Wenn Roxy sich auf den Weg zu ihrer täglichen Arbeit macht, hat sie alles dabei, was sie besitzt. Eingepackt in einen kleinen Rucksack. Ihre Arbeit: Armbänder knüpfen für Passanten. Die Bezahlung: So viel, wie jeder geben will. Spendenbasis. An guten Tagen kämen schon mal 100 Euro zusammen, an anderen dagegen nichts, erzählt die 31-Jährige auf Englisch. Seit der Coronapandemie lebe sie auf der Straße, sie habe erst ihren Job und dann die Wohnung verloren.
Roxy ist eine von knapp 2500 wohnungslosen Menschen in Nürnberg. Geschätzt 250 von ihnen schlafen auf der Straße oder in Notschlafstellen. Ihren Besitz haben sie deshalb oftmals ununterbrochen bei sich. Meistens in Plastiktüten gepackt, manchmal in mehreren Taschen, nur selten in Koffern, die vor Wind und Wetter schützen.
Es werde immer wieder deutlich, „wie schwer es für obdachlose Menschen ist, mit ihrem Hab und Gut zum Beispiel Behördengänge, Arztbesuche oder andere notwendige Dinge, um vielleicht auch ihre Situation zu verbessern, zu erledigen“, sagt Anita Dorsch. Sie leitet die Bahnhofsmission Nürnberg und stellt an diesem Tag ein besonderes Projekt vor, das diese Umstände verbessern soll: Seit Anfang 2025 können wohnungslose Menschen ihren Besitz zeitweise in kostenlosen Schließfächern lagern. Finanziert werden sie von der Stadt.

Hinter den dunkelblauen Schließfachtüren verbergen sich private Gegenstände, hauptsächlich aber Kleidung zum Wechseln. Zumindest in einigen wenigen. Denn das Angebot ist neu, nur drei der insgesamt zwölf Fächer werden bisher genutzt. Laut Dorsch gibt es eine solche Aufbewahrungsmöglichkeit in anderen Bahnhofsmissionen bisher nicht.
Wer wohnungslos ist und Stauraum benötigt, kann bei der Bahnhofsmission einen Vertrag unterschreiben, in dem die Regeln festgehalten sind: Keine Lebewesen, keine übel riechenden oder verderblichen Produkte, nichts Entflammbares darf eingesperrt werden. Der Schlüssel bleibt bei der Bahnhofsmission – so kann nichts verloren gehen. Außerdem müssen sich die Personen ausweisen können. Sieben Tage lang können sie dann sicher verwahren, was sie nicht tagtäglich mit sich herumtragen möchten. Wer diese Frist nicht einhält, hat noch drei Tage Puffer – danach muss die Bahnhofsmission das Schließfach leeren und den Inhalt entsorgen. „Wir besprechen das auch mit den Leuten“, sagt Dorsch, sie wüssten also Bescheid. Laut Sozialreferentin Elisabeth Reis wirke das Angebot auf den ersten Blick klein und überschaubar, sei aber enorm wichtig.
Auch Oberbürgermeister Marcus König hält die Möglichkeit, persönliche Gegenstände sicher unterzubringen, für wichtig für betroffene Personen. Denn sie hätten oftmals kein Geld, um sich beispielsweise die Fahrt mit einer U-Bahn oder Straßenbahn leisten zu können. Der Transport ihres Besitzes: schwer und mühsam. Die Schließfächer sollen helfen. Trotzdem sei es „eine freiwillige Angelegenheit“. Es gebe viele Angebote für wohnungslose Menschen, auch ausreichend Schlafplätze – doch sie müssten selbst entscheiden, ob sie sie nutzen, sagt König.
Auch Roxy hat schon von ihnen gehört – von den kostenlosen Schließfächern in der Bahnhofsmission. In ihrem Rucksack habe sie Powerbanks, sagt sie und tippt auf die Tasche hinter sich, zwischen ihrem Rücken und der Fensterscheibe des Geschäfts eingeklemmt, vor dem sie sitzt. Die brauche sie, um ihr Handy zu laden. Gerade warte sie auf einen Anruf, eine Streetworkerin wolle sich mit ihr treffen und ihr bei der Jobsuche helfen. In der Küche auszuhelfen könne sie sich gut vorstellen, das habe sie schon mal gemacht. Was Roxy außer den Powerbanks in ihrer Tasche hat, erzählt sie nicht, während sie weiter neue Armbänder knüpft. Nur, dass sie der Sache mit den Schließfächern nicht traue, ihren Besitz habe sie lieber bei sich. Auch nachts, wenn sie in einer Notunterkunft schlafe.
Anders sehen das Christiane Kolpak und Mehmet Alan. Die beiden gehören zu den bisher wenigen Personen, die das neue Angebot der Bahnhofsmission in Anspruch nehmen. Vorher musste sie „immer zwei, drei Taschen herumtragen“, sagt Kolpak. Die Wohnsituation der 59-Jährigen ist unklar, sie schlafe auf der Straße. So viele Taschen von Ort zu Ort transportieren zu müssen, „das ist so schwer“. Jetzt nur noch mit ihrem Rucksack unterwegs zu sein, finde sie gut. Und auch sonst fühle sie sich wohl in der Bahnhofsmission, es seien sehr nette Mitarbeiter da.

Drei Hauptamtliche und 40 Ehrenamtliche halten den Betrieb der Bahnhofsmission laut Dorsch am Laufen. Neben dem neuen Schließfach-Angebot, gibt es für Bedürftige auch Essen und die Möglichkeit sich aufzuwärmen. Doch die Helferinnen und Helfer sind nicht nur für Menschen in existenziellen Notlagen da, sondern unterstützen auch Reisende bei Fragen und in Ausnahmesituationen.
Bis jetzt ist der meiste Stauraum hinter den zwölf blauen Schließfachtüren leer. Es müsse sich erstmal herumsprechen, sagt Dorsch. „Die kriegen das mit, also da haben wir keine Sorge, dass das nicht genutzt wird“, sagt sie. Am Ende bleibt das Angebot vor allem eines: freiwillig. Wie schnell sich die Schließfächer also füllen werden, bleibt vorerst abzuwarten.