Süddeutsche Zeitung

Europäische Kulturhauptstadt:Ein Gewinn trotz Niederlage

Man hätte es den Nürnbergern richtig gegönnt. Aber es sollte nicht sein. Dennoch war allein die Bewerbung um den Titel zur Kulturhauptstadt für Nürnberg ein Gewinn.

Kommentar von Katja Auer

Schade, dass sich die Nürnberger nicht richtig freuen durften am Mittwoch, richtig freuen, in etwa so, als wenn der Club mal wieder deutscher Fußballmeister geworden wäre. Zumal die Kür zur Kulturhauptstadt 2025 deutlicher realistischer erschienen war als ein baldiger Triumph des 1. FC Nürnberg. Aber die Jury hat anders entschieden: Chemnitz wird's.

Das ist für Nürnberg bedauerlich, doch die Stadt hat sich nichts vorzuwerfen. Die Bewerbung war hochklassig und diese Phase der Selbstvergewisserung scheint Nürnberg gutgetan zu haben. Am Ende meinte man beinahe Optimismus zu spüren, untypisch für die fränkische Mentalität und so gar nicht Merkmal von Frankens Metropole, die sich lange eingerichtet hatte in der Rolle der ewigen Zweiten. Hinter München, der Landeshauptstadt, die so ungeniert protzt, wenn ihr danach ist, während Angeben nicht die Sache ist von Nürnberg.

Bayerns zweitgrößte Stadt hat immer schon einen zweiten Blick verlangt von denen, die mehr sehen wollten als Fachwerk-Kulisse und Bratwurst-Klischee. Früher als andere hat Nürnberg mit der Aufarbeitung seiner Nazi-Vergangenheit begonnen und dabei vieles auch besser gemacht. Mit der Bewerbung haben die Macher gezeigt, dass sie den Blick nicht nur zurück, sondern auch nach vorne richten, dass die einstige Reichsstadt und Reichsparteitagsstadt eine moderne Großstadt ist, in der Kunst und Kultur mehr bedeuten als Albrecht Dürer und Germanisches Nationalmuseum.

Derartige Kulturschätze hat Nürnberg viele, unbestritten, doch getreu dem Bewerbungsmotto "Past Forward" ist die Stadt gut beraten, mit den alten Schätzen - und den Lasten - in neue Zeiten aufzubrechen. Der Titel als Kulturhauptstadt hätte eine schöne Initialzündung sein können. Nun muss der Bewerbungsprozess reichen, der viel Enthusiasmus und Kreativität freigesetzt hat. Die Aufmerksamkeit und das Geld, die es mit dem Titel gegeben hätte, fehlen jetzt leider. Für Nürnbergs kulturelles Selbstverständnis war die Bewerbung dennoch ein Gewinn.

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Quelle:
SZ vom 29.10.2020/van/vewo
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