Süddeutsche Zeitung

Kultur in Bayern:Nürnberg legt Pläne für neuen Konzertsaal auf Eis

Wegen der Corona-Krise fehlen im städtischen Haushalt die notwendigen Millionen, so begründet der Oberbürgermeister das Moratorium. Von einem endgültigen Aus will er aber nichts wissen.

Von Olaf Przybilla, Nürnberg

Mitunter haben auch Zeitungsmenschen hellsichtige Momente. Als die Süddeutsche Zeitung im Juli 2018 die beiden neu geplanten Konzerthäuser in München und Nürnberg in sieben Punkten miteinander verglich, fiel die Antwort auf die beiden selbst gestellten Fragen "Was darf jetzt nicht passieren?" und "Was bringt wohl die Zukunft?" zumindest im Nürnberger Fall eher düster aus. Es war ein launiger Blick in die Zukunft, aber unterm Strich stand die Prognose: Zwar soll dieser Saal angeblich bis zum Jahr 2023 fertig werden, aber womöglich wird nicht mal bis 2025 was daraus. So kommt es nun auch.

Wobei die SZ-Begründung eine andere war - zwar war der Begriff Corona bereits geläufig, galt damals aber noch als Biersorte. Wie auch immer: Die Stadt Nürnberg muss jetzt den zweiten schweren Schlag innerhalb kürzester Zeit hinnehmen. Man wird nicht Kulturhauptstadt Europas, da war eine Jury dagegen. Und es wird auch erst mal nichts aus dem Spatenstich für einen Konzertsaal, den hat die Stadt nun selbst bis mindestens 2026 verschoben - als Folge der Haushaltskrise in der Pandemie. Verschoben also bis zum "Sankt Nimmerleinstag", wird Oberbürgermeister Marcus König (CSU) von Journalisten gefragt. So will er das nicht verstanden wissen, der Aufschub sei dezidiert als "Moratorium" gedacht. Aber Wetten darauf, dass in sechs Jahren die Pläne doch noch konkret werden, dürften momentan wenige abschließen in Nürnberg. "Das ist keine Situation, die uns die Freudentränen ins Gesicht treibt", sagt Kulturbürgermeisterin Julia Lehner (CSU), "eher im Gegenteil".

Die Stadt hat am Dienstag kurzfristig eingeladen zur Pressekonferenz, zwei Tage vor den Haushaltsberatungen. Um die Zukunft des Konzertsaals sollte es gehen, und da war schon klar, dass nichts Gutes ansteht. 50 Millionen Euro Defizit reißt die Pandemie in Nürnbergs Etat, voraussichtlich wird sich die Stadt mit weiteren 200 Millionen Euro verschulden müssen. Anschließend wird man mit 1,7 Milliarden Euro in den Miesen stehen. Dass es Prestigeprojekte da schwer haben würden, war bereits abzusehen; auch, dass der Konzertsaal besonders schlechte Aussichten hat.

Um das zu verstehen, ist ein Blick zurück notwendig. Ein neuer Konzertsaal war in Nürnberg lange kein vordringliches politisches Thema. Zwar gilt die Akustik für klassische Konzerte in der denkmalgeschützten, aber von außen nicht gerade ansehnlichen Meistersingerhalle als höchstens ausreichend. Auf die politische Agenda aber schaffte es ein neuer Saal trotzdem nicht: Immerhin, hieß es, definiere man sich längst als Metropolregion - und da eben hat Bamberg ein Spitzenorchester samt ansprechendem Saal zu bieten. Schwung nahm die Debatte erst auf, als in Rede stand, dass Nürnberg eine Interimsspielstätte für das sanierungsbedürftige Opernhaus brauchen wird. Und als in München die Debatte um ein weiteres Konzerthaus aufbrandete und der damalige Ministerpräsident Horst Seehofer wohl irgendwann die Frage nicht mehr hören wollte: München soll noch ein Konzerthaus bekommen - und Bayerns Second City (Nürnberg) hat nicht mal einen einzigen einigermaßen angemessenen Saal? Im November 2013 verkündete Seehofer also: Beide Städte sollen einen neuen Saal bekommen.

Dass der in Nürnberg als Interimsspielstätte genutzt werden kann, davon verabschiedete man sich sehr bald - schon allein deshalb, weil das mit den zunächst angepeilten "50 bis 75 Millionen Euro" nicht machbar gewesen wäre. Und auch sonst musste an den Plänen in den vergangenen Jahren allerlei korrigiert werden: War zunächst von einer Übernahme aller Kosten durch den Freistaat die Rede - sozusagen als Seehofer'sche Morgengabe -, reduzierte sich das bald auf nur noch 75 Prozent. Auf der anderen Kostenseite sprach man bald nicht mehr von einer zweistelligen Millionensumme, die für einen Saal mit 1500 Plätzen berappt werden müsste. Sondern von 100 Millionen und inzwischen 200 Millionen Euro. Manche in Nürnberg - auch in der CSU - fragten sich zuletzt: Morgengabe oder Danaergeschenk?

Zumal die Pandemie die Stadt nun "unglaublich stark getroffen hat", wie OB König sagt. Gerade mit Blick auf die Sanierung des Opernhauses - die Stadt befürchtet Kosten um die 500 Millionen Euro - sei es nicht vermittelbar, Neues anzufangen, ohne in der Krise zu wissen, wie es mit dem Bestand weitergeht. Kulturbürgermeisterin Lehner sagt das etwas plastischer: Auch in einem privaten Haushalt würde man sich wohl nichts Neues anschaffen, wenn man schon wisse, dass demnächst Herd und Kühlschrank repariert werden müssen, "um etwas essen zu können".

Nun soll der Stadtrat über den Pausenmodus entscheiden, der laut OB für die Dauer der "Ratsperiode" gelten soll. Dass der Rat dem Vorschlag eines Moratoriums folgen wird, ist sehr wahrscheinlich. Die CSU stimmt sicher mit OB und Kulturbürgermeisterin, die SPD war noch nie ausschließlich Feuer und Flamme für einen Saal, der bei manchen als "Elitenprojekt" verschrien ist. Die Grünen konnten sich zuletzt immer weniger mit dem Standort des Saals anfreunden, dem Dutzende Bäume zum Opfer fallen sollen.

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SZ vom 18.11.2020/van
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