WM-Nacht in Nürnberg:Warum Fußball, Bier und Kunst nicht zusammenpassen

Germanisches Nationalmuseum

Germanisches Nationamuseum.

(Foto: dpa)

Sie sind betrunken und haben einen angeblich spontanen Einfall: Zwei Studenten sind in der Nacht des WM-Finales in das Germanische Nationalmuseum eingestiegen - und mit einem der wertvollsten Bilder wieder rausspaziert. Draußen wurden sie schon erwartet.

Von Olaf Przybilla, Nürnberg

Wenn es stimmt, was zwei Erlanger Studenten den Ermittlern erzählt haben, dann war ihre WM-Sieg-Nacht ein ebenso rauschhaftes wie unvergessliches Ereignis. Es waren allerdings auch ihre vorläufig letzten Stunden in Freiheit.

So soll es sich zugetragen haben: Ein 22 Jahre alter Student der Theaterwissenschaften und sein 23-jähriger Kommilitone schauen sich das Finale am Nürnberger Flughafen an, nach dem Spiel ziehen die beiden noch dorthin, wo Menschen in Mittelfranken üblicherweise Siege feiern: an den Verkehrsknotenpunkt "Plärrer". Es soll reichlich Alkohol im Spiel gewesen sein, ein Detail, das sich erhärten lässt: Der eine hatte 0,72, der andere 1,4 Promille im Blut.

"Spontane Tat"

Etwa um vier Uhr in der Früh brechen beide in Richtung Hauptbahnhof auf, man wohnt ja in Erlangen. Und auf dem Weg dorthin soll es dann zu einer "spontanen Tat" gekommen sein, weil man am Germanischen Nationalmuseum vorbeikommt und dort gerade ein Baugerüst steht. Dieses wollen die beiden aus einer Laune heraus erklommen haben.

Der Rest des Morgens im WM-Rausch ist zum Teil gut dokumentiert. Nicht das Detail, wie die beiden auf dem Dach des Osttraktes offenbar ein Oberlicht aufdrücken und ins Haus einsteigen. Dafür aber ihr Weg in den Saal des Nationalmuseums, wo die Kunst des 20. Jahrhunderts ihren Platz hat: Werke unter anderem von Jawlensky, Barlach, Kirchner und Emil Nolde. Insgesamt 14 Bewegungsmelder wurden auf dem Weg dorthin aktiviert, das Sicherheitssystem löste stillen Alarm aus, der Wachdienst konnte auf Bildschirmen verfolgen, wie sich zwei Personen mit Lichtquelle durch dunkle Räume bewegen.

Zurück ins Freie übers Baugerüst

Angekommen im Saal für die Klassische Moderne soll der 22-jährige Student zu seinem 23-jährigen Kommilitonen gesagt haben: Das Bild "Herr und Dame" von dem Nolde könne man doch nun - bei der Gelegenheit sozusagen - mitnehmen. Der Ältere soll ihm geantwortet haben, er halte das eher nicht für eine gute Idee. Offenbar hatte der 22-Jährige, das ist der Mann mit den 1, 4 Promille, in dem Moment aber die vermeintlich besseren Argumente. Jedenfalls ist auf dem Video zu sehen, wie der 23-Jährige beim Abtransport des Bildes ebenfalls Hand anlegt. Zurück ins Freie ging es wieder übers Baugerüst. Unten wartete allerdings die Polizei samt Hundestaffel. Glücklicherweise blieb das 40 mal 60 Zentimeter große Bild unbeschädigt bei der Aktion.

Nun drängen sich natürlich allerlei Fragen auf. Vor allem die, ob die Version der Studenten stimmen kann. Gelangt man mit 1,4 Promille im Blut tatsächlich ohne weitere Vorbereitung ins größte kulturhistorische Museum im deutschsprachigen Raum? Einfach weil an der Fassade ein Baugerüst steht und die Oberlichter nicht richtig gesichert sind? Und entscheiden sich zwei ziemlich Betrunkene spontan zum Abtransport ausgerechnet eines der wertvollsten Werke des Hauses? Auf dem Video ist zu sehen, wie die beiden mit der Lichtquelle recht zielgerichtet durch den Raum gehen und sich das Gemälde schnappen.

WM-Nacht in Nürnberg: Die Studenten haben sich zielsicher eines der wertvollsten Werke des Hauses rausgesucht: Emil Noldes "Herr und Dame" von 1910.

Die Studenten haben sich zielsicher eines der wertvollsten Werke des Hauses rausgesucht: Emil Noldes "Herr und Dame" von 1910.

(Foto: Nolde Stiftung Seebüll/oh)

Lücke im System

Andererseits: Die Lichtquelle stellte sich bei der Festnahme als Mobiltelefon mit Leuchte heraus. Kein mitgebrachtes Hilfsmittel also. Und in dem Raum gibt es unter den wirklich prominenten Werken tatsächlich keines, das man als so leicht abtransportierbar erkennen kann, wie eben das handliche Bild von Nolde. Eine Figur von Barlach? Zu schwer. Ein Bild von Kirchner? Zu groß. Die wunderbare "Frankfurter Küche" der Wiener Architektin Margarete Schütte-Lihotzky? Unmöglich.

Die Fragen ans Museum sind anderer Natur, aber doch ähnlich. Ist das nicht sehr beunruhigend, wenn sich annähernd Sturzbetrunkene mit ein wenig sportlichem Ehrgeiz Zutritt zu Werken mit Millionenwert verschaffen? Ist es, räumt eine Museumssprecherin ein. Man sei gerade dabei, das Baugerüst, vor allem aber die Oberlichter im Osttrakt besser zu sichern.

Museum bekommt Depot für 32 Millionen Euro

Das Museum sei grundsätzlich ein "Hochsicherheitstrakt" und vieles habe ja auch in der WM-Nacht ausgezeichnet funktioniert. Immerhin kamen die Diebe nicht wirklich weit mit dem Bild. Trotzdem wisse man nun eben, wo die Lücke war im System. Das Haus bekommt gerade ein neues Depot für 32 Millionen Euro, ein Riesenprojekt. Drei Jahre soll das dauern, die Sicherheitsaspekte seien nach dieser denkwürdigen Nacht noch mal neu erörtert worden.

Lustig endete die Nacht auch für die Studenten nicht, so viel ist schon klar. Die beiden befinden sich in Untersuchungshaft, ihre Telefone und Computer werden untersucht. Egal, ob die Tat spontan war oder nicht: Weil das Gemälde schon außer Haus war, als die beiden gefasst wurden, dürfte die Anklage auf schweren Diebstahl lauten. Darauf stehen bis zu zehn Jahre Haft.

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