Nürnberg:LKA-Beamter Mario H. sagt im V-Mann-Prozess aus

Nürnberg: Bühnenreif: Der angeklagte LKA-Beamte Mario H., 48, redet, wie andere nicht schreiben können.

Bühnenreif: Der angeklagte LKA-Beamte Mario H., 48, redet, wie andere nicht schreiben können.

(Foto: Daniel Karmann/dpa)
  • Der LKA-Beamte Mario H. sitzt im V-Mann-Prozess auf der Anklagebank. Der Vorwurf lautet: Diebstahl in mittelbarer Täterschaft.
  • H. ist angeklagt, weil er durch einen Hinweis des V-Manns und Ex-Bandidos Mario F. von einem Diebstahl gewusst haben soll, ihn aber nicht verhindert hat.

Von Olaf Przybilla, Nürnberg

Mario H. einen besonderen Angeklagten zu nennen, wäre eine glatte Untertreibung. Der 48-Jährige ist einer der profiliertesten Ermittler in Bayern, was nach Übertreibung klingen mag. Aber leicht zu erhärten ist: Mario H. kümmerte sich federführend um die Ermittlungen in der Causa Hypo Alpe Adria. Er stand an vorderster Front, als es um die Korruptionsvorwürfe gegen Bernie Ecclestone ging, den Formel-1-Boss.

Und als der Generalbundesanwalt 2014 anordnete, die Ermittlungen ums Oktoberfestattentat wiederaufzunehmen und das bayerische Landeskriminalamt (LKA) damit beauftragte, war vor drei Jahren einer der komplexesten und verantwortungsvollsten Aufgaben in der Historie dieser Behörde zu vergeben. Wer leitet die Sonderkommission? Die Wahl fiel auf Mario H.

In wie vielen Prozessen H. ausgesagt hat als Zeuge und damit dazu beitrug, Schwerkriminelle hinter Gitter zu bringen, das dürfte er selbst kaum zusammenbringen. Ein Blick ins SZ-Archiv aber genügt, um zu ahnen: Es waren viele. Schließlich war er auch mal Chef jener Abteilung, die sich mit der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität in Bayern zu befassen hatte, da gab es allerlei Termine in diversen Gerichtssälen.

Dort kann man H. nun wieder beobachten, diesmal aber nicht im Zeugenstand, sondern auf der Anklagebank. Der Vorwurf lautet: Diebstahl in mittelbarer Täterschaft, nicht gerade ein Kavaliersdelikt. Im schlimmsten Fall könnten Mario H. fünf Jahre Haft blühen.

Es ist der vierte Verhandlungstag, als sich H. erstmals äußern darf. Neben ihm sind noch fünf weitere LKA-Beamte angeklagt, die Materie ist hochkomplex, da können sich richterliche Vernehmungen hinziehen. Vor H. hat zwei Tage lang ein angeklagter Kollege ausgesagt, schon da konnte sich der 48-Jährige kaum beherrschen. Da werde er später was dazu sagen, platzt es gelegentlich aus ihm heraus.

"Später" kann in Großprozessen - für die Verhandlung sind 30 Tage angesetzt - schon mal nächste Woche heißen, H. muss sich fünf Tage gedulden. Als er dann an der Reihe ist, beginnt er seine Ausführungen mit einem "Grüß Gott und vielen Dank". Wenn Preisträger sich vor großem Auditorium für den Bayerischen Filmpreis bedanken, dann klingt das mitunter kleinlauter.

Es kommt vor Gericht häufiger vor, dass sich Ermittler äußern müssen, als Zeuge wohlgemerkt. Wer sein Bild von Polizisten am "Tatort" geschult hat, dürfte dann meist enttäuscht werden. H. aber wirkt so, als hätten sich etliche Fernseh-Profiler zusammengetan, um einen Muster-LKA-Mann zu entwerfen: sonore Stimme, Gardemaß, der Anzug sitzt. Mario H. redet, wie andere nicht schreiben können.

Jeder Satz strebt zielgerichtet zu einem Ende, Füllwörter braucht er keine. Und Bescheidenheit ist nicht sein Ding. Seit 30 Jahren ist er bei der Polizei, 25 Jahre davon beim LKA. Noch nie habe er sich auch nur im Ansatz etwas zuschulden kommen lassen. Im Gegenteil: "Ich glaube von mir sagen zu können, mir den Ruf eines sogenannten Spitzenbeamten verdient und erworben zu haben", sagt er in freier Rede.

Stets habe er sich als "besonders leistungsstark und verantwortungsbewusst" erwiesen. Er sage das "nicht zur Selbstbeweihräucherung", sondern weil er ein Gegenbild zu jenem entwerfe, das da von ihm gezeichnet werde. Wer die Anklage lese, müsse den Eindruck eines "Hallodris und Schlendrians" bekommen. H. sagt das ohne jede Weinerlichkeit, aber er lässt auch keinen Zweifel daran, wie sehr ihn die 25 Seiten der Staatsanwaltschaft in seiner Ehre kränken. "Alle, die mich kennen, sind von der schieren Unglaublichkeit ebenso erschüttert, wie ich selbst", sagt er. Und spricht noch immer von der Anklage.

Wäre die Geschichte von H. ein Fernsehdreiteiler, so wäre an der Stelle ein "Was bisher geschah" vonnöten. Dabei würde dem Zuschauer einiges abverlangt und das schon deshalb, weil der zweite Protagonist in dieser Saga ebenfalls auf den Vornamen Mario hört, was für einen überambitionierten Drehbuchschreiber spräche. Würde wiederum jemand zu diesem anderen Mario - er heißt Mario F. - "Hallodri" sagen, so würde der das wohl selbst für eine Verniedlichung halten.

