Süddeutsche Zeitung

Franken:Die heimliche Macht im Nürnberger Rathaus

  • In Nürnberg werden die Posten der Referenten durch den Stadtrat stets kurz vor der nächsten Kommunalwahl vergeben.
  • Das ärgert die kleineren Gruppierungen, die in dem Gremium vertreten sind. Sie wollen, dass jeweils der neue Stadtrat über die Posten entscheidet.
  • Von der SPD und der CSU heißt es, das bisherige Modell diene dazu, die Funktionsfähigkeit der Verwaltung sicherzustellen.

Von Claudia Henzler, Nürnberg

In einer Großstadt wie Nürnberg sind Referenten - mal abgesehen vom Oberbürgermeister und seinen Stellvertretern - die wichtigsten Posten, die im Rathaus zu vergeben sind. Wenn auch nicht ganz mit Ministern vergleichbar, sind eine Kulturreferentin oder ein Wirtschaftsreferent mehr als Verwaltungschefs. Sie müssen sich als Wahlbeamte zwar an Beschlüsse des Stadtrats halten, können in ihren Geschäftsbereichen aber vieles selbst gestalten und regelmäßig zu Presseterminen einladen. Kein Wunder, dass diese mächtigen Ämter nach politischen Mehrheiten vergeben werden. Die Art, wie dies in Nürnberg gehandhabt wird, ist dabei mindestens ungewöhnlich.

In der Halbmillionenstadt legt der amtierende Stadtrat nämlich immer kurz vor der nächsten Kommunalwahl fest, wie die auf sechs Jahre befristeten Posten der berufsmäßigen Stadträte, wie Referenten in der bayerischen Gemeindeordnung heißen, in der kommenden Wahlperiode aufgeteilt werden. Die drei in Fraktionsstärke vertretenen Parteien SPD, CSU und Grüne machen das unter sich aus und orientieren sich bei der Vergabe an den bestehenden Mehrheitsverhältnissen und beschließen auch gleich noch, wer die wichtigsten Positionen bekleiden soll.

Die kleineren Gruppierungen im Nürnberger Stadtrat regen sich schon lange über diese Praxis auf. ÖDP, Freie Wähler und ein paar Einzelkämpfer beantragen regelmäßig, dass der neue Stadtrat über die Referenten entscheiden soll - diesmal wäre das nach der Kommunalwahl am 15. März 2020. Kommende Woche werden sie wieder mit einem Vorstoß scheitern, wenn der Stadtrat die Weichen für die im Herbst geplante Wahl der Referenten stellt. Fünf von sechs Posten müssen zum 1. Mai 2020 neu oder wieder besetzt werden - einzig die Amtszeit von Wirtschaftsreferent Michael Fraas (CSU) läuft noch drei Jahre weiter, weil sein Vorgänger einst in der Mitte einer Wahlperiode zur Nürnberger Messe wechselte.

Zwischen den drei großen Gruppierungen ist soweit alles klar: Die CSU darf Kulturreferentin Julia Lehner behalten. Baureferent Daniel Ulrich, bisher gemeinsamer Kandidat von CSU und SPD, soll wieder gewählt werden. Gleiches gilt für den SPD-Mann Harald Riedel an der Spitze des Referats für Finanzen und Personal. Die SPD darf einen Nachfolger für den altersbedingt ausscheidenden Referenten für Jugend, Familie und Soziales bestimmen und die Grünen den Umweltreferenten.

"Das haben wir schon immer so gemacht. Das hat sich bewährt"

ÖDP & Co. haben diesmal versucht, die Kollegen zu einem Systemwechsel zu bewegen. Die Referenten sollten zwar wie geplant im Herbst, aber nur für drei Jahre gewählt werden. Dann könnte der Stadtrat vom Jahr 2023 an immer in der Mitte seiner Wahlperiode über die Besetzung der Referate entscheiden. Damit hätte der jeweilige Stadtrat Zeit, sich einzuarbeiten, und dennoch die Möglichkeit, die Aufteilung an die Mehrheitsverhältnisse des Rates anzupassen. Genau so wird es in München gemacht (wobei in der Landeshauptstadt mehrere Referenten außerhalb des Turnus gewählt werden, weil ihre Vorgänger frühzeitig ausgeschieden sind).

In Augsburg läuft es exakt umgekehrt wie in Nürnberg. Dort stimmt jeweils der neue Stadtrat in seiner konstituierende Sitzung über die Referenten ab. Mit dem Gleichklang der Amtszeiten von Wahlbeamten und Stadtrat hat die schwäbische Stadt offenbar gute Erfahrungen gemacht. "Bislang gibt es keine Überlegungen, an dem Procedere etwas zu ändern", sagt eine Stadtsprecherin.

Nürnbergs Stadtratsmehrheit sieht keinen Änderungsbedarf. "Das haben wir schon immer so gemacht. Das hat sich bewährt", sagt CSU-Fraktionschef Marcus König. "Damit wollen wir den Nürnbergern die Sicherheit geben, dass das ganz normale Verwaltungshandeln weitergeht." Schließlich handle es sich um Amtsleiter, nicht um Minister. Weisungsbefugt sei immer der Stadtrat, womit sichergestellt sei, dass der Wählerwille politisch umgesetzt werde. "Der Stadtrat gibt vor, was die ausführenden Organe der Verwaltung zu tun haben." Eigentlich sei damit fast egal, ob an der Spitze eines Amtes ein CSU- oder ein SPD-Kandidat stehe, sagt er. Trotzdem präsentiert Königs Stadtratsfraktion auf ihrer Internetseite sehr stolz "Die Referenten der CSU im Nürnberger Rathaus".

SPD-Fraktionsvorsitzende Anja Prölß-Kammerer betont ebenfalls: "Es geht um eine funktionierende Verwaltung." Man versuche dadurch, die politische Ebene von der Stadtverwaltung zu trennen. Sollten die neuen Mehrheitsverhältnisse stark von den bisherigen abweichen, könne man das bei der nächsten Stellenbesetzung anpassen. Ihr Kollege Achim Mletzko von den Grünen bezeichnet es als "gute Tradition, dass wir das ganz bewusst in der alten Wahlperiode machen und nicht in der neuen". Die Stadtverwaltung dürfe kein Spielball kurzfristiger Interessen sein. Trotz zu erwartender Stimmzuwächse wollten die Grünen an der bisherigen Praxis festhalten: "Wenn eine Partei jetzt sagen müsste, wir wählen erst nach dem Kräfteverhältnis im neuen Stadtrat, dann wären es wir."

Die Grünen, obwohl nur mit sechs Stadträten vertreten, dürfen ein Referat besetzen, weil die Posten in Nürnberg zwischen allen Parteien mit Fraktionsstatus aufgeteilt werden, nicht nur zwischen denen der jeweiligen Regierung, die derzeit aus SPD und CSU besteht. So soll die Verwaltung auf einer möglichst breiten Basis stehen. Die Nürnberger nennen das "Stuttgarter Modell". Die Parallelen enden allerdings beim Vergabemodus: In Baden-Württemberg werden die Referatsleiter für acht Jahre gewählt, die Stadträte alle fünf Jahre.

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SZ vom 04.04.2019/jael
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