Wirtschaft in Nürnberg:Dem Ausnahmezustand entfliehen

Die Nürnberger Messegesellschaft ist einer der Motoren für den wirtschaftlichen Aufschwung der Stadt. Doch Corona hinterlässt gewaltige Spuren. Nun herrscht für 2022 vorsichtiger Optimismus.

Von Uwe Ritzer, Nürnberg

Nikos Choudalakis und seine Leute können Krise, das haben sie bewiesen. Während Griechenland jahrelang am wirtschaftlichen Abgrund taumelte, legte die in Athen ansässige Firma Forum SA des Unternehmers Choudalakis eine Erfolgsgeschichte hin. Zwischen 2009 und 2019 vervierfachte sie ihren Umsatz und verachtfachte sie ihren Gewinn vor Steuern. Als die Nürnberger Messegesellschaft im Sommer 2019 Forum SA übernahm, war die Firma der größte Messeveranstalter Griechenlands.

Danach ging es bergab. Wohlgemerkt nicht explizit mit dem Neuzugang aus Athen, sondern mit der Messebranche insgesamt und damit auch mit den Geschäften der Nürnberger im In- und Ausland. Es beginnt das dritte Jahr, in dem die Corona-Pandemie klassische Messen, die persönliche Begegnung von Ausstellern, Besuchern und Fachpublikum also, unmöglich macht oder zumindest stark einschränkt.

In Nürnberg wurden gerade die Spielwarenmesse und die Getränketechnikmesse Brau-Beviale gestrichen und die Öko-Weltleitschau Biofach in den Sommer verschoben. Bundesweit werden 2022 nach Angaben des Branchenverbands Auma 100 Messen ausfallen oder verschoben. Der Schaden liegt demnach bei fünf Milliarden Euro.

Für die Nürnberger kam die Pandemie im denkbar ungünstigsten Moment. Vom regionalen Messeplatz hatte man sich binnen weniger Jahre in die Spitze der deutschen und damit der europäischen Messeveranstalter hochgearbeitet, denn als Schauplatz von zwei Drittel der Branchenleitmessen ist die Bundesrepublik der diesbezüglich größte Standort. Und Nürnberg wollte weiterwachsen.

Bis 2027 sollte eine halbe Milliarde Euro in das Messegelände im Stadtteil Langwasser investiert werden, unter anderem in ein viertes Kongresszentrum. Für 2020 peilten die Messemacher um die Geschäftsführer Peter Ottmann und Roland Fleck das beste Geschäftsjahr aller Zeiten an. "Das wird ein Knallerjahr", so Ottmann noch im Januar 2020.

Umso bitterer die pandemiebedingte Realität. Nach 110,3 Millionen Euro Umsatz 2020 sackten die Erlöse 2021 noch einmal ab, auf gerade mal 70 Millionen Euro. Und das bei gleichzeitig knapp 50 Millionen Euro Verlust, nachdem 2020 bereits 68,6 Millionen Euro Miese zu Buche schlugen. Von 77 weltweit geplanten Messen der Nürnberger wurden voriges Jahr 51 abgesagt. Wie lange geht das noch gut?

Wirtschaft in Nürnberg: Die beiden Geschäftsführer der Nürnberger Messegesellschaft, Peter Ottmann (links) und Roland Fleck (rechts), sind davon überzeugt, dass Messen nach der Pandemie eine Zukunft haben.

Die beiden Geschäftsführer der Nürnberger Messegesellschaft, Peter Ottmann (links) und Roland Fleck (rechts), sind davon überzeugt, dass Messen nach der Pandemie eine Zukunft haben.

(Foto: Ralf Rödel/Nürnberg Messe)

"Wir sind nach wie vor im Ausnahmezustand", sagt Ottmann, und Fleck sekundiert, dass es von entscheidendem Vorteil sei, dass die drei Eigentümer der Messe, der Freistaat und die Stadt Nürnberg, sowie mit einem Minimalanteil die mittelfränkische Industrie- und Handelskammer, "auch in den vergangenen zwei Krisenjahren dafür gesorgt haben, dass unsere Liquidität stets gegeben war. Auch hat keine unserer Banken Kreditlinien gekündigt, von dieser Seite also sind wir auf der sicheren Seite".

