Süddeutsche Zeitung

Urteil:Lebenslange Haft für Messerstecher von Nürnberg

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Von Olaf Przybilla, Nürnberg

Auch am Tag der Urteilsverkündung hat Daniel G. ununterbrochen auf den Boden gestarrt. Der 39-Jährige - robust, kurz geschorene Haare, sehr bleich - hat das während des gesamten Prozesses im Saal 600 des Landgerichts Nürnberg getan. Auch als die Vorsitzende Richterin Barbara Richter-Zeininger begründet, warum er zu lebenslanger Haft wegen versuchten Mordes in drei Fällen verurteilt wird, hat G. keine Sekunde lang aufgeblickt. Daniel G., aus Sachsen-Anhalt stammend, hat am 13. Dezember 2018 drei Frauen hintereinander auf offener Straße ein Messer in den Leib gerammt und den Nürnberger Stadtteil St. Johannis für zwei Tage in Angst versetzt. Alle drei Frauen kannte er nicht. Zum Teil, sagt die Richterin, sei es nur "dem Glück zu verdanken", dass die Frauen überlebt haben. Daniel G. starrt zu Boden.

Dem "objektiven Sachverhalt nach" hatte G. die Taten bereits am ersten Tag von seinen Verteidigern einräumen lassen. Einmal hat er sogar selbst das Wort ergriffen, respektive zwei Sätze herausgedrückt. Es tue ihm "unheimlich leid", hat er wissen lassen und wieder auf den Boden gestarrt.

Immerhin gibt es ein Vernehmungsvideo vom Januar, das im Prozess vorgeführt wurde. Daniel G. hat in dieser Vernehmung gestanden, das schon. Die wichtigste Frage aber, die nämlich, warum er das getan hat, die ist auch in dem Video nicht beantwortet worden. Viel geschluchzt hat er und Papiertaschentücher verbraucht. Hernach wusste man im Saal 600, wie und wo da einer einen Tag quer durch Nürnberg irrte. Das aber, worauf alle gewartet haben, einen Hinweis auf das Warum, hat G. in der zweistündigen Aufnahme nicht geliefert.

Es gibt verstörende Szenen in dem Video, die wohl schlimmste aber ist die Passage, als G. schildert, wie ihm am Nordklinikum eine Frau entgegenkam und er ihr unvermittelt ein Messer in den Bauch rammte. Warum, wollen die Ermittler wissen. Er wisse es nicht, stammelt G. und kommt zur Einschätzung: "Das ist Wahnsinn." Er habe Frauen stets geschützt. Dann sagt er: "Das tut unheimlich weh so was." Und meint offenbar sich selbst damit, nicht sein Opfer. Maximilian Bär, ein Vertreter der Nebenklage, hat ihm das im Prozess entsprechend hingerieben. Daniel G. ergehe sich im "Selbstmitleid", das man nicht verwechseln dürfe mit echter Reue. Nicht mal den Mumm habe er gehabt, seinen Opfern wenigstens einmal ins Gesicht zu blicken.

War womöglich Frauenhass das Motiv?

Immerhin einige grobe Daten hat man erfahren im Prozess. Daniel G. war wohnungs- und arbeitslos, als er sich von Berlin auf den Weg nach Nürnberg gemacht und dort in einer Notunterkunft geschlafen hat. Als Lagerist hat er sich einst betätigt, sein Vorstrafenregister ist lang: Brandstiftung, Beleidigung, Betrug, Bandendiebstahl. 20 Vorstrafen insgesamt. An jenem 13. Dezember hat er ein Messer geklaut, angeblich um einen Laden-Überfall zu begehen. Dann ist er nach St. Johannis gegangen und hat dort auf Frauen eingestochen. Alle drei mussten notoperiert werden, für zwei bestand erst viele Stunden nach der Attacke keine Lebensgefahr mehr.

War womöglich Frauenhass das Motiv? G. hat das im Video selbst ausgeschlossen. Er habe Frauen "verarscht", und diese ihn. Auch sei seine Beziehung in die Brüche gegangen. Aber deshalb willkürlich auf Frauen einstechen? "Nein." Sein Vater dagegen kann sich "Hass auf Frauen" durchaus vorstellen. Aber klar: nur als Vermutung eines um Erklärung ringenden Verwandten.

G. hatte Wochen vor der Tat eine Polizeiwache in Berlin aufgesucht und dort angegeben, er wolle ins Gefängnis. Dafür aber muss man nicht drei Frauen niederstechen. Für Oberstaatsanwalt Thomas Weyde ist die Motivation für die Taten "im Dunkeln" geblieben. Weyde hatte für G. - den ein Sachverständiger für voll schuldfähig erklärt hat - lebenslange Haft mit anschließender Sicherungsverwahrung gefordert. Seine Verteidiger hatten ins Feld geführt, G. habe sich entschuldigt. Der Blick zu Boden sei als Zeichen der Scham zu werten.

Gegen Ende des Geständnis-Videos hatte G. befürchtet, er bekomme "lebenslänglich", womöglich komme er sogar "nie wieder" in Freiheit. Weil die besondere Schwere der Schuld nun nicht verhängt wurde, könnte ihm Letzteres unter Umständen erspart bleiben. Die Richterin nimmt G. eine Schuldeinsicht ab. Dass er ständig auf den Boden gestarrt habe, sei eher als Zeichen zu bewerten, dass der Angeklagte wisse, dass "seine Tat durch nichts zu entschuldigen ist". Die Richterin ist überzeugt, dass die bevorstehende lange Haft die "erst stabile Lebenssituation" für G. sein wird.

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Quelle:
SZ vom 17.10.2019
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