dass er die Taten "dem äußeren, objektiven Sachverhalt nach" einräume.

Von Olaf Przybilla, Nürnberg

Der Mann, so viel kann man nach dem ersten Verhandlungstag bereits sagen, ist sich selbst ein Rätsel. Er hat am 13. Dezember 2018 drei Frauen kurz hintereinander auf offener Straße ein Messer in den Leib gerammt. Und er hat damit den Nürnberger Stadtteil St. Johannis für zwei Tage in Angst versetzt. Alle drei Frauen kannte er nicht. Warum tut einer so etwas?

Der 39-jährige Daniel G. aus Sachsen-Anhalt - robuste Statur, kurz geschorene Haare, bleiches Gesicht - sagt nicht viel im Saal 600 des Landgerichts Nürnberg, wo er sich wegen versuchten Mordes in drei Fällen verantworten muss. Sein Anwalt erklärt lediglich, dass er die Taten "dem äußeren, objektiven Sachverhalt nach" einräume. Danach ergreift kurz der Angeklagte das Wort. Mit brüchiger Stimme sagt er, dass er sich bei den drei Frauen entschuldigen wolle. "Es tut mir unheimlich leid", drückt er hervor. Dann schweigt er.

Es gibt aber ein Vernehmungsvideo aus dem Januar, das im Saal vorgeführt wird. Mehr als zwei Stunden ist die Aufnahme lang, man sieht zwei Ermittler, die G. gegenüber sitzen. Man wird viel Schluchzen hören in diesen zwei Stunden, die Beamten werden G. etliche Papiertaschentücher reichen. Einiges erfährt man davon, wie und wo da einer einen Tag lang quer durch Nürnberg geirrt ist. Wie die Straßen hießen, an welchem Geschäft er vorbeigekommen ist, wo er eine Versicherungsfiliale gesehen hat und wo einen Universitätsbau wahrzunehmen glaubte. Eine Frage aber, die entscheidende, wird G. nicht aufklären in diesem Video. Den Ermittlern nicht, den Zuhörern im Saal 600 auch nicht. Vor allem aber sich selbst nicht. Warum?

G. war wohnungs- und arbeitslos, als er sich auf den Weg nach Nürnberg machte. In Berlin hatte er keine Zukunft mehr gesehen, also Nürnberg, wo er sich etwas auskannte. Im Nürnberger Norden hat er in der Nacht zum 13. Dezember in einer Notunterkunft geschlafen, danach ist er zu einer Wärmestube aufgebrochen, um zu frühstücken. Dort gibt es Sozialarbeiter, denen er sich anvertrauen konnte, dass er sich in Nürnberg eine Bleibe suchen will. G. hat mal als Lagerist gearbeitet, sein Vorstrafenregister ist lang. Nachdem er festgenommen wurde, berichtete die Oberstaatsanwältin Antje Gabriels-Gorsolke von einem "Spaziergang quer durch das Strafgesetzbuch", den G. hinter sich habe. Brandstiftung, Beleidigung, Betrug, Bandendiebstahl. 18 Vorstrafen insgesamt.

Wie der Gedanke, dass er "einen Überfall machen" will, auf einmal in seinen Kopf gelangte an jenem Tag - schon das kann sich G. nicht erklären. Er mäanderte nach dem Aufenthalt in der Wärmestube durch die Stadt, "plötzlich war er da". Er beschloss, ein Messer zu klauen, kaufen hätte er es nicht können, dafür reichte sein Geld nicht. Also ging er in einen Supermarkt am Plärrer, versuchte eine Flasche Schnaps der Sorte "Saurer Apfel" und ein Käsemesser zu stehlen. Das misslang. Der Ladendetektiv erwischte ihn und rief die Polizei. Die nahm die Personalien auf und ließ G. wieder ziehen. Also ging er ins nächste Geschäft, einen Ein-Euro-Laden, und versuchte erneut, ein Messer zu klauen. Diesmal gelang es. Er habe, sagt er, das Messer nur als Drohkulisse bei einem Überfall in der Hand halten wollen. Er sei dann in das Nürnberger Altbau- und Kneipenviertel St. Johannis gegangen, auf der Suche nach einem "kleinen Geschäft", das sich für einen Überfall eigne. Und dann?

