Nürnberg:Ein Jahr als Krisen-Oberbürgermeister

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Marcus König hat sich in seinem ersten Amtsjahr als Nürnberger Oberbürgermeister den Ruf erworben, er sei einer, der die Nerven nicht verliert, den Humor auch nicht, und der nicht vergisst, andere zu loben.

Von Olaf Przybilla, Nürnberg

Marcus König neigt nicht dazu, das Leben als eine Abfolge persönlicher Heimsuchungen zu deuten. Es gibt sogar Menschen, auch missliebige, die dem CSU-Oberbürgermeister von Nürnberg einen fast schon chronisch verfestigten Hang zur Gutlaunigkeit nachsagen. Am 9. Februar 2021 aber drohte der doch mal zu kippen.

Morgens um fünf Uhr wurde König rausgeklingelt, weil am Abend zuvor ein Kraftwerk gebrannt hatte, mit dem es eine eigene Bewandtnis hat. Natürlich ist es nie schön, wenn ein Kraftwerk brennt. Jenes im Stadtteil Gebersdorf aber darf im Grunde immer ausfallen, ohne dass Nürnberg nachhaltigen Schaden davon zu erleiden hätte, ein Werk sozusagen für die Hinterhand. Mit einer winzigen Ausnahme indes: Zehn Tage hintereinander sollten die Temperaturen nicht im zweistelligen Minusbereich liegen - weil das Werk dann eben doch gebraucht wird, dringend sogar. Aber wann hat man schon mal zehn Tage lang Minusgrade im zweistelligen Bereich?

Man ahnt es an der Stelle schon: In jenen Februartagen waren die Temperaturen exakt so vorausgesagt. Man hatte also Corona, den übergreifenden Katastrophenfall. Und musste einen zweiten zusätzlich im Blick haben: Womöglich 15 000 Menschen, die bei widrigen Temperaturen ohne Heizung in ihren Wohnungen ausharren müssen - und deren Versorgung noch dadurch erschwert zu sein schien, dass Umzügen zu Bekannten durch die Katastrophe I, die Pandemie, enge Grenzen gesetzt waren. Könnte es einem schon mal mulmig werden in so einem Augenblick.

Wer freilich das erste Amtsjahr von Oberbürgermeister Marcus König Revue passieren lässt, könnte ohnehin den Eindruck bekommen, als habe da jemand mal ganz genau austesten wollen, was ein 40 Jahre alter Rathauschef, der im Ruf steht, angeblich notorisch heiter gestimmt zu sein, nervlich zu bewältigen in der Lage ist.

Da ist die Pandemie, klar. Die ist überall fatal, nicht zuletzt für die Stadtfinanzen. In einer ohnehin gebeutelten Stadt wie Nürnberg aber schlägt das besonders aufs Gemüt: Dort ist die Pro-Kopf-Verschuldung höher als irgendwo anders in Bayern, knapp 3000 Euro Miese lasten bereits auf jedem Bewohner. Am Ende des Jahres dürfte der Stadtschuldenstand bei mehr als 1,7 Milliarden Euro liegen und die Zwei-Milliarden-Grenze hat man auch schon fest im Blick: Weil in postpandemischen Zeiten bis zu 200 Millionen Miese pro Jahr hinzukommen dürften, könnte Nürnberg diese kommunale Horrormarke schon in zwei Jahren gerissen haben. Nach schönen neuen Nice-to-have-Investitionen ruft da niemand. Man ist schon froh, wenn man das Allernotwendigste finanziert bekommt.

Nürnberg: Der Nürnberger OB Marcus König (links), hier kurz nach seiner Vereidigung vor einem Jahr mit seinem Amtsvorgänger Ulrich Maly (rechts).

Der Nürnberger OB Marcus König (links), hier kurz nach seiner Vereidigung vor einem Jahr mit seinem Amtsvorgänger Ulrich Maly (rechts).

(Foto: Giulia Iannicelli/oh)

Corona also. Die Bauchlandung bei der Kulturhauptstadtbewerbung. Kein Christkindlesmarkt. Kein neuer Konzertsaal. Und dann noch das brennende Notkraftwerk. Zwischenzeitlich hatten manche den Eindruck in Nürnberg, der gewählte König sei in Wahrheit ein moderner Hiob.

