Entscheidung in Nürnberg:Die Oper zieht aufs frühere NS-Gelände - nur wohin genau?

Ehemaliges Reichsparteitagsgelände am großen Dutzendteich unvollendete Kongresshalle der NSDAP 1933

Die Interimsspielstätte für die Nürnberger Oper wird auf jeden Fall der NS-Kongresshalle ganz nahe sein. Die Frage ist allerdings, ob die im oder am Kongressbau entstehen wird.

(Foto: Norbert Probst/imago)

CSU, SPD und Grüne wollen verkünden, dass die 650 Beschäftigten des Staatstheaters für mehrere Jahre auf dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände unterkommen werden. Ein gemeinsamer Kurs? Schon - aber nur weil sie die zentrale Streitfrage auslagern.

Von Olaf Przybilla, Nürnberg

An diesem Freitag werden CSU, SPD und Grüne in Nürnberg gemeinsam vor die Presse treten - ein seltener Vorgang. Sie wollen einen "gemeinsamen Kurs" für Opernhaussanierung und Interimsspielstätte vorstellen. Für den 15. Dezember, den Tag der geplanten Grundsatzentscheidung im Stadtrat, kündigt sich damit eine große Mehrheit an. Dies aber nur, weil die heftig umstrittene Frage - Interimsbau im oder lediglich am NS-Kongressbau - vertagt wird. Hier ein Überblick über das zentrale Thema der Stadt.

Entscheidung in Nürnberg: Der Innenraum der ehemaligen NS-Kongresshalle in Nürnberg besteht vor allem aus Gängen und Treppenhäusern.

Der Innenraum der ehemaligen NS-Kongresshalle in Nürnberg besteht vor allem aus Gängen und Treppenhäusern.

(Foto: Olaf Przybilla)

Was will der Nürnberger Stadtrat am Mittwoch beschließen?

Voraussichtlich zwei grundlegende Dinge. Erstens: Das Opernhaus, zu Beginn des 20. Jahrhundert gebaut, wird saniert - die 650 Beschäftigten werden nach Ende der Interimszeit dorthin zurückkehren. Zweitens: Die Ausweichspielstätte wird derweil "am oder im" Kongressbau, einer der größten Nazihinterlassenschaften Deutschlands, unterkommen. Konkret heißt das, dass die Funktionsräume des Staatstheaters - Fundus, Maske, Probenräume und anderes - im Inneren des 82 000 Quadratmeter großen NS-Hufeisens (bestehend vor allem aus Gängen und Treppenhäusern) untergebracht werden sollen. Bei der Rückkehr der Oper ins Stadtzentrum könnten diese Räume anschließend von Künstlern und Kreativen genutzt werden. Wo exakt die eigentliche Spielstätte für Opern- und Ballettaufführungen auf dem früheren Reichsparteitagsgelände hinkommen soll, diesen zuletzt vehement umstrittenen Punkt wollen die Stadträte vorerst offenlassen. Darüber soll 2022 entschieden werden.

Welcher Standort auf dem ehemaligen NS-Gelände käme für die Opernaufführungen in Frage?

Der Interimsbau soll entweder im bislang bewusst öde gehaltenen "Innenraum" des NS-Hufeisens unterkommen. Dafür plädieren CSU und Grüne. Oder an einen von mehreren infrage kommenden Orten vor jenem Bau, womöglich mit Blick auf den Dutzendteich. Dafür plädiert mehrheitlich die SPD sowie der Verein "Geschichte Für Alle" - der Führungen übers NS-Gelände organisiert - und die Historiker vom Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände, die seit 20 Jahren in einem der beiden Kopfbauten der Torso gebliebenen NS-Kongresshalle untergebracht sind. Auch der Gedenkstättendirektor Axel Drecoll, Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat des Geländes, hat in einem SZ-Gespräch Sympathien für einen Standort vor dem NS-Bau bekundet - also nicht im Hof des Hufeisens.

Warum ist ein vermeintliches Detail des Umzugs so umstritten?

In einem offenen Brief haben Dutzende Mitglieder von "Geschichte Für Alle" ihre Erfahrungen bei den Führungen über das NS-Gelände beschrieben. Ihren Schilderungen zufolge lasse sich die angestrebte Gleichschaltung der Massen, die Ausgrenzung Andersdenkender und "die Einschüchterung des sich winzig und machtlos fühlenden Individuums" im Innenhof des Hufeisens besser als irgendwo anders auf dem NS-Areal veranschaulichen. Gerade die Ruinenhaftigkeit der Szenerie - anders als der Blick auf die eher vollendet wirkende Außenfassade - erzähle vom Scheitern der NS-Ideologie, "von ihrer Abgründigkeit, Hohlheit und Leere". Beim Betreten des Innenhofes beobachte man immer wieder, wie stark Gäste auf die Dimension des leeren Raumes reagierten. Diese Wirkung drohe durch einen architektonischen Eingriff zumindest schwer beeinträchtigt zu werden. CSU und Grüne befürchten einen solchen Effekt nicht, zumal noch gar keine konkreten Pläne für einen solchen Bau vorlägen. Beide betonen nicht zuletzt theaterpragmatische Gründe, die für einen Interimsbau im Hofinneren sprächen. Auch aus ökologischen Gründen halten vor allem die Grünen den Platz für besonders geeignet, da er bereits versiegelt ist.