Wer die Akten liest, spürt förmlich, wie angefixt die LKA-Beamten waren

Nein, Hallodri war F. in seiner kriminellen Berufsbiografie eher nicht, eher schon Halunke. Ein Mann mit 13 Vorstrafen. Wenn auch einer, der auf eines höchsten Wert legt: Bösartigkeiten, zum Beispiel irgendwas mit Gewalt, gab es mit ihm nie. Wer einmal das Vergnügen hatte, mit F., dem Ex-Bandido, telefonieren zu dürfen, der ahnt, dass F. in der Sache keinen Spaß versteht. Fahrlässiger Vollrausch, Beihilfe zur Untreue, fortgesetzte Hehlerei und Betrug? Soll sein, soll sein. Aber Leuten wehtun, das hat F. nie gemacht und das hätte er nie gemacht, selbst wenn ihn die Chefs bei den Bandidos gezwungen hätten. Klarer Ehrenkodex.

Aber Minibagger in Dänemark klauen, gemeinsam mit den Kollegen von der Rockergang Bandidos? Das hat er eben schon gemacht. Und an der Stelle nun berühren sich die Geschichten von Mario H., den sie im LKA hinter seinem Rücken "Super-Mario" nennen, halb im Ernst, halb aus Frotzelei - und Mario F., den sie bei den Bandidos in Regensburg "Honecker" genannt haben, ganz im Spott, weil F. ein zartes Ostidiom pflegt, keines aber aus Ostbayern.

Wie kamen diese beiden zusammen? Es war so: Das LKA wurde auf F. aufmerksam, weil der alles mitzubringen schien, was ein Spitzel im Auftrag des Staates braucht, und sich auch noch guter Kontakte zu den Bandidos brüstete. Anfangs sprudelte die Quelle eher mau, dann aber arbeitete sich F. zum Chauffeur des Regensburger Chef-Bandidos empor, ausgestattet mit einem vom LKA geleasten Mercedes.

Wer die Akten liest, spürt förmlich, wie angefixt die LKA-Beamten fortan waren, es fehlte nur noch, dass sie einen neuen Super-Mario ausriefen. In Regensburg bahnte sich zu der Zeit ein großes Ding an, es stand zu erwarten, dass der Bandido-Chef ausgerechnet zum befeindeten Rocker-Clan überläuft, das wäre ein Knaller gewesen. Und das LKA hätte quasi live dabei sein können, über Mario, den V-Mann, der dem LKA immer lieber, wenn auch immer teurer wurde. Egal: Mario sprudelte.

Wer wann was angeordnet hat im LKA, als F. ankündigte, dass da ein Coup in Dänemark bevorsteht - das ist Gegenstand dieses Prozesses in Nürnberg. Im Kern geht es darum: Polizeibeamte sind dem Legalitätsprinzip verpflichtet, das heißt, sie müssen Einhalt gebieten, wenn sie von einer bevorstehenden Straftat erfahren. Die Staatsanwaltschaft aber nimmt an, dass keiner der Beamten das getan hat; dass sie - um ihre Quelle zu schützen - geschwiegen, womöglich den Bagger-Diebstahl gar forciert und hernach, als einfache Kriminalbeamte sozusagen dazwischenfunkten und den Bagger-Raub unterbanden, alles dafür getan haben, um zu vertuschen, dass sie vorab davon gewusst haben.

Zurück in den Gerichtssaal, wo H. endlich aussagen und einiges klarrücken will. Erstens: Als diese Sache mit den Baggern im Schwange war, da sei er Abteilungsleiter gewesen. Führungsverantwortung für 160 Mitarbeiter, die mit Organisierter Kriminalität zu tun haben, Waffenhandel, Sprengstoff, solche Sachen. Noch mal klarer: Als gerade ein V-Mann irgendwas über Mini-Bagger und Dänemark fabulierte, da habe sich die von ihm geführte Abteilung um Ecclestone und die Hypo Alpe Adria kümmern müssen, sagt H. Um über jeden Einzelvorgang informiert zu sein, "hätte ich 48 Stunden am Tag gebraucht".

Zweitens: Als er dann tatsächlich etwas vom bevorstehenden Bagger-Coup mitbekommen habe, da habe er den für eine Finte der Bandidos gehalten. Machen sie öfters: Wenn sie fürchten, dass ein Member vom LKA bezahlt wird, informieren sie diesen über einen bevorstehenden, nur angeblich kriminellen Coup. Die Polizei unterbindet die Aktion, weil der Spitzel sie Ermittlern durchgestochen hat. Am Ende ist der Spion enttarnt und die Bandidos drehen den Ermittlern eine lange Nase. Nur: Dieser Baggerdiebstahl war eben echt. "Das war eine Fehleinschätzung", sagt Mario H., "aber ich bin kein Mensch ohne Fehler."

Drittens: Ja, er habe Mario F. kennengelernt, aber erst nach der Bagger-Sache. Als der Coup aufflog, hätten plötzlich 70 Beamte gewusst, dass F. ein Bandido-Spitzel ist. Irgendwer quatsche immer, also sei das hochgefährlich gewesen. Darüber habe er F. persönlich in Kenntnis setzen wollen, als Treffpunkt wählte man eine Münchner Kneipe. Er sei beeindruckt vom Bandido F. gewesen, sagt H., "eloquent und selbstreflexiv" sei dieser. Aber ihn zu irgendwas angestiftet, nein, das habe er gewiss nie.

Im Dezember werden sich H. und F. erstmals seit dem Treffen wiedersehen, diesmal im Gerichtssaal in Nürnberg. Das Urteil über H. wird frühestens im März ergehen. Was der Ex-Bandido als Zeuge vor Gericht aussagt, das dürfte von entscheidender Bedeutung sein für die Karriere des derzeit suspendierten Spitzenermittlers.

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