Und König selbst? Ja, doch, der Brand in Gebersdorf sei "schon ein Wahnsinn" gewesen, sagt er. Weil "ein Gewinn bei der Glücksspirale" statistisch wohl deutlich wahrscheinlicher sei als der Ausfall dieses Notkraftwerks exakt in einem Moment, in dem man es mal bräuchte, dringend sogar. König war an jenem Nachmittag vor die Presse getreten, und sollten ihn üble Vorahnungen geplagt haben, dass da gerade Tausende von klirrender Kälte bedroht sind, so ließ er sich das zumindest nicht akut anmerken. König war guter Dinge - wird schon irgendwie werden. Tatsächlich wurde es dann sogar richtig gut: Die mobilen Heizgeräte aus anderen Städten kamen rechtzeitig an, keiner musste frieren in Nürnberg. Und bei der Stadtspitze landeten in den Folgetagen allerlei Liebesbekundungen. Einer schrieb: "König kann Krise."

So etwas überstrahlt nach einem Jahr natürlich vieles. Da ist einer, der die Nerven nicht verliert, den Humor ebenfalls nicht, und der im größten Triumph hernach nicht vergisst, andere so lange zu loben, bis auch wirklich jeder erwähnt ist: den Bürgermeister von der anderen Volkspartei (in Nürnberg ist die SPD das gelegentlich noch) genauso wie den Feuerwehrboss und notfalls auch den stellvertretenden Hausmeister. Und ein OB - so ist es aus der "Karstadt"-Krise überliefert -, der sich nicht zu schade ist, notfalls selbst zum Telefon zu greifen, um sparwütige Manager umzustimmen. Mit Erfolg: Beide Nürnberger Filialen wurden gerettet. So euphorisch hat man Gewerkschafter zuvor selten jubeln hören über einen CSU-Mann.

Alles in Butter also? Nicht nur. Dass die Grünen als Kooperationspartner nicht miteingestiegen sind ins Rathausboot, mag nicht zuvorderst am sie umgarnenden Neu-OB gelegen haben. Für König aber war das zweifellos eine Niederlage: Der Mann, der über wenig lieber referiert als über sein Projekt Ein-Stadtbaum-für-jedes-Neugeborene, hätte die Grünen gerne mit an Bord gehabt. Momentan halten die sich mit Kritik zurück, das dürfte sich aber ändern in postpandemischen Zeiten. Auch schmunzeln im Rathaus viele über den notorisch ins "Machen, machen, machen" verliebten Euphoriker an der Stadtspitze. Wo sein Vorgänger, der Sozialdemokrat Ulrich Maly, womöglich allzu verliebt war ins "Bis-ans-Ende-Denken" (und darüber mitunter das Handeln vergaß), gefalle sich König zu arg in der Macherattitüde, ohne die Dinge wirklich durchdrungen zu haben.

Klar hört sich "das erste 365-Euro-Ticket in einer deutschen Großstadt" fein an. Bevor man das in großer Runde in Aussicht stellt, hätte sich mancher aber noch etwas mehr Absprache mit anderen Kommunen des Verkehrsverbunds gewünscht, ohne die es kaum gehen wird. Und vielleicht sogar mit dem Freistaat, dem wohl wichtigsten Finanzier dieses Renommierprojekts.

Sind da nicht viel zu hohe Erwartungen geschürt worden? Die habe man doch nicht selbst geschürt, rechtfertig sich der Oberbürgermeister, wenn man ihn darauf anspricht. Immerhin habe in besagter Zeit ja ein Bürgerentscheid gedroht in der Sache, hinreichend viel gesammelter Unterschriften wegen. "Die Erwartungshaltung war von den Bürgern", erklärt König.

Jetzt will die Stadt erst mal ein Gutachten erstellen lassen, wie so ein Ticket ermöglicht werden könnte. "Dann haben wir ein Konzept", sagt der Oberbürgermeister, damit könne man dann bei Mitfinanziers anfragen, Freistaat und Bund: "Dann kann man sagen, es funktioniert - oder es kann nicht funktionieren." Mache finden, so ein Konzept wäre womöglich vor der großen Wir-machen-das-Pressekonferenz hilfreich gewesen. Ob er darauf wetten würde, dass das Ticket tatsächlich kommt? Würde er nicht, nein.

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