Und der Denkmalschutz?

Mit ihm argumentieren beide Seiten. Die CSU hält es für deutlich besser vertretbar, die Außensicht des Torsos nicht durch einen Anbau zu beeinträchtigen. Die SPD argumentiert genau andersherum und hält einen Bau im Innenhof unter denkmalpflegerischer Perspektive für problematischer - wegen des besagten solitären Eindrucks dort. Die Stadt betont auffällig oft, sie gedenke das Wort vom "Interim" sehr genau zu beachten - der Eingriff erfolge also nur auf Zeit. Offenbar ein Hinweis für den Denkmalschutz. Bei den Grünen stößt das auf wenig Gegenliebe. Sie hielten den Abriss einer Interimsspielstätte für geschätzte 40 Millionen Euro für wirtschaftlich und ökologisch kaum vertretbar. Zumal die freie Kulturszene nach Aufführungsorten suche. Die Stadt wird hoffen müssen, dass Denkmalschutzbehörden keinen Lokalfunk hören. Im Sender "Radio F" formulierte Nürnbergs Grünen-Fraktionschef Achim Mletzko am Mittwoch: "Ich glaub', wir kommen im Moment nur einen Schritt weiter, wenn wir dem Denkmalschutz treuherzig versichern, dass wir's hinterher wieder abreißen." Man könnte daraus ableiten, dass zumindest Teile des Stadtrats hoffen, nach zehn Jahren - so lange dürfte das Operninterim dauern - anders agieren zu können, als zunächst angekündigt.

Wird überhaupt etwas neu sein an der Entscheidung des Stadtrats?

Durchaus. Zwar hatte sich eine Tendenz aller drei großen Parteien für einen Opernumzug aufs ehemalige NS-Gelände abgezeichnet. Zuvor aber waren zahlreiche andere Ausweichareale in der Debatte. Von diesen Standorten war zuletzt nur noch das "Schöller-Areal" im Stadtnorden übrig geblieben, ehemaliger Sitz des Eisherstellers. Im Gegensatz zum NS-Gelände im Süden wäre dieses Areal aber in privater Hand gewesen. Die reinen Kosten für den Umzug sollen beim Opernumzug nach Süden etwas günstiger sein als nach Norden, die Stadt rechnet mit mehr als 100 Millionen Euro. Überdies dürfte die Stadtratsentscheidung das Aus für alle Planspiele über einen Neubau des Opernhauses bedeuten. Die Stadtratsgruppe "Politbande" plädiert dafür, die Grünen hatten kürzlich zumindest Diskussionsbereitschaft bekundet. Unter rein finanziellem Blickwinkel ist die Rückkehr in ein dann saniertes Opernhaus am Richard-Wagner-Platz sogar die wuchtigere Entscheidung. Im Gespräch sind Sanierungskosten von mehreren Hundert Millionen Euro, ein Vielfaches also der reinen Interimskosten. Und auch die Sanierung des Opernhauses ist nicht ohne Brisanz. 30 Jahre nach der Eröffnung war dessen Inneres von den Nazis umgebaut worden - sie eröffneten ihre Reichsparteitage mit Wagners "Meistersingern" und ließen das Haus von bis dahin prägenden Jugendstilelementen "säubern". Diese Eingriffe dominieren das Hausinnere bis heute. Eine Rekonstruktion des Jugendstils gilt unter Fachleuten als kaum möglich. Eine Sanierung der Elemente von 1935 halten andere für problematisch. Als Ganzes steht das Haus unter Denkmalschutz.

Wie wird die Entscheidung im Stadtrat am Mittwoch ausgehen?

Sämtliche Punkte dürften mit großer Mehrheit beschlossen werden. CSU, SPD und Grüne betonen stets, in großen Fragen große Mehrheiten anzustreben. Dies gelingt diesmal freilich nur, weil die strittigste Frage - NS-Innenhof bebauen oder nicht - ausgelagert wird. Sollten 2022 CSU und Grüne gemeinsam für den Innenhof votieren und damit die SPD überstimmen, so würde das wohl auf ein Aus für das schwarz-rote Rathausbündnis hinauslaufen. Die Grünen sind diesem nach der Kommunalwahl 2020 nicht beigetreten.

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