Süddeutsche Zeitung

Energiewende:Messe Nürnberg will Wasserstoff-Kraftwerk errichten

Es soll bis 2028 den Strombedarf der Messe decken. Das Projekt könnte Symbolwirkung entfalten - auch für den Freistaat. Denn der will Hotspot für die Technologie werden.

Von Maximilian Gerl, Nürnberg

Die wichtigste Nachricht lässt der Chef der Messe Nürnberg am Mittwoch fast nebenbei fallen. Gerade hat Roland Fleck den "Hydrogen Dialogue" eröffnet, eine Konferenz zum Thema Wasserstoff. Als Messe Nürnberg, sagt er, wolle man übrigens vorangehen und ein "hybrides Wasserstoff-Kraftwerk" errichten. Bis 2023 solle es stehen und Energie liefern. Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (FW) findet da später die größeren Worte. Dieses Vorhaben bedeute den "Sprung der Stadt Nürnberg zur Wasserstoff-Stadt", mehr noch: "Damit wäre die Messe Nürnberg weltweit Vorzeigeprojekt."

Es wäre tatsächlich einer dieser viel zitierten Meilensteine auf dem Weg zur Wasserstoffindustrie, sollte das Kraftwerk so kommen, wie sie es sich bei der Messe und in der Staatsregierung vorstellen. Im Vollbetrieb, so der Plan, soll die Anlage den Energiebedarf der kompletten Messe decken. Der entspräche nach eigenen Angaben immerhin dem der Kleinstadt Roth. Bislang sind Wasserstoffprojekte dieser Größenordnung eher die Ausnahme als die Regel, nicht nur hierzulande. Ein Projekt mit Symbolwirkung also - das dem Freistaat entgegenkäme in seinem Bemühen, sich als internationaler Wasserstoff-Hotspot zu etablieren.

Die Ankündigung ist gut terminiert. Der Messe Nürnberg macht wie allen Veranstaltern Corona zu schaffen. Immerhin die Wasserstoffkonferenz ließ sich retten, sie findet im virtuellen Raum statt. Wirtschaftsprofessorin Veronika Grimm von der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg spricht im Livestream, Vertreter von Schaeffler und Siemens Energy geben Einblick in ihr Wasserstoffgeschäft.

Vor allem im Fränkischen hat sich eine Art Szene aus Hochschulen, Start-ups und Konzernen gebildet; von Nürnberg über Erlangen und Bamberg bis hinauf nach Wunsiedel, wo ein bundesweit einzigartiges Pilotprojekt zur Wasserstoffgewinnung geplant ist. "Wasserstoff-Chancenregion", sagt Nürnbergs OB Marcus König (CSU) dazu. Für sie gehe es nun um die "Wertschöpfung von morgen", um gezielte "Impulse in Krisenzeiten". Die Pläne der Messe sind so gesehen auch ein Investment in die eigene Zukunft. Das "Tandem aus Kongress und Kraftwerk", wie Fleck es nennt, soll sich künftig gegenseitig befeuern.

Noch besteht die Idee vorwiegend aus Konjunktiven. Vereinfacht sieht sie so aus: Photovoltaikanlagen auf den Messehallen produzieren Strom. Was nicht gleich verbraucht wird, wird in Wasserstoff umgewandelt. Das benötigt zwar vergleichsweise viel Energie, dafür ist Wasserstoff langfristig speicherbar. Bei Bedarf wird der Wasserstoff zurück in Strom gewandelt, der dann in die vielen Lampen und Steckdosen auf dem Messegelände fließt. Auf diese Weise will die Messe ihren stark schwankenden Energiebedarf ausgleichen können.

Eine ordentliche Summe in Krisenzeiten

Ein Teil des Wasserstoffs könnte zudem für eine Wasserstofftankstelle genutzt werden. Idealiter wird das System 2021 am Computer getestet, dazu entsteht ein digitaler Zwilling der Anlage. Funktioniert in der Simulation alles wie geplant, könnte der tatsächliche Bau 2022 und die Produktion im Jahr darauf beginnen. Bis 2028 soll die Leistung schrittweise von 1,25 auf bis zu 15 Megawatt steigen. Die Kosten beziffert Fleck auf einen "zweistelligen Millionenbetrag". Allein für die Technik würden 30 bis 40 Millionen Euro fällig. Eine ordentliche Summe in Krisenzeiten, weshalb das Projekt unter "Corona-Vorbehalt" steht. Nicht unwesentlich: CO₂-neutral und regenerativ wäre das Ganze auch.

Bei der Messe sieht man das Kraftwerk außerdem als wissenschaftliche Versuchsanordnung. Sie soll Erkenntnisse bringen, die kleinere Pilotprojekte bislang nicht liefern konnten. Denn bislang gilt der Wasserstoff nur auf dem Papier als möglicher Energieträger der Zukunft, der Wirtschaft und Verkehr klimafreundlicher machen könnte.

Praktisch sind etliche Fragen ungeklärt: etwa, woher der Wasserstoff stammen soll und wie man ihn an seinen Bestimmungsort transportiert. Oder wie sich Wasserstoffanlagen am besten auf industrielle Maßstäbe skalieren lassen, wie teuer sie in der Wartung sind, wie viele Betriebsstunden sie durchhalten. Nur wenn die Antworten auf diese Fragen - und die Kosten - sich realistisch abschätzen lassen, werden Firmen die Umstellung von fossilen Energieträgern auf Wasserstoff wagen. "Der Wille ist da", sagt Ökonomin Grimm. Jetzt gehe es darum, ihn umzusetzen, eine langfristige Perspektive zu entwickeln.

Alleine können das der Kongress und das Kraftwerk natürlich nicht schaffen. Die Pläne und Gespräche vom Mittwoch sind bestenfalls ein Schritt auf dem Weg dahin. Aiwanger freut sich zwar schon auf "Nürnberger Lebkuchen aus der Wasserstoff-Pipeline", räumt aber ein: "Der Staat muss vorangehen." Ein erstes Förderprogramm hat der Freistaat bereits aufgelegt. Dieses konzentriert sich vor allem auf die Schaffung neuer Tankstellen, das Messe-Kraftwerk dürfte eher nicht förderfähig sein. Daneben hat der Bund sieben Milliarden Euro für Wasserstoffprojekte versprochen. Vielleicht fällt ja dann aus diesem Topf, ganz nebenbei, etwas ab.

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SZ vom 19.11.2020/van/aner
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