„Nürnberg Pop“ ist seit 2011 ein Festival, das über Nürnberg hinaus wirkt. Und über den Pop hinaus. „Wir sehen unsere politische Verantwortung“, sagt David Lodhi, Betreiber des örtlichen Renommier-Clubs Stereo und zusammen mit Thomas Wurm Veranstalter von „NBG Pop“, das den Rekord „größtes Showcase-Festival Süddeutschlands“ hält. Lodhi ist als Herz und Hirn in der örtlichen Szene verwurzelt, mischt in der Stadt- und Verbandspolitik mit, zugleich reist er als eine Art Franken-Pop-Botschafter aber auch zu ähnlich gestrickten Festivals durch die Welt. Zum Beispiel holt er sich Impulse jedes Jahr beim „Airwaves“ auf Island, wo er wiederum zwei Delegierte der Faröer Inseln kennenlernte, deren Festival „G!“ er dann als „das schönste der Welt“ kennenlernte und über das dortige Musikexportbüro jetzt drei ziemlich eigenwillige Bands nach Nürnberg gelotst hat.
Aber „genreübergreifende Brücken“ zu bauen, wie Lodhi es beabsichtigt, kann er auch in der näheren Nachbarschaft. Vor einem Jahr wurde ihm bewusst, dass auch andere bayerische Großstädte ambitionierte Festival-Formate dieser Art entwickelt haben, örtlich und zeitlich naheliegend: „Stadt nach Acht“ in Augsburg (heuer 24. und 25. Oktober) und „Listen To Munich“ in München (15. und 16. November). „Wir reden jetzt seit einem Jahr miteinander“, sagt Lodhi, und als großer Verknüpfer hat er einen gemeinsamen Schwerpunkt bei den jeweils in die Festivals integrierten Pop-Konferenzen angeregt. Nürnberg, Augsburg und München werden sich in diesem Jahr mit einem lodernden Thema befassen: Popkultur als Brandmauer gegen Rechtsextremismus.
Jedes Festival hat seine eigene Perspektive darauf und andere Sprecher in den Diskussionsrunden. In Nürnberg geht es um „Rechtsextremismus in der Livemusik“. „Das Thema Rechtsrock ist auch in Nürnberg akuter als wir denken“, sagt David Lodhi, nur weil solche Konzerte versteckt und nicht in der eigenen Bubble stattfinden, solle man das Problem nicht ignorieren. Spotify-Playlists mit Neonazi-Bands und der Rechtsruck bei Wahlen in drei Bundesländern zeigten, „wohin die Marschroute geht“. Pop und Populismus – welche Wirkmacht verbindet beides? Wie sollen Veranstalter, Musiker, Medien und Fachleute mit den musikalischen Helden der rechtsextremen Szene umgehen – darüber sprechen Markus Schwarz von der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus, der „Rocksoziologe“ Rainer Sontheimer, Sara Lohr von der Band Akne Kid Joe und Tony Brehm vom „Heavy Metal“-Riesenfestival „Summerbreeze“. Kulturpolitiker aus dem Stadtrat haben ihr Kommen angekündigt. An der Networking-Konferenz im Künstlerhaus, die auch Themen wie „Mental Health“ im Pop behandelt oder in der Regisseur Jan Bratenstein seinen Film über „Folkpunk“ vorstellt, kann jeder Interessierte gratis teilnehmen (Anmeldung: www.nuernberg-pop.com/pop-conference).
Aber ein Pop-Festival ohne Musik wäre freilich auch nur Gerede. Bei sagenhaften 80 Konzerten an drei Abenden an 15 Orten in der Nürnberger Altstadt sollten sich die erwarteten 5000 Besucher einfach treiben lassen – oder wie die Talentscouts der Plattenfirmen (die solch ein Showcase-Festival anlockt) einen sehr guten Plan austüfteln. „Der Eintritt in die kleinen Venues wird kostenlos sein“, verspricht der Veranstalter. Natürlich gibt es auch die großen Star-Gastspiele gegen Eintritt: etwa die Essener Indie-Lieblinge International Music („Endless Rüttenscheid“) Freitag mitternachts im Heilig-Geist-Saal. Oder den Hamburger Säusel-Soul-Aufsteiger Berq, der seine operettenhaften Lieder wie „Tourette“ in der stimmungsvollen Katharinenruine teilweise zusammen mit einem 35-köpfigen Chor vorträgt. Überhaupt die Chöre: Da singt der Indiekneipenchor in der Marthakirche ebenso wie Tiny Wolves, ein Kinderchor mit Hits von Tom Petty bis AnnenMayKantereit aus Niedersachsen auf seiner ersten großen Fahrt. Dessen Leiter, einen „grundsympathischen Grundschullehrer“, hat David Lodhi mal spätnachts auf dem Hamburger Reeperbahn-Festival kennengelernt.
Die Faröer-Inseln stellen im Kulturgarten ihre bodenständige Skurilllität mit Kóboykex (zwischen White Stripes und Ennio Morricone), Aggrasoppar (Flowerpunk) und Elinborg (Nordic Noir Pop) unter Beweis. Und auch Österreichs Szene ist stark und stark vertreten, etwa mit AZE (Dream-Pop), Kleinabaoho („Gen-Z-Flüsterpop“) oder Yukno. Letztere werden bei ihrem Austropop-Rave von Videokünstlern in Szene gesetzt, wie alle acht Musik-Acts im Zukunftsmuseum vom Neue-Neue-Deutsche-Welle-Ironiker Streichelt bis zur neuen Nürnberger Soul-Sensation Ki’Luanda.
Die heimische Szene ist diesmal gerade in den kleinen Spielstätten besonders stark vertreten, etwa Jazz-Quartette aus der Musikhochschule in der Original Bar; oder das fränkische Restaurant Brotzeit serviert Old-School-Hip-Hop.
Die Ehre des Abschlusskonzertes im Festsaal des Künstlerhauses gebührt Avaion, und das zu Recht: Als Teenager träumte der Fürther von einer Goldenen Schallplatte, jetzt hat der Multiinstrumentalist und Electro-Songwriter längst mehrere Gold-Auszeichnungen und sogar eine in Platin (in der Schweiz) für sein Debüt „Pieces“ und vor allem international Erfolg. „Es ist total okay, aus Franken zu sein“, sagt Lodhi zu diesem leuchtenden Beispiel, „wir haben viel zu bieten, aber nicht viele bleiben hier.“
Nicht zuletzt soll deshalb der dem Festival zugehörige Nürnberger Popkulturpreis Gunda eine Ermutigung für alle sein, sich von hier aus auszuleben und einzumischen. Die Verleihung in vier Sparten wird am Donnerstagabend groß im Zukunftsmuseum zelebriert (kostenlose Teilnahme bei Anmeldung). Eine Gunda für soziales Engagement geht dabei gar nicht an Musikschaffende, sondern an die Fußball-Damenmannschaft des 1. FC Nürnberg. Die sei zwar sportlich abgestiegen, ermutige aber Mädchen, kämpfe für LGBTQ und auf Demos gegen rechts, erklärt Lodhi. Das ist auch eine Art Pop-Kultur, wie sie dem Veranstalter vorschwebt: „Raus aus der Nische, rein ins gesellschaftliche Leben.“
Nürnberg Pop Festival, Donnerstag bis Samstag, 10. bis 12. Oktober, www.nuernberg-pop.com