Nürnberg-Neuselsbrunn:Feuer unterm Dach

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An den Hochhäusern in Nürnberg-Neuselsbrunn wurden im Jahr 2018 die Fassaden abgerissen. (Foto: SZ)

In der Meistersingerhalle streiten Eigentümer mit ihrer ehemaligen Verwaltungsfirma um Millionen. Hätten die Fassaden von fünf Hochhäusern im Spätherbst 2018 abgerissen werden dürfen?

Von Olaf Przybilla, Nürnberg

Wo die Richterin sitzt, musizieren normalerweise Blechbläser. Und die Streicher der Nürnberger Philharmoniker hocken während ihrer Konzerte in der Meistersingerhalle dort, wo nun Anwälte der Kläger- und Beklagtenseite Platz genommen haben. Es ist schon umständehalber ein außergewöhnlicher Prozess, der da am Dienstag am - ausgelagerten - Amtsgericht Nürnberg begonnen hat. Eigentümer wollen 15,7 Millionen Euro von ihrer ehemaligen Hausverwaltung erstattet haben, weil die sich ihrer Ansicht nach nicht korrekt verhalten hat, als es darum ging, ob die Fassade von fünf Hochhäusern wegen angeblicher Brandgefahr abgerissen wird.

Ein Verfahren in der 2100 Menschen fassenden Meistersingerhalle? Klingt überdimensioniert, aber wenn man mitbekommen hat, welche Emotionen der Abriss der Fassaden im November 2018 ausgelöst hat, der versteht die Ortswahl. Hunderte Eigentümer sind betroffen, von bis zu 50 000 Euro ist die Rede, die der Austausch angeblich brennbarer Fassaden einzelne Eigentümer gekostet hat. Was umso schwerer wiegt, als die Häuser in Nürnberg-Neuselsbrunn nicht bekannt dafür sind, zahlungskräftige Bewohner anzuziehen - und der Abriss verstörte Eigentümer zurückgelassen hat. Bei vielen drang in der kalten Jahreszeit Feuchtigkeit in die Wohnung ein, Schimmel war die Folge, von der nervlichen Belastung ganz zu schweigen.

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Zwar sind es dann tatsächlich nur ein paar Dutzend Zuhörer, die sich in der Riesenhalle einfinden, der sich seit Jahren hinziehende Streit dürfte vielen den letzten Nerv gekostet haben. Die aber gekommen sind, werden von Amtsrichterin Ursula Krome sorgfältig in die Usancen eines Gerichtsprozesses eingewiesen. Man sitze nun zwar in einem Konzertsaal, von etwaigen Beifallsbekundungen sei gleichwohl abzusehen, vom Gegenteil auch. Im Zuhörerraum, dem wohl größten Gerichtssaal in der Geschichte Nürnbergs, bleibt's während der Verhandlung daraufhin erstaunlich ruhig. Auf der Bühne dagegen, die in dem Fall tatsächlich mal eine ist, wird es über Stunden turbulent.

Sofortige Räumung oder Fassadenabriss?

Dass zwei Seiten überzeugt sind, im Recht zu sein, ist nicht unüblich in Zivilverfahren. In dem Fall aber prallen Welten der Deutung aufeinander. Die frühere Hausverwaltungsfirma bietet insgesamt sechs Verteidiger und Gehilfen auf, um die Ansicht zu vertreten, die Verwalter hätten alles richtig gemacht. Einer der Anwälte schaltet zwischendurch sein Mikrofon gar nicht mehr aus, so sehr fühlt er sich bemüßigt, seine Sicht auf den Fall zu Protokoll zugeben.

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Ihm zufolge habe es für die Verwalter gar keine Alternative gegeben. Eindeutig hätten Fachleute festgestellt, dass brennbares Material - Styropor nämlich - in den Schichten der Hausfassaden aus den Sechzigerjahren festgestellt worden ist. Die Stadt Nürnberg soll der Verwaltung daraufhin mitgeteilt haben, es gebe lediglich zwei Möglichkeiten: sofortige Räumung oder Fassadenabriss. In einer Eigentümerversammlung sei daraufhin eindeutig signalisiert worden, Räumung komme für die Bewohner nicht in Frage. Also Abriss. Um "Leib und Leben" sei es gegangen, dies nun infrage zu stellen, sei eine unglaubliche Verdrehung der Tatsachen, schimpfen die Vertreter der Verwaltungsfirma. Zwischen den Zeilen schwingt da immer auch die Katastrophe vom Londoner Grenfell Tower mit, wo im Juni 2017 insgesamt 72 Menschen ums Leben gekommen sind bei einem Hochhausbrand. "Wer hätte für ein Feuer Verantwortung übernommen", fragt eine Vertreterin der Firma - und schiebt in Richtung von Richterin und Gegenseite hinterher: "Sie?"

Ein Mann hatte sich Klarheit erhofft - vergebens

Die Gegenseite, die Anwälte der Eigentümer, halten schon die Grundannahme, dass die Fassade angeblich brennbar gewesen sei, für nicht im Ansatz bewiesen. Immerhin sei das Styropor in der Fassade "verkapselt" und die Brennbarkeit des Gesamtmaterials zum Zeitpunkt des Abrisses nicht hinreichend nachgewiesen gewesen. In einem weiteren Punkt, so deutet es die Richterin an diesem ersten Verhandlungstag an, könnte das Verfahren den Beklagten tatsächlich auf die Füße fallen. Offenbar gab es bei der Eigentümerversammlung keinen expliziten Beschluss, dass die Fassade abgerissen werden muss. Beschlossen wurde wohl lediglich, dass 1,5 Millionen Euro für Sofortmaßnahmen zur Verfügung gestellt werden.

Dass sich die Verwaltungsfirma aus ihrer Sicht "grundsätzlich schadenersatzpflichtig" gemacht habe, daraus macht die Richterin keinen Hehl an diesem ersten Tag. In der Halle sorgt das für Aufatmen. "Endlich Klarheit", hatte sich zu Prozessbeginn ein Mann erhofft, dessen Sohn 40 000 Euro für die Fassadensanierung einer ursprünglich 60 000 Euro teuren Wohnung in die Hand nehmen musste. Klarheit bekommt der Mann an diesem Tag aber nicht, ein nächster Termin wird auf den 17. Dezember gelegt. Ob das Verfahren dann beendet sein wird, daran freilich glaubt nicht mal die Richterin. "Ich weiß, dass ich hier am Amtsgericht meine Entscheidung für den Mülleimer schreibe", sagt sie in der Verhandlung, "weil Sie ohnehin in die zweite Instanz gehen."

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