Das Unternehmen selbst hat rigoros auf die Kostenbremse gedrückt, den Aufbau digitaler Messeformate forciert, Investitionen verschoben und mit Kurzarbeit überbrückt. Hinzu kamen 30 Millionen Euro staatliche Corona-Hilfen. Etwa zehn Prozent der gut 600 Stellen in Nürnberg sowie zwanzig Prozent von etwa 1100 weltweit wurden abgebaut. "Es gab keine einzige betriebsbedingte Kündigung und wir planen solche auch nicht für 2022", so Fleck und Ottmann.

Dass Messen nach der Pandemie eine Zukunft haben werden, steht für das Führungsduo fest. "Die digitalen Ersatzformate wurden vor allem zu Beginn der Pandemie sehr gut angenommen", sagt Ottmann. "Aber es ist spürbar, dass die Aussteller und Besucher sich wieder persönlich treffen und austauschen wollen."

Bei alledem geht es nicht nur für die Nürnberg Messe Group, sondern für den fränkischen Ballungsraum um sehr viel. Der Ausbau des Messegeschäfts war eine der wichtigsten strukturpolitischen Reaktionen auf den Verlust Zehntausender Arbeitsplätze am Industriestandort Nürnberg Ende des 20. Jahrhunderts. Der Plan ging auf, nicht nur weil die Messegesellschaft selbst wuchs, sondern weil überdies in der Stadt enorme Hotelkapazitäten entstanden, messenahe Dienstleister sich ansiedelten und Branchen wie Gastronomie oder Taxigewerbe profitierten.

Das Ifo-Institut hat ausgerechnet, dass die Nürnberg-Messe mit ihren Veranstaltungen vor der Pandemie jährlich knapp zwei Milliarden Euro Kaufkraft und 365 Millionen Euro Steueraufkommen generierte sowie etwa 15 600 Arbeitsplätze sicherte. Nicht nur, aber vor allem in und um Nürnberg.

Die finanzielle Basis steht

Die Eigentümer scheinen sich dieser Bedeutung bewusst zu sein. "Eine Beteiligung der öffentlichen Hand an einer solchen Infrastruktureinrichtung ist zur Schaffung positiver Rahmenbedingungen für den heimischen Wirtschaftsstandort weiterhin zwingend notwendig", heißt es im Beteiligungsbericht des Freistaats, den Finanzminister Albert Füracker (CSU) vorige Woche im Landtag vorgelegt hat.

Land und Stadt haben für 2027 geplante Bareinlagen von jeweils zehn Millionen Euro vorgezogen. Wie die Kommune 2021 stellt 2022 der Freistaat der Messe eine Kontokorrentlinie von 40 Millionen Euro - "zur Unterstützung in der unverschuldeten Krisensituation", heißt es.

Die finanzielle Basis steht also. Und die Messechefs Ottmann und Fleck glauben, das Schlimmste hinter sich zu haben. Nach 19 Monaten ohne Präsenzveranstaltungen und insgesamt 243 Tagen mit Veranstaltungsverbot gelang im Herbst 2021 mit mehreren Messen wie der Fachpack, der it-sa, der Feuer-Trutz oder der Consozial, aber auch mit Gastveranstaltungen wie der Consumenta, der Biogas und der Retro Classics Bavaria ein Neustart. Auch das Auslandsgeschäft hat Fahrt aufgenommen, in China herrsche sogar "annähernd wieder Normalität", sagt Ottmann.

2022 soll erklärtermaßen "das Jahr der positiven Richtungsänderung" werden. In China, Italien, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Indonesien organisieren die Nürnberger sechs neue Messen. Insgesamt sind mehr als 100 Veranstaltungen geplant. 2022 werde durchwachsen, aber von Umsatz und Ergebnis besser als 2020 und 2021. Übrigens auch Dank der griechischen Forum SA. Sie kann Krise auch in Corona-Zeiten. "Von allen Tochtergesellschaften laufen dort die Geschäfte am besten", sagt Peter Ottmann.

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