Mitten in Nürnberg:Die fränkische Kassandra

Mitten in Nürnberg: Nürnberg will Kulturhauptstadt 2025 werden - doch den Zuschlag hat die Konkurrenz bekommen.

Nürnberg will Kulturhauptstadt 2025 werden - doch den Zuschlag hat die Konkurrenz bekommen.

(Foto: Daniel Karmann/dpa)

Drohen in einer Stadt, die sich eben noch als "Europäische Kulturhauptstadt" beworben hat, tatsächlich Museumsschließungen?

Glosse von Olaf Przybilla, Nürnberg

Harald "Harry" Riedel, Kämmerer von Nürnberg, darf man sich als eine Art Frankencowboy vorstellen. Ein Freund klarer Ansprache und kurzer Sätze, der dabei das örtliche Idiom so kategorisch pflegt, dass zu ahnen ist: Dahinter dürfte keine gelebte Folklore, sondern eher ein sehr stabil ausgefallenes "Mich kann hier fei keiner"-Lebensgefühl stecken.

Auf Bundesebene wäre Riedel wohl am ehesten mit Peer Steinbrück vergleichbar (entschieden sozialdemokratisch, aber als Finanzfachmann der eigenen Partei gerne in spöttischer Solidarität verbunden). Andererseits kann man sich den Hanseaten Steinbrück schwer dabei vorstellen, wie er sich beim Italiener einen "Wallbullidschella" samt "Widdello Donado" ordert, was man sich bei Riedel sehr gut vorstellen kann, jedenfalls idiomatisch.

Was die beiden ebenfalls unterscheidet: Wie Steinbrück hätte Riedel ebenfalls die Gelegenheit gehabt, nach der Krone zu greifen. Aber während Steinbrück als Kanzlerkandidat antrat (und eindrucksvoll scheiterte), winkte Riedel für die Ulrich-Maly-Nachfolge weise ab. Hätte er Interesse an der OB-Kandidatur in Nürnberg 2020 bekundet, seine Partei hätte kaum anders gekonnt, als ihn aufzustellen.

Stattdessen blieb Riedel das politische Stadtoriginal, der Mann, von dem alle wissen: Der redet keinem nach dem Mund. Und wiedergewählt werden will er auch nicht mehr, im April endet seine Zeit als Kassenhüter an der Stadtspitze.

Warum das alles erwähnenswert ist? Dieser Tage ist Nürnberg kulturell arg ins Gerede gekommen, der Grund ist eine Liste der Grausamkeiten aus Riedels Referat: Es muss drastisch gespart werden, zwei Kunstmuseen droht angeblich das Aus, Festivals stehen auf der Kippe.

Und natürlich fragen sich nun viele: Gibt es einen zuverlässigeren Weg, sich als Stadt angreifbar zu machen, als eben jenen: erst als "Europäische Kulturhauptstadt" in den Ring zu steigen und kurz darauf Museumsschließungen zu diskutieren?

Man wird Riedel unterstellen dürfen, dass er das eingepreist hat. Und trotzdem zum Schluss gekommen ist: Schulden steigen, Nürnbergs Haushalt ist kaum mehr genehmigungsfähig, Städte sind mit multiplen Krisen konfrontiert - so wird es nicht weitergehen können.

Riedel wollte offenkundig ein Zeichen setzen, einen kommunalen Kassandraruf. Museumsschließungen? Sie werden wohl nicht kommen. Aber spätestens an der Stelle halten eben doch viele inne: Es ist offenbar ernst. Ja, ist es.

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