"Das ist Wahnsinn"

Am frühen Abend, so viel ist klar, ist G. am Nürnberger Nordklinikum eine 56 Jahre alte Frau entgegengekommen. G. rammte ihr ein Messer mit einer Klingenlänge von 13 Zentimetern in den Bauch. Warum nur, wollen die Ermittler wissen. Er wisse es beim besten Willen nicht, schluchzt G: "Das ist Wahnsinn", sagt er. Er habe Frauen doch sonst "immer geschützt". Minutenlang weint er. Man versteht jetzt wenig auf dem Video, aber diesen Satz schon noch: "Das tut unheimlich weh sowas". G. meint offenbar sich selbst, nicht die Frauen.

Ob er Augenkontakt gehabt habe mit der ersten Frau? Glaube er nicht, sagt G. Nicht mal umgedreht habe er sich nach dem Stich, er sei "einfach nur gelaufen, immer gelaufen", quer durch die Stadt; erst zum Hauptbahnhof, dann wieder zurück nach Johannis. Um kurz vor 23 Uhr rammte er dort einer 26-Jährigen das geklaute Messer von hinten in den Rücken. Er will sich erinnern, dass diese noch "Du spinnst wohl" oder ähnliches gesagt habe. Kurz darauf stach er einer 34-Jährigen in den Bauch. An eine "große Person" erinnert er sich, die ihm entgegengekommen sei, sonst habe er nichts wahrgenommen.

Ob er wisse, was er mit solchen Stichen anrichten könne, fragt ein Ermittler. Alle drei Frauen mussten notoperiert werden, für zwei von ihnen bestand erst viele Stunden nach dem Angriff keine Lebensgefahr mehr. Über so etwas habe er sich nie Gedanken gemacht, antwortet G. Ob er womöglich aus Frauenhass gehandelt habe? Das schließt G. aus. Er hat eine Tochter, die Beziehung zu der Kindsmutter sei gescheitert. "Die Frauen haben mich verarscht, und ich habe die Frauen verarscht", berichtet G. Aber dass er deshalb willkürlich Frauen mit einem Küchenmesser attackiere - nein, das glaube er nicht. Schon allein, warum ihm der Gedanke an einen Überfall gekommen ist, sei ihm schleierhaft. Andererseits: Bevor er eine zweite Flasche Schnaps klauen wollte, habe er schon eine erste "auf ex geleert". Er habe Durst gehabt, erklärt G. Womöglich habe es daran gelegen.

Am Nachmittag sagt die erste Frau aus, jene 56-Jährige, der G. das Messer am frühen Abend in den Bauch rammte. Sie ist auf dem Weg von ihrer Arbeit nach Hause gewesen, erzählt sie, als ihr auf dem Gehweg ein Mann an der Wand entgegenkam. Er driftete etwas in ihre Richtung, deshalb habe sie sich noch gedacht: "Das wird eng, aneinander vorbei zu kommen." Schon kurz danach habe sie einen "entsetzlichen Schlag" auf ihrem Körper gespürt. Sie dachte erst an einen Elektroschocker. Als sie dann merkte, wie "alles heiß und nass" wurde, habe sie Todesangst bekommen: "Ich habe eine medizinische Grundausbildung, ich weiß, wann Lebensgefahr besteht." Sie habe den Eindruck gehabt, sagt die 56-Jährige, dass der Mann ihr "Herz treffen wollte". Dass sie am Bauch ganz gut genährt sei, habe ihr womöglich das Leben gerettet. Die Frau musste im Nordklinikum notoperiert werden - dort also, wo sich G. nach den drei Taten in einer Toilette einschloss und zum Schlafen legte.

Für den Prozess sind sieben Verhandlungstage angesetzt, das Urteil wird im Oktober erwartet. Er bekomme sicher "lebenslänglich und anschließende Sicherungsverwahrung", schluchzt G. auf dem Video. Die Ermittler sagen dazu nichts.

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