Die Audioaufnahmen sind eindrücklich. "Haut ab!", skandiert eine Gruppe aufgebrachter Menschen und: "Ganz Nürnberg hasst die Polizei!" - zu hören im Gerichtssaal am Dienstag. Aus dem Off sagt eine Stimme, die das Ganze offenbar aufzeichnet: "Ach du Scheiße".
Die Aufnahmen stammen aus einer Sommernacht 2019 in Nürnberg-Gostenhof. Diese Nacht rekonstruiert das Schöffengericht am Dienstag in einem Berufungsverfahren: Eine Gruppe Jugendlicher feiert auf dem bei Linksautonomen beliebten Jamnitzerplatz. Es läuft laut Musik, fließt Alkohol. Eine Anwohnerin fühlt sich gestört und ruft die Polizei. Als die mit mehreren Streifen anrückt und beginnt, die Gruppe zu kontrollieren, eskaliert es.
Nürnberg:Nachbarschaft der Gegensätze
Diesen Samstag wollen Linksautonome auf dem Jamnitzerplatz gegen die Polizei demonstrieren. Ein Ort, an dem Punks auf Familien, Aktivisten auf Ordnungshüter, Gourmets auf Ex-Häftlinge treffen. Eine Erkundung.
Etwa 60 Menschen kommen aus dem linksautonomen Szenelokal "Schwarze Katze" dazu und beginnen, die Beamtinnen und Beamten anzubrüllen, mit den Kontrollen aufzuhören und zu verschwinden. Kurze Zeit später kesseln sie Einsatzkräfte ein. Ein Polizist gibt im Gerichtssaal an, er habe zu einem Kollegen gesagt: "Vergiss das, wir fahren jetzt, das ist zu gefährlich." Die Polizei entschließt sich zum Rückzug.
Noch bis zu ihren Fahrzeugen hätten die Menschen sie bedrängt, sagt er. Zwei Linksautonome wurden anschließend, 2020, vom Amtsgericht wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte zu Haftstrafen verurteilt. Einer der beiden, ein heute 52-jähriger Transportarbeiter, sollte ein Jahr und drei Monate in Haft, ein heute 33-jähriger Student für ein Jahr und sechs Monate. Den 52-Jährigen machte das Gericht als Rädelsführer aus. Der 33-Jährige soll sich mit einer Holzlatte einer Polizistin genähert und sie als "Bullenschlampe" beleidigt haben.
Er habe "das erste Mal im Leben richtig Angst" gehabt, sagt ein Polizist
Solche frauenfeindlichen Ausdrücke gehörten gar nicht zu seinem Wortschatz, sagt der Student zu Anfang der Berufungsverhandlung am Oberlandesgericht Nürnberg-Fürth. Dafür bekommt er Applaus von Unterstützerinnen und Unterstützern von den Bänken. Autonome hatten nach dem Urteil Solidaritätsdemos organisiert, weil reines "Anschreien der Polizei" kein Grund für eine Haftstrafe sein könne. Doch der Fall tangiert auch die juristische Frage, ob es erst körperlich werden muss, damit ein Übergriff als Gewalt gilt.
Ein Polizist sagt am Dienstag, er habe "das erste Mal im Leben richtig Angst" gehabt. Zu Beginn der Verhandlung räumt der 52-Jährige ein, in der Nacht dabei gewesen zu sein. Das bewertet die Richterin anschließend positiv. Er habe einige Biere getrunken, sagt er, Einsatzkräfte aufgefordert, abzuhauen, und er sei ihnen auch nahe gekommen, lässt er seinen Anwalt verlesen. Er habe aber nicht beleidigt oder bedroht.
Ein Polizist merkt an, die aufgebrachten Menschen hätten "genau gewusst, wie weit sie gehen konnten, ohne sich strafbar zu machen". Demnach darf man zwar "Bullen raus" schreien, "Bullenschlampe" aber zählt als Beleidigung. Die Strafe des 52-Jährigen wird am Ende umgewandelt: Zu zehn Monaten auf Bewährung und einer Geldstrafe von 1500 Euro, auch weil er nicht vorbestraft ist. Der 33-Jährige hat mehrere einschlägige Vorstrafen und muss für ein Jahr und zwei Monaten in Haft. Ein Zeuge, der ihm ein Alibi gab, hatte das Gericht nicht überzeugt. Gegen das Urteil kann Revision eingelegt werden.