Nürnberg:Schüler vor S-Bahn geschubst - Ermittler gehen von "bedingtem Vorsatz" aus

Lesezeit: 3 min

Am Nürnberger S-Bahnhof Frankenstadion ereignete sich die Tragödie. Zwei Jugendliche wurden vom Zug überrollt, ein dritter konnte sich retten. (Foto: Daniel Karmann/dpa)
  • Bei einem Streit am Nürnberger S-Bahnhof Frankenstadion sind zwei Jugendliche von einem Zug überfahren und getötet worden.
  • Den zwei 17-Jährigen, gegen die am Sonntag Haftbefehl wegen Totschlags erlassen wurde, wirft die Staatsanwaltschaft "bedingten Vorsatz" vor.
  • Über einen Zwischenstand bei den Ermittlungen zu berichten, lehnte eine Justizsprecherin ab, "um nicht die noch anstehenden weiteren Zeugenvernehmungen zu beeinflussen".

Nach dem Tod von zwei Jugendlichen am Nürnberger S-Bahnhof Frankenstadion geht die Staatsanwaltschaft von einem "bedingten Vorsatz" aus. Zwei 17-Jährige befinden sich in Untersuchungshaft, gegen sie wird wegen Totschlags ermittelt. Ein Streit zwischen den Jugendlichen hatte am Samstag ein tragisches Ende genommen: Drei 16-Jährige fielen kurz nach Mitternacht auf die Gleise, nachdem offenbar eine Auseinandersetzung eskaliert war. Zwei Jugendliche aus dem Landkreis Erlangen-Höchstadt wurden von einem herannahenden Zug erfasst und getötet. Ein dritter aus dem Landkreis Fürth konnte sich gerade noch von den Schienen retten. Er blieb unverletzt.

Den "bedingten Vorsatz" erklärte Oberstaatsanwältin Antje Gabriels-Gorsolke damit, dass alle Jugendlichen am Bahngleis auf eine S-Bahn gewartet hätten und allen schon deshalb klar sein musste, dass ein Zug sich nähert. Insofern hätten die Beschuldigten den möglichen Tod der beiden billigend in Kauf genommen. Ob die beschuldigten Jugendlichen - die zur Sache beim Ermittlungsrichter bisher nichts gesagt haben - diesen Zug bereits gesehen beziehungsweise wahrgenommen haben oder nicht, spiele für eine Anklage wegen Totschlags zunächst keine Rolle, sagte Gabriels-Gorsolke.

Jugendkriminalität
:"Die meisten Menschen kennen Kriminalität nur noch vom Hörensagen"

Ein 17-Jähriger soll eine 15-Jährige erstochen haben, eine 13-Jährige wird von einer Gruppe Jugendlicher vergewaltigt. Da drängt sich der Eindruck auf, dass die Jugendgewalt zunimmt. Soziologe Dirk Baier widerspricht.

Interview von Hannes Vollmuth

Aufgrund der zahlreichen Zeugen am Bahnsteig werde es noch viel Zeit benötigen, um diese und ähnliche Fragen womöglich klären zu können, erklärte die Oberstaatsanwältin. "Es kann noch kein Zwischenstand mitgeteilt werden, um nicht die noch anstehenden weiteren Zeugenvernehmungen zu beeinflussen", erklärte die Staatsanwältin.

Wenige Stunden nach der Tragödie hatte die Kriminalpolizei zunächst einen 17 Jahre alten Verdächtigen festgenommen. Später wurde ein weiterer 17-Jähriger ermittelt. Die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth beantragte Haftbefehle gegen die beiden jungen Männer aus dem Landkreis Fürth. Die Jugendlichen wurden am Sonntagmittag dem Haftrichter vorgeführt, der die Haftbefehle erließ. Bei einer Verurteilung drohen den Beschuldigten mehrjährige Haftstrafen. Da beide erst 17 Jahre alt sind, käme das Jugendgerichtsgesetz zur Anwendung. Dieses begrenzt die Höchststrafe bei Totschlag auf zehn Jahre.

Die Jugendlichen hatte nach einer Party in einer nahen Diskothek auf dem Bahnhof gewartet. Die beiden 17-Jährigen sollen dafür verantwortlich sein, dass ihre drei Kontrahenten vom Bahnsteig in die Gleise fielen. Die Ermittler ließen zunächst offen, ob die mutmaßlichen Täter die drei Jüngeren geschubst, geschlagen oder getreten haben. Dies müssten die weiteren Ermittlungen erst noch zeigen, sagte Polizeisprecher Wolfgang Prehl am Sonntag.

Zum Tatzeitpunkt seien einige Menschen in unmittelbarer Nähe gewesen. Entsprechend viele Zeugenaussagen müssten ausgewertet werden. Erst dann lasse sich der genaue Tathergang rekonstruieren. Die Kripo analysiert zudem die Videoaufnahmen der Überwachungskameras am Bahnhof. Der Kriminaldauerdienst hatte in der Nacht den Fall übernommen. Nun ermittelt die Mordkommission des Polizeipräsidiums Mittelfranken gegen die beiden 17-Jährigen. Nach ersten Erkenntnissen habe ein "völlig nichtiger Anlass" zu dem Streit zwischen den mindestens fünf jungen Männern geführt, sagte Polizeisprecher Prehl. Am Samstagmorgen wurde der erste Tatverdächtige aufgrund von Zeugenaussagen identifiziert und festgenommen. Später wurde auch der 16-jährige Junge gefunden, der von den Schienen entkommen konnte. Weitere Hinweise führten schließlich zum zweiten Tatverdächtigen. Besonders die Aussagen der drei Jugendlichen sollen nun dazu beitragen, die Tat genau rekonstruieren zu können.

"Wir sind bis ins Mark erschüttert"

Zur Zeit des Geschehens waren laut Polizei etwa 150 Menschen auf dem Bahnsteig und in der ankommenden S-Bahn. Am Bahnhof war zu dieser Zeit so viel los, weil in einer nahen Diskothek laut Prehl eine "Jugendveranstaltung" stattgefunden habe. Viele dieser Partygänger sollen am Freitag gegen Mitternacht die Veranstaltung verlassen haben und zum Bahnhof gegangen sein. Sie wurden nach der Tragödie von Notfallseelsorgern betreut, die Verkehrsgesellschaft schickte zwei Linienbusse zum Bahnhof, in denen sich die Augenzeugen aufhalten konnten. Das Geschehen führte zu einem Großeinsatz, an dem neben Polizisten auch Notärzte und Sanitäter sowie Feuerwehrleute beteiligt waren. Beamte der Spurensicherung untersuchten noch in der Nacht den Tatort. Mehrere Stunden lang wurde die Bahnstrecke deswegen gesperrt.

Die mittelfränkische Marktgemeinde Heroldsberg reagierte unterdessen bestürzt auf die Tragödie. "Wir stehen alle unter Schockstarre", sagte die Vorsitzende des Tuspo Heroldsberg, Stefanie Piegert, im SZ-Gespräch. Die verstorbenen Jugendlichen waren Fußballer bei der A-Jugend ihres Heimatklubs. Am Samstag hatte ursprünglich eine Benefizveranstaltung zugunsten eines Kunstrasenplatzes für den Verein stattfinden sollen. Diese war abgesagt worden. Stattdessen hatten sich etwa 500 Bürger zu einer Gedenkveranstaltung zusammengefunden. Man habe zusammen weinen können, sagte Piegert: "Wir sind bis ins Mark erschüttert."

© SZ vom 28.01.2019/prz/angu/dpa - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: